Von Ines Müller

Es riecht nach gemähtem Rasen, eine Amsel zwitschert ihren Abendgesang.
„Der Nachbar war fleißig im Garten“, sagt Mike. Sein Schlüsselbund klirrt in der Hosentasche.
Tom und Wemsi folgen ihm über das Grundstück.
„Ganz schön zugewuchert“, sagt Wemsi. „Waren wir echt so lange nicht da?“
Tom nickt nur, den Blick auf den Weg gerichtet.
Sie steuern auf den Holunder zu, dahinter: der alte Schuppen.
„Da wären wir!“ Mike zückt den Schlüssel.
„Könnte staubig werden.“
„Ich war zuletzt vor elf Jahren mit euch hier“, sagt Wemsi.
Die drei blicken sich an.
„So lange ist das her?“
Tom rechnet und nickt.
Die Tür springt auf.
„Um Himmels willen!“, entfährt es Wemsi. „Unsere schöne Wild Boys to Happy Men-Zentrale.“
Kühle, abgestandene Luft kommt ihnen entgegen. Es riecht nach Staub und Vergangenheit, überall Gerümpel. Mike eilt zum Fenster.
„Luft!“
Er räumt Stühle, Kartons und ein Radio vom Tisch.

Kurz darauf sitzen sie zusammen.
Mike ergreift das Wort: „Wir sind heute in diesem geschichtsträchtigen Schuppen voller Unrat zusammengekommen, um Rat für unseren alten Kumpel Tom zu finden.“
Tom nickt, ein Lächeln gelingt ihm nicht so recht.
Mike setzt fort: „Als ich Tom an der Tankstelle gesehen habe, wusste ich, wir müssen handeln. Nicht umsonst haben wir uns in diesen Holzwänden geschworen, was wir uns geschworen haben.“
Wemsi nickt mit Vehemenz.

Tom kratzt sich am Kopf. „Wo fange ich an?“
Ein Lkw hupt in der Ferne auf der Bundesstraße.
„Oh, Lkw-Hupe! Daran hat sich nichts geändert“, sagt Wemsi. „Und jetzt haben wir gar nichts da. Früher ja immer.“
„Das kann doch eigentlich nicht sein.“ Mike steht auf und sucht im Schrank Fach für Fach durch und, „Tadaa!“, präsentiert eine ungeöffnete Flasche.
„Jägermeister, echt?“ Tom schüttelt den Kopf.
„Die Flasche stammt doch aus der Steinzeit oder dem Perineum“, sagt Wemsi.
„Präkambrium?“, fragt Tom.
„Keine Ahnung. Jedenfalls: Ob der noch genießbar ist?“
Mike findet drei Eierbecher und schenkt ein. „Bei dem Alkoholgehalt: Was soll da passieren? Und Lkw-Hupe ist Lkw-Hupe.“
Wemsi schnuppert.
„Auf unser Glück!“, ruft Mike.
Der Uhrschlag der Kirche ertönt. Die Männer blicken sich an.
„Auf unser Glück!“, wiederholen sie.
Und zack, weg ist der erste Jägermeister.
„So, jetzt aber, Tom. Was ist los?“

„Wir hatten einen Bird Strike über Wales.“
„Einen was?“, unterbricht Wemsi.
„Ein Vogel ist uns in ein Triebwerk geflogen“, erklärt Tom.
„Das klingt lebensgefährlich!“
„Der Co-Pilot und ich konnten die Maschine landen. Alles gut.“
„Und das Erlebnis belastet dich?“, fragt Wemsi. „Du als Pilot traust dich nun nicht mehr, in die Lüfte zu starten?“
„Nein, nein. Ein Bird Strike kommt vor“, sagt Tom. „Bis die Ersatzteile vor Ort waren, bin ich zur Ruhe gekommen. Und zum Nachdenken.“
„Oh, es geht ans Eingemachte“, murmelt Wemsi. „Darauf brauch‘ ich noch einen.“
Er schiebt Mike die Becher hin.
Und zack!

Tom atmet tief durch.
„Katrin“, sagt er dann. „Es läuft nicht gut zwischen uns. Wir sehen uns wenig, sie macht mir Vorwürfe, und wir lachen kaum noch. Den Rest könnt ihr euch denken.“

Betretenes Schweigen am Tisch.

