Von Klaus Helfrich
Dass Georg aka Schorsch aka „Der Friseur“ mal der geschickteste Killer für das Kartell sein würde, war ihm nicht in die Wiege tätowiert worden. Er tötete lautlos mit der Garotte, einem Würgedraht mit Holzgriffen an den Enden. Die Technik hatte er in Marseille kennengelernt und im Laufe der Jahre perfektioniert.
Schorschs bürgerlicher Beruf war Friseur. Sein ehemaliger Lehrherr, er hatte zuviel von den Unterhaltungen der Bosse aufgeschnappt und dann geplaudert, wurde das erste arglose Opfer. Ihn strangulierte er noch mit dem Friseurumhang, nachdem er ihm die Haare geschnitten hatte. So hatte die Lehre doch noch ihr Gutes gehabt und ihm den Namen „Der Friseur“ verschafft. Er wurde der Mann für spezielle Tötungen innerhalb des Kartells. Nur der Boss wusste, wer und was Schorsch wirklich war und wie er aussah, aber es gab Gerüchte um einen mörderischen Scherenklapperer.
Sein aktueller Auftrag führte Schorsch in die Talstraße fünfzehn. Er spionierte das dort gelegene Hochhaus mehr als zwei Wochen aus, sprach mit Mietern und vermied es, Harry Schnitzer zu begegnen. Mit einer jungen Frau aus dem vierten Stock kam er im Fahrstuhl ins Gespräch. Sie akzeptierte ihn ohne Schwierigkeiten als gleichaltrige Frau. Das war eine seiner liebsten Tarnungen. Seine weichen, ein wenig femininen Gesichtszüge und das Fehlen jeglichen Bartwuchses, die langen Wimpern, all das machte es ihm leicht, sich als Frau zu verkleiden. Sie unterhielten sich kichernd wie Freundinnen über Klavierunterricht und Ballett und lästerten über die Bewohner des Hauses.
„Alles Hartzer“, stellte Schorsch fest. Die junge Frau nickte zustimmend und antwortete:
„Irgendein Perversling hat mir letztlich sogar eine Strumpfhose von der Leine geklaut. Irgendwie, ich weiß auch nicht warum, habe ich diesen Glatzkopf, den Herrn Schnitzer aus dem Fünften im Verdacht. Ich glaube aber, der ist kein Hartzer, der fährt so ein hübsches Cabrio. Warum der bloss hier wohnt. Der sieht so schön brutal aus, auch mit seiner blonden Perücke, der macht sicher schlimme Sachen!“
‚Wie recht sie hat‘, dachte Schorsch, aber lange würde der ‚Herr Schnitzer‘ nicht mehr sein Unwesen treiben.
Schorsch bereitete jeden seiner Jobs akribisch vor, Überraschungen kamen von ganz alleine, da musste man nicht auch noch schlampig sein. Harald Schnitzer – Nomen est Omen: „Harry der Schnitzer“ war ein Profi mit dem Messer, aber er benutzte auch jede andere Waffe, Hauptsache sie tötete zuverlässlich.
Bei seinen letzten Mord gebrauchte Harry Revolver und Messer. Zwei Pitbulls schützten den „Strammen Max“. Harry hatte sie nach kurzem Kampf erschossen, bevor er Max ein Messer ins Herz rammte. Schorsch beobachtete den blutigen Kanpf und wusste, er musste auch mit einem verwundeten Harry verdammt vorsichtig umgehen. Trotzdem verfolgte er ihn weiter über den Kiez und als er um eine Hausecke bog, stand er nur ein paar Meter entfernt von dem Verletzten. Dessen Hose war zerrissen. Aus einer Wunde am linken Unterschenkel quoll Blut und sammelte sich in einer kleinen Pfütze. Mit beiden Händen hielt er sich an einer windschiefen Parkuhr fest und jammerte:
„Bitte helfen Sie mich!“
Er verlor den Halt, sackte in sich zusammen und landete auf dem Gehsteig. Unter seinen falschen blonden Haaren – die Perücke war verrutscht – wurde die Glatze sichtbar.
