Von Miklos Muhi

 

Er riss den dicken Umschlag auf und las die Dokumente. Da die Bank seit einigen Monaten auf seinen Antrag hin die Abrechnung auf Kreditkarten aufteilte, fiel die Sachlage eindeutig aus. Schon wieder.

 

Die längst fällige Renovierung hatte wegen Geldmangel nicht stattgefunden. Die Zahlungsschwierigkeiten brachten in jeder Hinsicht Probleme mit sich, nicht nur bei der Instandhaltung des nicht abbezahlten Heimes.

 

Seine Frau Friederike war nicht zu Hause. Sie hielt ihre Teilnahme auf dem heutigen Betriebsfest für alternativlos, wegen der Verbesserung des Betriebsklimas, versteht sich. Sie hatte sich seit Wochen intensiv darauf vorbereitet. Ein Teil ihrer Vorbereitungen fand Leopold in der Abrechnung: teure Mode- und Kosmetikgeschäfte, eine Beauty-Farm und ein Juwelier.

 

Die Kosten dafür betrugen um die 2000 Euro. Schon wieder. Zum Glück gehörte das Geld der Bank. Dank Friederikes Leidenschaft hatten sie keine Ersparnisse mehr. Die verschobene Renovierung war ebenfalls ihr zu verdanken. Die dafür beiseite gelegte Summe verprasste sie, ohne zu fragen.

 

Sie wurde wütend, wenn sie herausfand, dass die Bank nach jeder Kartentransaktion eine Benachrichtigung auf Leopolds Handy schickte. Doch ihre Wut hatte sie schnell vergessen. Die Vorbereitungen auf das Fest waren so wichtig, dass sie vieles, was um sie herum vorging, nicht bemerkte.

 

Zum Beispiel, dass Leopold seit einem Monat nicht mehr arbeitete. Stattdessen packte er seine Koffer. Die Summe, die er abgehoben hatte, war im Vergleich zu Friederikes Ausgaben unerheblich, genauso wie die Kosten für die Anschaffung des Flugtickets.

 

Er legte die Abrechnung auf den Küchentisch und rief ein Taxi. Die Wartezeit überbrückte er damit, sorgfältig abzuschließen. Dann warf er seinen Schlüssel in den Briefkasten.

 

Die Fahrt zum Flughafen verlief still. Der müde Fahrer brauchte seine ganze Aufmerksamkeit zum Lenken und Leopold versank in seine Erinnerungen. Die Bilder, die vor seinen geistigen Augen vorbeiliefen, waren witzig. Dass Friederike, eine verheiratete Frau, fast 50 Jahre alt, sich wie ein mannstolles Teenie kleidete und sich bei jeder Gelegenheit auf Männerjagd begab, amüsierte ihn. Seine anfänglich Eifersucht war in dem Moment verschwunden, in dem er erkannte, wie er am besten mit der ganzen Situation fertig werden würde. Nach zahlreichen schlaflosen Nächten akzeptierte Leopold, dass sein Leben, so wie er es kannte, vorbei war.

 

Die Schulden waren erdrückend. Er sah keine Chance, das Geld jemals zurückzuzahlen. Die Raten der Hypothek zahlte er pünktlich. Lange Zeit versuchte er das Gleiche mit den Kreditkartenschulden, an deren Entstehung und Vermehrung er gar nicht beteiligt war. Seine letzte Zahlung vor zwei Wochen bestand nur aus dem Minimum, damit die Bank vorerst zufrieden war.

 

Das Jawort, das sie sich vor Jahren gaben, ließ nur eine einvernehmliche Lösung zu. Doch für Friederike kam ein sparsameres Leben nicht infrage. Sie war nicht einmal bereit, darüber zu diskutieren.

 

So blieb ihm nur das einseitige Handeln übrig.

 

Auf dem Flughafen herrschte reger Verkehr. Vor den Toren zum Sicherheitsbereich standen endlos erscheinende Schlangen. Leopold wartete geduldig. Bei der Passkontrolle fing das Schlangestehen wieder an und er wurde unbehelligt durchgelassen.

 

Vor dem Gate nahm er Platz und holte Handy und Kreditkarte aus seiner Tasche. Auf der Rückseite stand die Notfalltelefonnummer der Bank. Er rief an, nannte seinen Namen und das Passwort. Dann trug Leopold, der alleinige Kontoinhaber, eine Geschichte über eine unglückliche Reise vor, die zum Verlust der Karten geführt hatte. Man bedauerte das Ganze und bot an, sie sofort zu sperren, was er dankend annahm.

 

Nach dem Gespräch schaltete er sein Handy aus und warf es, zusammen mit dem nunmehr nutzlosem Plastikgeld, unauffällig in einen der zahlreichen Mülleimern im Wartebereich.

 

Bald stieg er zusammen mit den anderen Reisenden in den Flieger. Leopold fand seinen Platz schnell. Zwei Bücher hatte er für den Flug mitgebracht. Eins über die internationalen Aspekte des Familienrechts. Daraus verstand er nur das Wesentliche. In seinem Fall bestand das darin, dass es den deutschen Behörden nicht möglich war, in Ländern, die sich nicht der Haager Konvention zur Materie angeschlossen hatten, wegen nicht geleisteter Unterhaltszahlungen zu verfolgen.

 

Das andere Buch erzählte von den Zen-Klöstern in Japan. Sein Interesse wurde in der ersten Linie von den Erzählungen über Ausländer geweckt, die sich an solchen Orten die Ordination zum Mönch empfangen hatten. Nachdem man sich durch harte Arbeit nützlich erwiesen hatte, stand der nichts im Wege.

 

Man erzählte ebenfalls, dass kein Beamter der japanischen Einwanderungsbehörden es wagte, einem ordinierten Mönch die Aufenthaltsgenehmigung zu verweigern, wenn sein Antrag von einem Abt unterstützt wurde.

 

Die Triebwerke heulten auf und das Flugzeug hob ab. Über den Wolken, in der grenzenlosen Freiheit freute sich Leopold auf sein neues Leben: voller Arbeit und Entbehrungen, aber ohne Kreditkarten, Hypotheken und vor allen ohne Friederike.

 

 

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