Von Miklos Muhi

»Onkel Oskar geht es gut«, sagte der Anwalt. Er saß im Besucherraum der städtischen Haftanstalt, einem gewissen Johann Schmidt-Rotenburg gegenüber. Johann, auch unter dem Namen Chef bekannt, befand sich in einer misslichen Lage. Er saß in U-Haft wegen eines versuchten bewaffneten Raubüberfalls auf ein Hotel in der Innenstadt. Es sah so aus, als müsste er sich auf einen längeren Aufenthalt im Knast gefasst machen.

 

Dabei war alles so gut durchgeplant. Der Strom wurde in der ganzen Straße abgestellt, die Mitarbeiter der Rezeption ausgeschaltet und ein Handystörgerät eingesetzt. Alles vergeblich, weil irgendein Idiot den Feueralarm ausgelöst hatte. Der Chef wollte wissen, wer das war und sein Anwalt stand ihm stets zu Diensten. Es gab Hinweise in den Akten, aber letzte Gewissheit brachten die Entdeckungen einer zwielichtigen Detektei.

 

»Das freut mich«, sagte der Chef. »Kümmere dich bitte sein Geburtstagsgeschenk.« Sein Anwalt nickte und sie fingen mit den Vorbereitungen für die Gerichtsverhandlung an.

 

*

 

»Hallo, ich bin die Irene«, hörte Oskar, als er eifrig im Hotel mit Bob, seinem gelben Schwamm, eine Toilette schrubbte. Er schrak auf. Neben ihm stand eine junge Frau in der Uniform des Reinigungspersonals.

»Hallo, ich bin der Oskar. Bist du neu hier?«

»Ja, ich habe gestern angefangen. Ich habe schon viel über dich gehört«, antwortete sie.

»Hat sich jemand beschwert?«, fragte Oskar besorgt.

»Nein, ganz im Gegenteil. Man erzählt sich, du wärest der fleißigste Arbeiter hier«, sagte Irene und lächelte.

Oskar errötete tief und wusste für eine gefühlte Ewigkeit nicht, was er antworten sollte. Das war seine längste Unterhaltung mit einer Frau, von seiner Mutter abgesehen.

»Alles nur Quatsch«, sagte er, »aber jetzt muss ich wirklich weiterarbeiten.«

»Kein Problem. Wir sehen uns nach der Arbeit«, sagte Irene und verließ die Toilette.

 

Oskar war verwirrt, aber es war eine gute Art von Verwirrung. Irgendwie gefiel ihm, dass man über ihn Gutes redete und dass die Neue das sofort zu hören bekam.

 

Seine Überraschung war groß, als er nach mehr als zwei Stunden nach dem eigentlichen Ende seiner Schicht das Hotel verließ und Irene neben dem Ausgang stehen sah.

»Hallo«, sagte sie.

»Hallo. Alles in Ordnung?«, fragte Oskar.

»Ja, sicher. Ich sagte doch, dass wir uns nach der Arbeit sehen«, antwortete Irene und lächelte. Oskars Herz schlug sofort schneller.

 

*

 

Bald waren Irene und Oskar unzertrennlich. Sie erzählten sich alles und verbrachten viel Zeit auch außerhalb der Arbeit zusammen.

 

An einem blau-grauen und dunstigen Junimorgen, der einer verregneten Nacht folgte, wartete Irene auf Oskar mit einem Paket in der Hand.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«, sagte sie und überreichte es ihm.

»Danke schön«, sagte Oskar. Das war das erste Mal seit vielen Jahren, dass er ein Geschenk zu seinem Geburtstag bekommen hatte. »Was ist da drin?«, fragte er.

»Eine Sternblume in einem Blumentopf. Sie ist noch klein. Du musst sie hegen und pflegen und nicht mehr als zweimal pro Woche gießen. Sie braucht viel Wärme und Licht. Am besten stellst du sie auf die Fensterbank.«

 

Oskars Freude war grenzenlos. Zu Hause hatte er zwei Pflanzen, einen Kaktus und einen Topf mit Zyperngras. Er sorgte sich um die beiden genauso eifrig, wie er seiner Arbeit nachging.

 

*

 

Der Hoteldirektor saß nachdenklich in seinem Büro. Er hatte für den Vormittag alle Termine lassen.

 

Die Versicherung hatte den materiellen Schaden, verursacht durch den vereitelten Raub, ersetzt. Die Täter saßen hinter schwedischen Gardinen und die Staatsanwaltschaft bereitete die Anklage vor. Alles bestens … na ja … fast alles.

 

Die Gauner hatten erfahren, wer den Feueralarm damals ausgelöst hatte. So schwierig war das nicht. Nur einer kam infrage.

