Von Ingo Pietsch

Klemens hatte es sich auf einer Parkbank niedergelassen und seinen Notizblock und Bleistift gezückt.

Er genoss den herrlichen Sonnenschein und neben ihm stand ein dreirädriger Kinder-Buggy im Schatten.

Klemens ließ sein Blick durch den Park schweifen, holte tief Luft und begann einige Gedanken zu Papier zu bringen.

Immer wieder schaute er auf, wenn ab und zu ein Spaziergänger vorbei kam oder ein Vogel zwitscherte.

Gerade setzte Klemens den Stift wieder aufs Papier, als eine junge Frau sich laut schnaufend auf das andere Ende der Bank fallen ließ und ihren Retro-Kinderwagen gegen seine Beine donnerte.

„Entschuldigung!“, presste sie zwischen zwei tiefen Atemzügen durch ihre zusammengebissen Zähne und zog das klobige Fahrzeug ein Stück zurück.

Klemens lächelte sie an, um ihr zu zeigen, dass nichts passiert war, doch sie hatte ihn gar nicht richtig wahrgenommen.

Vielmehr spielte sie mit ihrem Smartphone herum und murmelte: „Wo bleibst du nur?“

Klemens starrte die zwar gestresste, aber trotzdem attraktive Frau an: Langer Pferdeschwanz und figurbetontes Sportoutfit.

Die Sonne blendete ihn und er musste genauer hinsehen. Gestern war sie bei ihm im Supermarkt einkaufen gewesen. Beinahe hätte er sie nicht wiedererkannt. Trug sie doch ihre Haare sonst offen, Brille und Kostüm, wie fast jede Bankangestellte.

Frau Bornholm, formte er lautlos mit den Lippen.

Die drehte sich zu ihm hin: „Ist irgendwas?“, fragte sie arrogant.

Klemens schüttelte den Kopf. „Ich hatte mich gerade nur gefragt, wie Sie so privat sind.“

Sie war sichtlich verwirrt und kniff ein Auge zusammen: „Kennen wir uns von irgendwo her?“

„Ich arbeite im Supermarkt gegenüber ihrer Bank, da wo Sie immer ihren Salat zu Mittag holen.“

In ihrem Gesicht konnte man sehen, wie sie nachdachte. Dann schnippte sie mit dem Finger: „Jetzt, wo sie es sagen.“ Ein Klingelton ging von ihrem Smartphone aus und sie tippte wieder wild drauf herum.

Da sie anscheinend ein Kind hatte, musste es ja auch einen Vater geben. Er hatte sich öfter vorgenommen sie anzusprechen. Sie trug keinen Ring. An der Kasse hatte er auch kein Foto in ihrem Portmonee von ihrer Familie entdecken können. Sie musste also ungebunden sein. Immer grüßte sie ihn freundlich und war dann mit den Fingern durch ihre Haare gefahren, hatte sich noch einmal umgedreht und gelächelt. Und dass sie ihn nicht wiedererkannt hatte, lag wahrscheinlich daran, dass er seine Berufsbekleidung nicht trug. Dass passierte ihm öfters.

„Ich hatte Sie mir eigentlich netter und nicht so herablassend vorgestellt.“ Klemens hielt sich den Mund zu. Wie peinlich! Bei vielen Kunden stellte er sich die Frage, wie sie wohl waren, wenn sie sich in ihren eigenen vier Wänden befanden. Wie sie redeten, sich bewegten oder was für Kleidung sie trugen.

Anscheinend war Frau Bornholm zu tief in ihre Textnachrichten vertieft, dass sie ihn wieder nicht wahrnahm.

Klemens widmete sich auch wieder seinem Block. Dann begann er erneut auf seinem Stift zu kauen und kam nicht weiter.

Da begann das Kind von Frau Bornholm zu weinen.

„Mist, Mist, Mist! Was mach ich denn jetzt?“, fragte sie panisch und ruckelte ungeschickt am Wagen herum.

Klemens schaute verwirrt und ärgerlich von seinem Block auf.

Der Gedanke, der ihm gerade gekommen war, war verflogen.

Flehend wandte sich Frau Bornholm an ihren Banknachbarn: „Was soll ich jetzt machen?“

Klemens merkte, dass sein Kind von dem Lärm auch unruhig wurde.

Er stand auf, blickte in den Kinderwagen und stöpselte den Schnuller wieder ein.

Ein zufriedenes Nuckeln war zu hören.

Ungläubig prüfte sie, ob das Kind tatsächlich ruhig blieb.

„Das war ja einfach. Wie haben Sie das gemacht? Sie scheinen sich ja gut mit Kindern auszukennen. Herr?“, fragte sie jetzt beruhigt und freundlicher.

„Rother. Einfach nur Klemens. Wenn man mit drei Kindern zu tun hat, lernt man eine ganze Menge, Frau Bornholm. Entschuldigen Sie, aber Sie scheinen mit ihrem Kind nicht so gut klar zu kommen.“

„Tanja“, antwortete sie und hielt sich die Hand auf die Brust. „Das ist nicht mein Kind. Das Schnuckelchen gehört meiner besten Freundin. Wir sind zusammen joggen und sie musste mal dringend wohin.“

„Ich passe hier auch nur auf. Das Jüngste hier und noch zwei weitere gehören meiner Schwester. Die ist auch gerade unterwegs. Ich habe selber keine Kinder und bin Single.“ Er hob eine Augenbraue.

„Ich lasse mir damit noch Zeit. Ich bin auch Single. Im Moment ist die Karriere wichtiger. Was machen Sie da eigentlich?“ Tanja zeigte auf den Notizblock.

„Oh, ich schreibe jeden Monat eine Kurzgeschichte zu einem vorgegeben Thema. Ich warte auf die richtige Inspiration, aber die kommt heute irgendwie nicht.“ Klemens zuckte mit den Schultern.

„Wie lautet das Thema denn?“, wollte sie wissen.

Aus irgendeinem Grund wurde Klemens rot: „First date.“

Tanja machte einen überzogenen Kussmund. „Und dazu fällt Ihnen nichts ein?“

„Wenn ich so an meine letzten Dates zurückdenke, wollte ich eigentlich keine Horrorgeschichte schreiben.“

„So schlimm?“, hakte sie nach.

Klemens kratzte sich am Kinn: „Nicht mein Typ, nicht mein Typ, nicht mein Typ. Ich bin einfach zu nett. Eher der beste Freund oder Kumpel.“

Tanja grinste: „Wie wäre es mit einem Kinderwagen-Verleih-Service. So sind wir doch auch miteinander ins Gespräch gekommen.“

Klemens schrieb etwas auf: „Rent-a-kid. Wie hört sich das an?“

„Schon mal ein guter Titel. Darf ich mal den Block?“ Sie notierte etwas.

„Klar. Aber funktioniert das auch?“ Klemens war noch skeptisch.

„Natürlich. Meine Telefonnummer hast du schon mal.“

Beide fingen an zu lachen und gleichzeitig weinten beide Kinder.