Von Johannes Wöstemeyer

„Dr. Emilia Grünkolb gilt als brilliante Molekularbiologin, die weit über ihre wissenschaftliche Szene hinaus für bahnbrechende, innovative Forschung bekannt ist. Fast jeden Monat kann man im Fernsehen bewundern, wie sie mit geradezu genialen Ansätzen die weltweit bedeutendsten Infektionskrankheiten in den Griff bekommt.“

Nicht übel, dachte er. KI scheint die Problemlöserin im Umgang mit seiner Lektorin zu sein. ChatGPT zauberte in Sekunden aus den vier Stichwörtern ‚Wissenschaftler, Laborunfall, Erotik, Karriere‘ eine ganze Geschichte auf den Bildschirm. 

Was hatte sie neulich zu seinem neuen Roman geschrieben? Gleich im Anschluss an den Satz, der mit „Wir bedauern zutiefst, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ….“ schlug sie Verbesserungen für den nächsten Anlauf vor. 

„Sie müssen an Ihre Leser*innen denken; das sind überwiegend Frauen. Folglich sollten sie unbedingt an den entscheidenden Stellen mit Protagonistinnen arbeiten.“ 

Super, das KI-Programm schien dies automatisch zu erledigen. Mal sehen, sinnierte er, wie der Fortgang der Maschinengeschichte zu den anderen Tipps passte. 

„An einem späten Abend im Labor, Emilia schrieb nur noch ihr Tagesprotokoll, zerbrach unbemerkt eine Ampulle mit einem unheilvollen Gas. Eine gefährliche Konzentration baute sich im Labor auf.“

Herr W ist begeistert. Als hätte die Lektorin die KI selbst in die richtigen Bahnen gelenkt! Unerwartete Brüche wollte sie in seinen Texten sehen, solche, die Spannung aufbauten, die Leserin zum Mitfiebern veranlasste und die Handlung voranbrachte. Passt! Laborunfälle kommen gewiss gut an, vermutlich besonders bei einer angestrengt arbeitenden, momentan schutzlosen Wissenschaftlerin. Brauchte man noch einen Bruch? Mal sehen, was der automatische Geschichtengenerator vorschlägt.

„Dr. Christoph Weigel, ein ebenfalls bereits arrivierter Wissenschaftler aus der Nachbarabteilung des Instituts und überdies ihr bewährter und geschätzter Kooperationspartner, tritt unvermittelt hinter sie, lobt ihren wissenschaftlichen Fortschritt, dann ihre überwältigende Attraktivität …“

Und so weiter, dachte er. Den Rest des Absatzes musste er gar nicht lesen, sondern kopierte ihn gleich in seine lektorinnentaugliche Geschichte. Er war sich sicher, dass die Emotionen der beiden mit allen verfügbaren Klischees beschrieben werden würden, vom Siedepunkt der Gefühle trotz der überaus fordernden Arbeitssituation bis zu irgendwelchen spontanerotischen Aktionen, in denen man vermutlich versinken würde. Die KI baute gleich einen zusätzlichen Bruch in den Ablauf der Geschichte ein, der allerdings zwingend zu erwarten war. Dass die beiden der vorprogrammierten Explosion zum Opfer fielen und erst im Krankenhaus nach den üblichen, filmerprobten Komplikationen inklusive Koma und diversen Operationen wieder aufwachten, war ohnehin klar. 

Das Labor war zerstört, die Karrierehoffnungen für lange Zeit vernichtet, und – man erwartet es – das quälende Gewissen, die Schuldgefühle bei beiden, haben überaus rührselige Monologe zur Folge.

So etwas musste die Lektorin gemeint haben, dass er bei allem Respekt für seinen abgelehnten Wissenschaftsroman unbedingt die Gefühlswelt der Protagonistin gebührend einbringen sollte. Kein Problem. Das Programm schuf sogar eine komplementäre Emotionsebene für den männlichen Counterpart. Sollte dies erlaubt sein? Man würde sehen. 

Der Schluss, den die KI zauberte, gefiel ihm nicht recht, passte jedoch zu den Ratschlägen, die er in diversen Taschenbüchern zum Thema ‚Wie schreibe ich richtig’ gefunden hatte. Die Maschine bestand auf einem Happy End. Das wollte die Lektorin ohnehin, konnte folglich nicht vollends verkehrt sein. Der Verdacht, die Lektorin und die KI könnten dieselben Ratgeber gelesen haben, ließen ihn lächeln.

„Emilia und Christoph arbeiteten die folgenden beiden Jahre intensiv und in jeder Hinsicht erfolgreich am Wiederaufbau des Labors und, deutlich schwieriger, an der Wiederherstellung ihrer wissenschaftlichen Reputation.“

Ein Schuss Moralinsäure schien für ChatGTP unbedingt den krönenden Abschluss bilden zu müssen. Auch recht. Die ‚Moral von der Geschichte‘ am Ende, wenn auch oft mit ironischem Unterton, hatte eine gewisse Tradition in der Literatur. 

„Emilia und Christoph widmeten sich von nun an ganz ihrer Leidenschaft für die Molekularbiologie und ihr wissenschaftliches Ansehen und ließen nie mehr zu, dass persönliche Emotionen ihre Arbeit beeinträchtigten.“

Und wenn sie nicht gestorben sind, …, grinste er. Was soll‘s. Diese Maschine schien bestens geeignet zu sein, die vom Verlag erwarteten Texte zu erzeugen. Der Schluss allerdings gefiel ihm durchaus nicht. Es fehlte unbedingt die Attacke auf die Lektorin, die er sich vorgenommen hatte. Dazu mutierte er aus der Verlagsmitarbeiterin die Institutsdirektorin und hängte ihr rasch etliche unangenehme Eigenschaften an. Bei Chefs aller Art wird das ohnehin erwartet. Versuchsweise fütterte er ChatGPT mit dem zusätzlichen Stichwort ‚Rache‘. Das klappte zuverlässig. Allerdings schien ihm der Vorschlag der Maschine, die Widersacherin in eine Schlucht zu stürzen und somit zu ermorden, deutlich zu drastisch. Der Schluss war endlich seine Aufgabe.Er ließ die Chefin von nun an bei jeder Arbeitsgruppenbesprechung den Kaffe möglichst dekorativ verschütten. Ihm gefielen als Ziele neben ihrer eigenen Bluse besonders gut die Hose des Nachbarn und der Laptop der Nachbarin.

Zuletzt schickte er sein Konstrukt als Probekapitel an die Lektorin und wischte die kleine Teepfütze auf dem Schreibtisch mit dem Ärmel auf. 

 

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