 

Sie hatten im Knast ausgezeichnete Beziehungen und waren von Oskar verständlicherweise nicht gerade angetan. Abgesehen davon, dass er ihnen die ganze Aktion versaut hatte, war er ein potenzieller Kronzeuge. Sie wollten ihn in den Knast haben. Gewalttaten, Unfälle und Selbstmorde in den Gefängnissen waren nichts Ungewöhnliches. Ein toter Oskar ohne einen Bezug zu ihnen würde ihnen einige Jahre ersparen.

 

Zum Glück war das Gefängnis nicht nur voller Verbrecher, sondern auch voller Spitzel, die für die Behörden arbeiteten. Diese wiederum beschäftigten einige gute Freunde des Hoteldirektors, die ihn über den aktuellen Stand der Ermittlungen auf dem Laufenden hielten. Aus den gelieferten Informationen konnte der Hoteldirektor ein ganz düsteres Bild zusammensetzen. Das Düsterste daran war, dass die Behörden scheinbar unfähig waren, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

 

Er konnte Oskar nicht einfach anrufen und ihm alles erzählen. Er würde es nicht begreifen. Einen so nützlichen Angestellten verlieren wollte er auch nicht. Der Plan nahm in seinem Kopf langsam Gestalt an.

 

In der Mittagspause rief er einen Bekannten an, der ihm einen Gefallen schuldete. Nach zähen Verhandlungen waren sie einig.

»Ich muss verrückt sein, dass ich eingewilligt habe.«

»Und ich muss verrückt gewesen sein, dass ich euch damals nicht buchstäblich im Regen stehengelassen habe. Das ging ganz schön ins Geld und Reputation«, antwortete der Hoteldirektor.

»Gut, meinetwegen, aber dann sind wir quitt. Ist das klar?«

»Sicher doch, quitter geht es gar nicht.«

»Morgen früh hast du es auf dem Schreibtisch.«

»Danke«, sagte er und legte auf.

 

Am nächsten Tag war der Umschlag da. Der Hoteldirektor öffnete ihn, holte ein Stück Papier heraus und machte eine Kopie davon. In der Mittagspause ging er zur Personalabteilung. Alle waren beim Mittagessen und er konnte sich an die Personalakten und an die vorbereiteten und noch nicht versiegelten Umschläge mit den Gehaltsabrechnungen zu schaffen machen.

 

*

 

»Hier ist die Polizei! Sofort aufmachen!«

Im nächsten Moment ging die Tür krachend auf und Beamten drangen in die Wohnung ein.

»Wo ist Oskar Bender?«, fragte einer.

Als er seinen Namen hörte, kam Oskar aus seinem Zimmer.

»Ich bin Oskar Bender«, sagte er. Als die Personalien der Mitglieder der WG überprüft wurden, gingen die Beamten zusammen mit Oskar in sein Zimmer.

»Was haben wir denn da?«, fragte der Einsatzleiter und zeigte auf die neue Zimmerpflanze.

»Das ist eine Sternblume«, antwortete Oskar.

»Ja, natürlich, eine Sternblume. Gehört sie Ihnen?«

»Ja. Wem sollte sie denn sonst gehören?«, fragte Oskar.

Der Einsatzleiter überreichte ihm ein Stück Papier.

»Das ist ein Durchsuchungsbeschluss für Ihre Wohnung. Mal sehen, ob wir mehr Sternblumen finden, ob frisch oder getrocknet«, sagte der Einsatzleiter.

 

Oskars Zimmer wurde durchwühlt und er durfte zusehen. In den anderen Zimmern der WG machte ein Beamter mit dem Hund nur je eine Runde.

 

Nach einer halben Stunde brachte man dem Einsatzleiter ein Stück Papier.

»Was ist das? Geben Sie es her.«

Nachdem er das Papier überflogen hatte, sprach er in sein Funkgerät.

»Hier ist Polizeimeister Ronald Lorenz, München II. Ich brauche eine Bestätigung für die Sondergenehmigung Nummer 774895 … Ja, ich warte … Mist! Danke.« Er wandte sich an Oskar. »Warum haben Sie nicht gesagt, dass Sie eine Genehmigung dafür haben?«

»Was denn für eine Genehmigung? Muss man für Sternblumen eine Genehmigung haben?«, fragte Oskar.

»Ja, für Sternblumen, verdammt noch mal!«, antwortete der Einsatzleiter und las das Dokument, das man im Umschlag mit Oskars letzten Gehaltsabrechnung gefunden hatte, aufmerksam durch.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte er, dann wandte sich an seinen Kollegen. »Er hat für den Anbau von Cannabis eine Sondergenehmigung wegen früh einsetzender Demenz.« Dann überreichte er Oskar eine Visitenkarte. »Hier steht die Telefonnummer unserer Rechtsabteilung«, sagte er. »Für die Schäden, die wir verursacht haben, kommen wir selbstverständlich auf. Auf Wiedersehen!«

 

*

 

Oskar erinnerte sich immer lächelnd, aber auch mit einer Prise Traurigkeit an diesen Vorfall. Die Sternblume blühte nicht und er sah Irene nie wieder.

 

Version 2