Von Eva Fischer

Meine Schwester Charlotte heiratet. Mit 30 Jahren nicht ungewöhnlich. Ihr Auserwählter ist es schon eher. Er ist nämlich ein Grüner, nein, nicht politisch gesehen, sondern seine Hautfarbe ist grün. Es gibt bekanntermaßen Weiße, Schwarze, Gelbe, Rote, Mischlinge… Grüne kennt man erst, seitdem einmal im Jahr eine Rakete zum Mars fliegt.

Das Geschäft rentiert sich, denn für Milliardäre ist die Reise ein Muss wie die Hadsch für die Muslime. Auch Abenteurer werden von dem Planeten angezogen, dessen Landschaft wirklich exotisch sein soll. Es gibt riesige Vulkane, breite Canyons, bizarre Steinformationen in unterschiedlichen Rottönen und unterirdisch angelegte Städte, wo man endlich die schon lange vermuteten Marsmenschen entdeckt hat. Sie gelten als friedlich und uns technisch weit überlegen. Im Gegensatz zu den Erdmenschen kennen sie keinen Konsum, produzieren nichts, was bald wieder weggeworfen wird, haben so auch keine Umweltprobleme. Ihre Luft ist biologisch rein, sieht man mal von den natürlichen Staubstürmen ab. Die Klimaschwankungen sind zwar extrem, was aber den Marsmenschen nichts ausmacht. Ihre grüne Haut ist anpassungsfähig und benötigt auch keinerlei Schutzkleidung. Die Marsianer sollen sich kaputt gelacht haben beim Anblick der ersten Erdlinge in ihren tollpatschig anmutenden weißen Anzügen.

Ernährungstechnisch genügt ihnen eine Pille pro Tag. Die Touristen von der Erde sind ganz scharf auf die Hämatitkügelchen, die dort oben massenhaft herumliegen und die sie zu Hause zu Gold machen, während sich die Marsianer amüsieren, dass die Erdlinge ihnen ihre Minifäkalien entsorgen.

 

Meine Schwester arbeitet bei der ESA, wo man das lukrative Marsgeschäft aufgebaut hat. Mit dem Geld sollen demnächst auch Raumschiffe für Venusflüge gebaut werden.

Kiko, so heißt ihr Angebeteter, koordiniert die Flüge auf dem Mars. Zuerst tauschten sich Charlotte und Kiko rein beruflich aus, aber mit der Zeit interessierte sich jeder für die Welt des anderen und war fasziniert. Für Marsbewohner ist die Kommunikation kein Problem. Per Lichtstrahlen schicken sie Nachrichtenauf die Erde. Außerdem haben sie alle Sprachen der Erdlinge im Kopf, die für sie nicht schwieriger sind als für uns das Buchstabieren des Alphabets, denn sie besitzen sozusagen den Generalschlüssel, was unsere Wissenschaftler nun anspornt, auch danach zu suchen. Der wäre dann wohl mehr wert als die Hämatitkügelchen.

 

„Kiko ist so einfühlsam“, schwärmte mir meine Schwester vor. „Er versteht meine Gedanken, bevor ich sie selbst verstehe.“

Nun weiß ich nicht, ob ich das erstrebenswert fände, wenn mein Gegenüber mich besser versteht als ich mich selbst.

„Und außerdem ist er hochintelligent“, dozierte sie weiter. Auch da bin ich mir nicht sicher, ob es mir gefiele, mich stets als Dummerchen zu fühlen.

„Wie sieht er denn aus? Ich weiß, diese Frage ist naiv und oberflächlich bei einem so hypertalentierten Wesen, aber ich bin eben neugierig.“

Meine Schwester dachte offensichtlich fieberhaft nach, wie sie ihren Gott in Grün beschreiben sollte. Schließlich hatte er ihr, wie ich wusste, ein Bild von sich geschickt.

„Wie groß ist er?“, fragte ich.

„Na, ungefähr einen Meter.“

„Einen Meter? Und du bist 1m75!“

„Nun sei nicht so spießig, Jutta!“, blaffte mich meine Schwester an.

„Und Augen-, Haarfarbe?“, forschte ich weiter.

