Von Anne Moog

Ich bin Koch und ich liebe es, die Menschen kulinarisch zu verzaubern. Schon kurz nach meiner Lehre hatte ich mir in verschiedenen Hotels in Hamburg schnell einen Namen gemacht. Meine Chefs waren von meiner Kreativität und meinem, wie sie es nannten, Gefühl dafür begeistert, wie man Gäste mit allen Sinnen erreicht. Ich wurde Küchenchef auf verschiedenen Luxuskreuzfahrtschiffen. Meine Kochkünste galten als legendär. Irgendwann wollten mich die Gäste persönlich kennenlernen, sie wollten sehen und erleben, was meine Gerichte so besonders machte. Meine Idee, auf den Schiffen Kochkurse anzubieten, schlug ein wie eine Bombe. Damit wurde ich zum Vorreiter des Eventcookings und der Luxuskochkurse. Ich weiß noch, wie ich meiner Zwillingsschwester lachend am Telefon erzählte, wieviel Geld die Menschen für ein Dreistundenprogramm bereit waren auszugeben. Ich begriff schnell, dass die Gäste von mir mit Köstlichkeiten überrascht, aber vor allem von ihrem täglichen Leben abgelenkt werden wollten. Meine Schwester riet mir ab. „Du bist Koch aus Leidenschaft, du bist ein kulinarischer Künstler, aber du bist doch kein Typ, der im Rampenlicht stehen will, du bist kein Entertainer! Dafür bist du doch viel zu ruhig, zu zurückhaltend. Das ist nicht deine Welt Richard. Mach` es nicht,“ sagte sie. Aber ich wollte es unbedingt. Es war, als wäre bei mir ein Schalter umgelegt worden. Plötzlich reizten mich Geld und Ruhm, sehr sogar.

Ich nutzte meine Fähigkeit des guten Beobachtens und Zuhörens und fing an, das Verhalten derer zu kopieren, die bei den Mitmenschen besonders gut ankamen. So eignete ich mir das „passende Verhalten“ an. Auch veränderte ich mein Äußeres. Ich wechselte von Jeans und Polohemd zu edler, dezenter italienischer Mode, ich trainierte die Muskeln, die mich sportlicher aussehen ließen und ich trug einen markanten Dreitagebart passend zu meinem neuerdings gezähmten schwarzen Lockenkopf.

Ich spielte eine Rolle und ich spielte sie anscheinend richtig gut, denn die Menschen waren begeistert. Alle Kurse waren stets ausgebucht. Ich verdiente sehr viel Geld. Man berichtete sogar in den Medien von mir. Meine Schwester ging auf Distanz. „Aus meinem aufmerksamen, charmanten und witzigen Bruder ist ein Clown geworden“, warf sie mir vor. Sie fragte mich, welcher Richard „der Echte“ sei. „Lass` mich doch“, antwortete ich nur. Ich wusste zwar, dass sie Recht hatte, aber ich ignorierte diesen Gedanken. Irgendwie gefiel mir mein neues Leben in der High Society. Es war so anders, so neu und so aufregend. Gefangen im Netz der Eitelkeiten und Äußerlichkeiten verkehrte ich über 10 Jahre nur noch in entsprechenden Kreisen, trug entsprechende Kleidung und führte entsprechende Gespräche. Nach außen passte ich mittlerweile perfekt in dieses Leben.

Irgendwann bekam das Netz Risse. In meinem tiefsten Innern regte sich immer öfter das ungute Gefühl, dass ich am falschen Ort war. Ich konnte die Oberflächlichkeit der Menschen, die mich tagtäglich umgaben und deren nichtssagenden Gespräche immer weniger ertragen. Es kostete mich viel Kraft, meine Rolle als Dauerentertainer zu spielen. Meine Maske fing an zu bröckeln. Mein Schlaf wurde zunehmend schlechter und mein Alkoholkonsum größer. Ich stumpfte immer mehr ab, verspürte keine Lebensfreude mehr und fühlte mich oft leer und unglücklich. Wenn ich in den Spiegel schaute, erkannte ich mich kaum noch. Als ich meine Schwester bei meinem Landurlaub in Hamburg traf, brachte sie es auf den Punkt. „Wie lange willst du eigentlich noch Schauspieler deines eigenen Lebens sein?“, fragte sie mich kopfschüttelnd und zeigte mir folgende Stellenanzeige: „Hamburger Hospiz sucht Küchenchef“.

 

Ich stehe am Herd und brate Burger. Die hat sich Lea für heute gewünscht. Lea ist 19 und wird nur noch wenige Wochen leben. Ich erfülle ihr diesen Wunsch sehr gerne.

Ich klopfe an Leas Zimmertür und trete ein. „Hallo Mädels. Wie gewünscht serviere ich Cheeseburger, Pommes und Ketchup. Und `ne Cola dazu.“ Lea und ihre Schwester grinsen breit und schauen mich erwartungsvoll an. Ich habe wie immer auch Zeit mitgebracht und setze mich zu ihnen. „Hhm …, saulecker“, schwärmt Lea. „Das ist ein bisschen so wie früher, wenn wir bei McDonalds waren. Danke Richard.“ Ihre Augen werden feucht. Trotzdem lächelt sie. Ich drücke ihre Hand und verabschiede mich.

Mit dem Burger verbindet Lea glücklichere Zeiten. Ich rufe durch mein Essen eine schöne Erinnerung bei ihr hervor und erreiche damit nicht nur ihre Sinne, sondern auch ihre Seele. Dieser Gedanke macht mich stolz und glücklich, so schwer es auch ist, den nahenden Tod von Lea zu akzeptieren. Ich weiß, dass ich ihr Leben nicht verlängern kann, aber ich kann es ihr versüßen.

So geht es mir hier mit allen Bewohnern. Durch die Zubereitung ihrer Lieblingsspeisen baue ich zu jedem von ihnen eine besondere Beziehung auf. Wenn ich das Essen serviere, bringe ich immer Zeit mit. Zeit zum Reden, zum Schweigen, zum Lachen oder zum Weinen. Oft begleitet mich meine Zwillingsschwester, die hier ehrenamtlich tätig ist. „Richard, so wie du die Menschen bekochst zeigst du ihnen, dass sie beachtet und geachtet werden und nicht abgeschoben und aussortiert“, sagt sie.

Seit fünf Jahren bin ich jetzt Küchenchef im Hospiz. Hier bin ich richtig, hier habe ich meine wahre Bestimmung gefunden. Hier geht es nicht um Show, hier ist alles so ehrlich, so echt. Ich koche nicht mehr Haute Cuisine für die High Society, ich koche jetzt Hausmannskost für Todkranke. Ich führe keine oberflächlichen Gespräche mehr, jede Begegnung hier geht in die Tiefe. Viele der Bewohner haben mich zu ihrer Vertrauensperson gemacht. Das ehrt mich sehr und bedeutet mir so viel mehr als Geld und Ruhm.

Ich schaue in den Spiegel. Ich trage Jeans und Polohemd, der Bart ist ab, meine Locken fallen wie sie wollen und meine braunen Augen strahlen. Ich erkenne MICH.

„Ist Ihr Nachname eigentlich ein Künstlername?“, fragt mich eine Bewohnerin. Ich verstehe nicht auf Anhieb, was sie meint. Nomen est omen. Ich heiße Richard Brückenbauer.