Schorsch rannte hin, kniete nieder und band mit seiner Krawatte das Bein des Bewußtlosen ab. Er brachte die Blutung zum Stillstand. Hier konnte er den Kerl nicht erledigen. Gerade als er sein Handy hervorkramte, um seine Helfer zu rufen, spürte er, wie ihm ein harter Gegenstand in die Rippen gestoßen wurde. Der Verletzte war aufgewacht und herrschte ihn an:
„Na Bubi, dat lassen wir mal besser, sonst verpass ikke dich ne Kugel! Schmeiß deen Handy weg und helf mir hoch, dann sehen wir weiter…“
Er stupste Schorsch noch einmal mit dem kurzen Lauf seines Revolvers in die Rippen. Das war unmissverständlich. Sicher, dass er die Sache auch ohne Helfer regeln konnte, warf er das Handy weg. Der verletzte Mann fragte:
„Haste ’nen Namen? Ikke bin Harald, Freunde nennen mir Harry. Und wie heißt du, was machst du?“
„Mein Taufname ist Georg, aber alle nennen mich Schorsch, ich räume den Dreck weg! „, selbst wenn er log, versuchte Schorsch, dicht bei der Wahrheit zu bleiben.
Harry wurde wieder bewusstlos. Schorsch schnappte sich den Revolver und was er schon geahnt hatte, stellte sich als wahr heraus: Alle Patronen waren abgefeuert worden, in der Trommel befanden sich nur noch Patronenhülsen. Er warf die nutzlose Waffe in den Rinnstein. Sie landete neben seinem Handy und einer zerrissenen Damenstrumpfhose – ein modernes Stillleben.
Harry wachte auf und unterbrach Georgs Gedanken zu zeitgenössischer Kunst:
„Haste gemerkt, die Töte war leer. “
Darauf ging Schorsch gar nicht ein, sondern tat ahnungslos:
„Nun erzähl mal, Harry, was ist dir zugestoßen und warum darf ich keine Hilfe rufen? Hast du was verbrochen, wirst du verfolgt?“
Harrys schaute ihm abschätzend ins Gesicht und blaffte los:
„Biste ganz schön neugierig, Schorsch, du Milchbubi! Auch wenn meinereiner nicht so unschuldig wie deinereiner ausschaut, ikke bin keen Verbrecher. Im Park hat eener seene Pitbulls auf mir gehetzt und ikke habe mir gewehrt, die Tölen beißen keenen nicht mehr, nie nicht wieder! Bringste mir in die Talstraße fünfzehn. Du weeßt schon, dat Hochhaus mit die vielen Kanaken und Assis, da wohne ikke. Zu Hause habe ich genug Knete liegen. Soll dein Schade nicht sein! Und dein Handy und die Töte nimm mit, muss ja keener finden! Vergiss die Strumpfhose nicht! Und hier meene Haare.“
Er streifte die Perücke ab, grinste sie an und sagte:
„Wir zwo beede brauchen keenen Friseur, nicht wahr nicht! “
Damit drückte er Schorsch die falschen Haare in die Hand. Der sammelte den Revolver und das Handy ein, fragte auch nicht wegen der Strumpfhose nach. Er wusste ja, dass die zweckentfremdet noch vor ein paar Minuten über Harrys Kopf gezogen war, um ihn unkenntlich zu machen. Dann mimte er den Ahnungslosen:
„Talstraße? Das ist aber mindestens eine halbe Stunde zu Fuß und du kannst sowieso nicht weiter laufen. Ein Taxi kann ich nicht rufen, mein Handy…“
„Papperlapapp Schorsch Handy Bandy, da drüben steht meine Karre, das schnieke weiße VW Cabrio. Hol die Kiste her. Hier sind die Schlüssel. Fahren kannste doch Schorsch, mein Mädel?“
Klar konnte Schorsch fahren. Er holte das ’schnieke weiße VW Cabrio‘ und verfrachtete Harry auf den Beifahrersitz. Er selbst nahm wieder hinter dem Steuer Platz.
„Das war ne hübsche Frau, der ikke den Kleenen abgekauft habe! Was sagste, Schorsch, haste auch so ein geiles Cabrio?“ , Harry klopfte stolz auf das Armaturenbrett.