„Er hat grüne Augen und Haare haben Marsianer nicht“, wies sie mich zurecht.

„Und wie viele Augen?“

„Nun werde nicht albern! Zwei natürlich! Er hat einen wunderschönen Kopf, der ungefähr ein Drittel des Körpers ausmacht. Und seine Augen funkeln wie Smaragde.“

Das mit dem Kopf fand ich schon heavy, aber irgendwo musste ja so viel Hirn auch verstaut werden.

„Kann er Sex machen?“

„Wie?“ Meine Schwester schien zunehmend durch meine Fragerei genervt.

„Ja, wie?“ insistierte ich tapfer.

„Hat er so etwas wie einen Penis?“

„Woher soll ich das wissen? Den hat er mir noch nicht gezeigt. Aber Jutta, es gibt doch weit höhere Sphären als die Befriedigung menschlicher Triebe. Meinst du die Frauen, die alte Politiker heiraten, haben noch Sex?“

Das brachte mich auf die Frage nach seinem Alter.

„Er ist hundert, aber da die Marsianer im Schnitt zweihundert werden, ist er im besten Alter.“ 

„Warum wollt ihr heiraten?“, lag mir auf der Zunge. Doch ich schluckte es herunter und fragte stattdessen: „Wo wollt ihr heiraten?“

„Das wissen wir noch nicht. Aber zuerst kommt er mich besuchen, um meine Familie kennenzulernen.“

 

Ich kann nicht sagen, dass ich Kiko unsympathisch fand. Obwohl er klein war, wog er wegen der Gewichtsverschiebung auf der Erde 150 Kilo, was seinen Gang nicht so grazil gestaltete wie auf dem Mars. Aber er blickte sein Gegenüber mit freundlichen, aufmerksamen Augen an. Leider kannte er dessen Gedanken früher als der Betreffende selbst, was bei meiner Mutter zu Irritationen führte, wenn er ihre Fragen beantwortete, bevor sie diese gestellt hatte.

Mein Vater stieß sich an seiner Hautfarbe. Darüber regte sich Charlotte ihrerseits auf, denn schließlich war unser Vater Schwarzer und sollte Verständnis für Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund haben. Später erklärte Kiko, dass nur Erdlinge Marsbewohner in Grün sähen, weil die Menschen immer nur das sehen, was sie sehen wollten und wegen ihres kleinen Hirns zur Vereinfachung und zur Verdrängung von Realitäten neigten. Jedenfalls war für meine Schwester nach dem gemeinsamen Abend klar, dass sie auf den Mars auswandern wollte.

 

Anfangs schrieb sie mir noch, wie gut es ihr auf dem Mars gefalle und wie liebevoll sie aufgenommen wurde. Die Schwerelosigkeit sei ein wirklich tolles Gefühl. Das frische Essen von der Erde vermisse sie zwar manchmal, aber ihr Tag sei so ausgefüllt mit all den fremdartigen, neuen Eindrücken. Konkret ließ sie mich allerdings nicht wissen, um welche Eindrücke es sich handelte. Später blieben die Botschaften leider ganz aus. So bin ich auf meine Phantasie angewiesen.

 

Ich stelle mir vor, dass sie dort oben auf Wolke sieben schwebt, dass ihr Essen, Trinken, Kleidung, alles Irdische nichts mehr bedeutet, nur die perfekte Symbiose mit dem Geliebten zählt, dass sie jeden Tag ein neues Wonderland entdeckt, das für Nichtverliebte ein Buch mit sieben Siegeln bleibt oder eben eine unzugängliche Geröllwüste.

 

Manchmal allerdings denke ich, dass ich sie für immer verloren habe, dass sie in einer fremden Welt gefangen ist, dass sie kein Tageslicht kennt, keinen Sonnenschein, dass sie elendig friert im Winter bei über hundert Minusgraden, dass sie ein trostloses Nonnenleben führt, dass sie gern zurückkäme, wenn sie könnte. Dann sehe ich ein giftgrünes kleines Männchen vor mir, das mich hämisch angrinst.

 

Doch was sagte Kiko? Wir Menschen neigen zu Vereinfachungen.