Von Helga Rougui

„Literaturkurs??? Also echt nee dankesehr … da legense dir n Gedicht von irgend so nem verstaubten Dichtertypen vor … wie in Deutsch wa … un dann fängt dat Sezieren an .. wat will uns der Autor sagen … und dazu die endlosen schlauen Ergüsse von der Förchte oder dem Peltzer … “

„.. boahhh neee stundenlange Vorträge … da musse noch aufpassen dasse nich einschläfst … aber Kunst?? – zeichnen oder malen kann ich nun mal nich …“

„…  und Musik? – auch schlimm … wat ne richtig geile Mucke is dat checkt die Musiktante nich – und ich und n Instrument … ja alles klar ej – Blockflöte? Triangel?? Hahaha.“

 

Wenn man Pausenaufsicht hat, hört man so manches Schülergespräch mit – und die, die einen nichts angehen, sind besonders interessant. Innerlich feixte ich. Gerade die beiden Germanisten, die auf sich selbst so große Stücke hielten, kriegten hier ihr Fett weg. Schülermund tut Wahrheit kund – und was die hochverehrte Dame Förchte anging, so war ihr Name allein schon ein Omen. Diese Frau war zum Fürchten – langweilig, hausbacken und selbstgefällig. Das wäre egal gewesen, unangenehme Kollegen gibt es immer, aber leider war sie die Chefin unserer altehrwürdigen Lehranstalt, und man legte sich besser nicht mit ihr an. Oder wenn doch, dann aus purem Mutwillen, weil man nichts mehr zu verlieren hatte.

So beispielsweise ich.

Ich hatte nichts mehr zu verlieren, hatte mich von der Karriereleiter der höheren Beamtenlaufbahn schon in jungen Jahren verabschiedet, und jetzt im fortgeschrittenen Alter nach langer Dienstzeit winkte mir einladend der Ruhestand. Hier sah ich eine Gelegenheit, mich mit Verve via Zwergenaufstand in selbigen zu verabschieden.

 

Ein bißchen Geschmeichel hinsichtlich außerordentlicher Führungsqualitäten, eine geschmeidig platzierte Zustimmung zu preußisch-humanistischen Bildungsidealen, eine strategisch günstige, geschickt genutzte Sitzordnung beim Kollegenausflug kurz vor den Sommerferien – und die Unterrichtsverteilung wies ganz in meinem Sinne mich – und nicht der Chefin beflissenes Alter Ego Peltzer – als die Leiterin des Literaturkurses aus.

Nach fast vierzig Jahren Schuldienst weiß man, wie man bekommt, was man will.

 

***

 

Nun also.

Erste Unterrichtsstunde nach den Sommerferien.

Acht Uhr früh.

Sehr inspirierende Tageszeit für autoritär angeordnete Kreativität.

Dementsprechend kamen sie hereingeschlurft, die Teilnehmer des neueingerichteten Literaturkurses. Ließen sich schwer und schicksalsergeben auf die Stühle fallen, Taschen wurden abgestellt respektive fallengelassen, Gähnen, halblaute, aus der Pause hinübergerettete Unterhaltung in mancherlei Sprachen.

 

„Guten Morgen!“, übertönte ich frischfröhlich das abebbende Gemurmel, „Warum sitzen Sie hier? Ich meine – in diesem Kurs? Was erwarten Sie in diesem „Literaturkurs“?“

 

Antworten kamen, ganz auf der Linie des von mir belauschten Pausengesprächs, nur etwas vornehmer und weniger personenbezogen formuliert.

 

„Tja,“ sagte ich, nachdem keine Wortmeldungen mehr kamen, und faßte zusammen, „also alles in allem sind Sie hier, weil Sie weder für Musik noch für Kunst Talent haben – aber den Umgang mit Literatur sind Sie gewohnt, lesen und interpretieren können Sie – nur leider werden Sie beides nicht tun in diesem Kurs …“

 

Plötzlich waren alle still, hörten zu.

 

“ … Sie werden schreiben.“

 

***

 

Die Einwände, die nach dieser Ankündigung postwendend kamen, ignorierte ich – jeder kann schreiben (ob gut oder schlecht, darauf kommt es nicht an – allein der Wille, sich darauf einzulassen, zählt).

 

„Um den Druck ein wenig von Ihnen zu nehmen – vergessen Sie, daß Sie schreiben sollen, denken Sie einfach, daß ich Ihnen jetzt etwas zum Basteln gebe -“

 

Während ich sprach, nahm ich einen Stift und schrieb in Großbuchstaben

 

PARKUHR

FRISEUR

BALLETT

STRUMPFHOSE

STREICHHOLZ

 

auf das Whiteboard.

 

„- fünf Wörter, die Sie in einen Text, eine Geschichte, ein Gedicht, was auch immer, einbauen sollen, die Reihenfolge ist nicht zwingend, die Wörter dürfen dekliniert werden. Sie haben eine Stunde Zeit. Dann liest jeder seinen Text vor.“

„Ach nööö – müssen wir echt alle vorlesen?“

„Ja, alle.“

 

***

 

Alle lasen vor, ohne Sträuben oder Ausflüchte. Manche nicht ungern, sieh an. Unterschiedliche Lösungen, unterschiedliche Texte, so verschieden wie die Menschen, die sie erdacht und verfaßt hatten. Und einige waren richtig, richtig gut, und gänzlich mißlungen war kein einziger.

 

Das versprach ein sehr interessantes Schuljahr zu werden.

 

Sie möchten wissen, was meine Schüler geschrieben haben?

Kommen Sie vorbei auf eine Tasse Tee, dann zeige ich Ihnen die Texte …