Mike sagt: „Täler gehören wohl dazu in einer Partnerschaft.“
„Mag sein“, sagt Tom. „Aber sind wir unbemerkt in Holland angelangt? Nur Tal, kein nächster Gipfel in Sicht.“
„Was hast du versucht, um es zu verbessern zwischen euch?“, fragt Mike.
„Gespräche gingen nach hinten los“, sagt Tom. „Also habe ich versucht, ihr mit Taten Freude zu machen. Vielleicht besser als reden, dachte ich.“
„Und?“
„Damit habe ich leider keinen Treffer gelandet.“
„Was hast du gemacht?“
„Zum Beispiel habe ich gekocht: ihr Lieblingsessen mit selbst gemachten Spätzle.“
„Und? Das klingt doch toll!“, findet Wemsi.
„Sonst ist sie vor sechs zurück. Da kam sie aber erst um neun. Sie war mit Kollegen in einer Ausstellung. Und das Essen… naja.“ Tom blickt nach unten.
„Oh, hat sie sich nicht auch so über deinen Einsatz gefreut?“
„Nein, sie war enttäuscht. Die Ausstellung hätte sie erwähnt – zwischen Tür und Angel frühmorgens. Ich würde ihr nicht mehr zuhören, hat sie gemeint. Das war dann das Thema.“
„Oh“, sagt Wemsi.
„Ich liebe Katrin und glaube eigentlich, sie mich auch. Wie kann es da so schwer sein, zusammen glücklich zu sein?“
In der Ferne hupt ein Lkw. Mike schenkt nach.
Und zack!

„Das wird mir langsam etwas viel“, sagt Tom.
„Ja, Seelenstriptease ist nie angenehm.“ Wemsi nickt.
„Ich meine den Alkohol.“
„Ach so.“ Wemsi und Mike lachen, Tom muss schmunzeln.

„Was ist denn Katrins Hauptvorwurf?“, fragt Mike.
„Zu wenig Zeit. Ich hätte zu wenig Zeit für sie und uns.“
„Na, fahrt doch mal schön in Urlaub“, schlägt Wemsi vor.
Tom nickt.
„Ich überlege sogar, meine Arbeitszeiten zu ändern.“
„Wie?“, fragt Mike. Wemsi hickst.
„Ich könnte fragen, ob ich weniger Flüge und dafür mehr Büroarbeit machen dürfte. Dann wär’ ich mehr zu Hause.“
„Tolle Idee!“, sagt Mike.
„Ja, total!“, nuschelt Wemsi und fragt: „Haben wir was zu knabbern da?“
Mike schüttelt den Kopf.
„Wir könnten bestellen“, sagt Tom. „Wie früher, beim Emilio. Gibt’s den noch?“
„Klar.“ Mike greift nach dem Handy.

Mike legt auf, die anderen beömmeln sich vor Lachen.
„Tutti Frutti?“, wiederholt Wemsi. Sein Lachen lässt sie fast ein Hupen überhören.
Mike schenkt Jägermeister nach.
„Meeresfrüchte halt. Wie sagt der Italiener?“
„Frutti di Mare.“
Und zack!

„Um mehr gemeinsame Zeit kümmere ich mich“, sagt Tom.
„Ich brauch‘ aber noch etwas Spektakuläres, das Katrin so überrascht, dass sie kurz aus allem raus und ganz bei mir ist. – Was macht ihr denn, um eure Liebe zu befeuern?“

Mike erklärt: „Also, ich lade meine Eva gerne in ein hübsches Restaurant ein. Das liebt sie. Wellnesshotel am Wochenende kommt auch gut an.“
Wemsi spielt mit dem Eierbecher.
„Und du?“, fragt Mike.
„Joa. Was man halt so macht“, entgegnet Wemsi.
„Und was ‚macht man‘ so?“
Wemsi zuckt mit den Schultern. „Also, von den ganzen Massagetechniken kam Tantra mit am besten an.“
Tom und Mike sind kurz sprachlos.
„Du und Tantra-Massage?“, fragt Mike. „Vielleicht sollten wir bei dir in die Lehre gehen.“
Lkw-Hupe. Und zack!

„Was fasziniert deine Katrin, was begeistert sie?“, fragt Wemsi.
Tom geht in sich, blickt aus dem Fenster. Am Himmel steht der Vollmond: kreisförmig umgeben von schimmernden Farben.
„Ich hab‘ zu viel Alkohol intus“, sagt Tom. „Sehe Farben um den Mond.“
Wemsi und Mike gucken raus.
„Dann hab‘ ich auch zu viel.“ Wemsi reibt sich die Augen.
Mike holt aus: „Meine lieben Freunde, wir haben alle etwas viel, und um den Mond: Das ist ein optisches Phänomen, das sich Mondregenbogen nennt.“
„Ein Mondregenbogen?“
„Ja“, sagt Mike und erklärt: „Das reflektierte Sonnenlicht reicht heute aus für einen kreisförmigen Regenbogen im Himmelsdunst. Ein Paradebeispiel für Dispersion!“
„Disper-was? Erklärst du uns noch Physik?“, fragt Tom.
„Oh, da muss ich an die Evi Stein denken“, sagt Wemsi.
„Erinnert ihr euch? Die hatte ‘ne Physik, alter Schwede!“
„Physis“, sagt Tom und blickt hinaus –
„Jetzt klingelt’s bei mir: Regenbogen! Katrin liebt Regenbögen.“