‚Abgekauft‘ der hat Nerven. Fünf Wochen hatte die rote Annie nicht anschaffen können, so hatte Harry sie zugerichtet, als er ihr das Cabrio abgenommen hatte, das ihr irgend so ein reicher Liebeskasper geschenkt hatte. Das mit Harry musste bald ein Ende haben. Wider besseres Wissen antwortete er:
„Ja Harry, mein Freund, da hast du dir ein tolles Cabrio gekauft, so was kann ich mir nicht leisten. Eigentlich habe ich zur Zeit keinen eigenen Wagen, manchmal darf ich den Daimler von meiner Mutter benutzen“, er konnte die kommenden Anspielungen quasi riechen, ‚Freund‘ Harry war berechenbar und dann legte der auch schon los:
„Na Muttersöhnchen, denn gib Gas. Aber nicht heim zu deener Mama, sondern zu mich nach Hause in die Talstraße fünfzehn, den Weg kennste hoffentlich? Nächste links, dann zweite rechts und dann immer geradeaus bis zur Ecke Talstraße/Parkallee, das Hochhaus steht direkt an der Kreuzung, kannste nicht übersehen. Los gib Feuer!“
„Du, ich habe kein Feuerzeug und auch kein einziges Streichholz, ich rauche nicht und du solltest das auch nicht tun, ich möchte nicht, dass es dir wieder schlechter geht!“
Harry schaute Schorsch ungläubig an. Erst brachte er kein Wort hervor, dann aber schrie er:
„Gib Gas, fahr los oder gib Feuer, was verstehste daran nicht? Biste doof? Nee, ikke will nich‘ rauchen!!“
„Ja! Ja!“, langsam wurde Schorsch mürrisch. Er schnallte sich an, startete den Motor und ‚gab Feuer‘. Nach ein paar Minuten erreichten sie das Hochhaus und Harry dirigierte ihn auf den Parkplatz direkt zum Hauseingang. Kaum stand der Wagen, da öffnete Harry die Autotür auf seiner Seite. Er drehte Schorsch den Rücken zu, schwang die Beine heraus und wartete mit neuen Befehlen auf:
„Was trödelste rum Muttersöhnchen, soll ikke vielleicht zur Haustür kriechen? Harald Schnitzer fünfter Stock, der Hausschlüssel mit dem eckigen Kopf ist am Bund mit dem Autoschlüssel. Ikke mach dich gleech Beene, mein Mädel!“
Der Harry-Job ging Schorsch total auf den Wecker. Er würde die Sache hier auf dem Parkplatz zu Ende bringen, er war jetzt in der richtigen Stimmung. Er hasste diesen Messerhelden abgrundtief und wollte nicht abwarten, bis sie in der Wohnung waren. Dort würden sich weitere Waffen befinden, das musste er nicht riskieren. Er holte die Garotte aus der Tasche, packte die beiden Holzknebel an den Enden, kreuzte den Draht und bildete eine Schlinge, die er mit einer geschmeidigen Bewegung über Harrys Kopf streifte, runter bis zum Hals führte und zuzog. Jegliche Gegenwehr unterband er im Ansatz, indem er sein Opfer umriss und auf den Fahrersitz zerrte, so dass dessen Oberkörper und Arme zwischen Lenkrad und Sitzlehne eingeklemmt waren. Ein ungleicher Kampf entbrannte, Harry strampelte verzweifelt mit den Beinen, der Mörder saß zurückgelehnt hinter ihm auf dem Asphalt, drückte sich mit den Füssen am Trittbrett ab und zog den Draht unerbittlich stramm. Nach zwei Minuten war „Harry der Schnitzer“ Geschichte. Andere Opfer hatten länger durchgehalten, aber wenn Schorsch mit ihnen fertig war, dann waren sie mausetot. Jetzt auch dieser Provinzlude aus Bonn mit seinem plump aufgesetzten unechten Dialekt. Der falsche Berliner, schon dafür hatte er den Tod verdient. Schorsch war stolz auf unsere Hauptstadt, seine Heimat Berlin.
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