Mike nimmt die Pizza in Empfang. Im Vorbeigehen sagt er: „Ich weiß, in welchem Winkel du welche Lampen im Bad anbringen musst, um deiner Katrin ein tägliches Meer an Regenbögen im Duschnebel zu bieten.“
Mike zwinkert Tom zu und greift souverän neben die Türklinke.
Wemsi kichert.

Die Pizza ist aufgetischt.
„Das reicht für ’ne Fußballmannschaft! Waren die früher auch so groß?“, fragt Wemsi.
Mike nickt und beißt mit Genuss ab.
Hupe. Und zack!

„Also, ich rede mit dem Chef. Für mehr gemeinsame Zeit“, sagt Tom.
„Und ich bau‘ ihr eine Regenbogendusche! Die Idee find’ ich genial.“
„Ruf sie am besten direkt an, erzähl ihr von deinem Plan!“, ruft Wemsi.
Tom wirkt entgeistert.
„Worauf willst du warten?“
Mike nickt, während er kaut.
„Wemsi hat Recht“, sagt er dann. „Zeit für Veränderung und neue Beziehungshorizonte.“
Erneut will Mike Jägermeister einschenken.
„Stopp!“, sagt Tom. „Ich rufe erstmal an.“
„Oh, du rufst echt an?“

Auch ohne Lautsprecher hören alle Katrin:
„Hallo, Tom?“
Wemsi und Mike vergessen, zu essen. Tom deutet auf die Pizzen.
„Alles okay bei dir?“, fragt Katrin am anderen Ende.
„Äh, ja. Alles gut.“
Mike isst weiter, Wemsi lauscht.
„Ich habe eine Idee“, beginnt Tom.
„Eine Idee?“, wiederholt Katrin.
„Ja. Ich will den Chef fragen, ob ich perspektivisch mehr Büroarbeit übernehmen kann. Dann hätte ich weniger Flüge. Das hieße mehr gemeinsame Abende für uns“, erklärt Tom. „Und…“
Es hupt in der Ferne. Mike schenkt nach.
„Und?“, fragt Katrin.
„Und ich baue dir ´ne Regenbogendusche!“, sagt Tom.
Und zack!

Katrin sieht ihn nicht und hört doch, dass ihr Tom übers ganze Gesicht am Strahlen sein muss.
„Eine Regenbogendusche?“
„Mmmh.“
„Tom, ich erkenn’ dich kaum. Hast du getrunken?“
„Also ein bisschen verjägermeistert bin ich eventuell schon.“
„Wo bist du?“
Tom macht große Augen. Mike und Wemsi zucken mit den Schultern und nicken.
„In der alten Zentrale.“
„Auf dem Avi-Grundstück?“
„Mmh.“
„Bin gleich da.“

Es klopft an der Tür: Katrin und Eva.
„Guten Abend, die Herren!“
„Oh, was machst du denn hier, Schatz?“, fragt Mike.
Katrin erklärt: „Im Dunkeln wollte ich nicht alleine übers Grundstück, da habe ich Eva angerufen.“ Katrin beäugt Tom, ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
„Bei der Pizza-Bestellung habt ihr schon an uns gedacht, was?“
Tom bietet Katrin etwas an, Eva stibitzt ein Stück von Mike.
„Also, wenn ich jetzt der Sandra nicht auch Bescheid gebe, ist sie mir ewig böse“, sagt Wemsi. Er wählt…

Elf Uhr. Aus dem Schuppen beim Holunder ist Lachen zu hören. Wie das zwölfte Läuten hupt ein Lkw. Sechs Erwachsene werfen sich wissende Blicke zu.
„Wir haben nur drei Eierbecher“, sagt Mike. „Also: Erst die Damen, dann wir.“
„Auf unser Glück!“, ertönen drei Frauenstimmen.
Und zack!
„Und nächste Woche mach‘ ich uns Nacho-Salat. Wie früher!“, sagt Katrin. Sie zwinkert Tom zu, der vor sich hinlächelt.
„Oh, ja! Wir haben uns viel zu lang nicht getroffen. Das sollten wir regelmäßig machen“, findet Wemsi.
„Wieder hier am Dienstag?“
Alle nicken.
„Auf unser Glück!“, sagt Tom.
Und zack.

 

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