Von Björn D. Neumann

Der Mann wirkte in seinen Pelzumhängen und der dicken Fellmütze wie ein Ungeheuer. Wenn man näher kam, sah man aus dem Fellknäuel zwei strahlendblaue Augen blitzen. Leise vor sich hinmurmelnd stapfte die Gestalt durch den schneeweißen Winterwald. 

„Unrat, Unrat, überall, wo man hinsieht Unrat! Was sind aus den Menschen für Schweine geworden?“ Wütend piekte er mit einem hölzernen Ski-Stock Plastiktüten, Kaugummipapier und Coladosen auf, um sie in einer Felltasche verschwinden zu lassen. Während er so fluchend seiner Arbeit nachging, stand er plötzlich einem kleinen Mädchen gegenüber. Zwei lange, blonde Zöpfe fielen aus einer roten Bommelmütze. 

Mit tellergroßen Augen fragte sie: „Bist du ein Bär?“ 

Der bärtige Mann richtete sich in voller Größe auf und streckte sich. „Nein. Ich bin Uller. Sohn der Sif. Stiefsohn des Thor. Gott der Jagd und Jägermeister von Asgard. Und wer bist du, kleiner Troll?“

„Ööööh, ich bin kein Troll! Ich bin einfach Greta und Papa hat gesagt, dass ich mit Fremden nicht reden darf.“

„Ich bin kein Fremder, sondern ein Gott, wie gesagt. Wieso müsst ihr Menschlein aus Midgard eure Wälder so verschmutzen?“. Uller hielt dem Mädchen seine Tasche unter die Nase. „Da ist man ein paar Jährchen mit dem Ragnarök beschäftigt und hier läuft alles aus dem Ruder.“ 

„Ragnar…was?“

„Ragnarök. Aber das ist nichts für kleine Mädchen. Weltuntergang mit Schlangen und Wölfen und so. Alles Sachen vor denen du dir Pipi ins Höschen machst.“

Empört stemmte Greta die Arme in die Hüften: „Selber kleines Mädchen. Du Blödi!“

Uller lachte auf und es hörte sich an wie ein Donnergrollen in einer stürmischen Winternacht. „Na Mumm hast du. Wirst bestimmt mal eine Schildmaid.“

„Was ist das nun wieder?“ Greta verdrehte die Augen.

„Wisst ihr Menschen denn gar nichts mehr? Eine Kriegerin.“

„Papa sagt Krieg ist böse. Bist du böse?“

„Nein, ich bin nicht böse.“ Uller schnaufte.

„Warum hast du dann einen Flitzebogen auf dem Rücken?“

Jetzt war es Uller, der die Augen verdrehte. „Ich sagte doch schon, dass ich der Gott der Jagd bin.“

„Machst du etwa Tiere tot?“

„Nun, als Jäger tötet man … Autsch!“

Greta trat dem Gott mit voller Wucht mit ihrem gelben Gummistiefel vor das Schienbein. 

„Du bist doch böse!“

Zwei grimmige Augen starrten Uller an.

„Magst du keinen schönen Braten? Was meinst du, wo der herkommt?“

„Neeeeiiin. Ich bin Veganerin!“

„We, was?“

„Veganerin! Ich esse keine Tiere.“

„Hör‘ sich das einer an.“ Uller zog die Augenbrauen hoch. „Ihr Menschlein werdet in der Tat immer verrückter. Wahrscheinlich braucht ihr uns Götter gar nicht mehr.“

„Duuuu, wieso sagst du immer ‚Götter‘? Es gibt doch nur einen. Den ‚lieben Gott‘ und der bist du ganz bestimmt nicht.“ 

„Erstens, ist Asgard voller Götter. Da sind Thor, Loki, Freya, Heimdahl und viele andere. Und lieb? Also lieb ist nun wirklich keiner. Erst recht nicht Allvater Odin. Kennst du uns denn gar nicht?“

„Nö. Muss ich? Das ist doch eh gelogen. Du bist kein Gott. Du bist ein Blööööödi!“

„Und du bist ein frecher, kleiner Troll.“ Uller lachte. „Aber dein Mut imponiert mir, kleine Greta. Was machst du eigentlich hier ganz alleine im Wald?“

„Ich bin mit meiner Schulklasse hier. Wir wollten auch Müll einsammeln und jetzt habe ich den Rest verloren.“ Greta zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Und du?“

„Nun, ich wollte nachsehen, was ihr Menschlein so treibt. Nach Asgard ziehen übelriechende Dämpfe von hier, als ob Midgard in Flammen stehen würde.“

„Das sind Autoabgase!“ triumphierte Greta. „Da ist auch dieses blöde CO2 drin und ganz viel anderer Dreck.“

„Co … was?“

„Co2. Kohlenstoffdioxid. Die Erwachsenen verpesten den ganzen Planeten damit. Mit ihren dicken Autos und den ganzen Kühen, die Methan pupsen“ Greta blickte traurig zu Boden. „Und wenn ich groß bin, ist alles kaputt.“

„Also, ich weiß ja nicht, was dieses Kohlenstoff…dings…“

„Dioxid“, ergänzte Greta.

„Ja, Dioxid ist oder Methan, aber wenn es schädlich für Midgard ist, warum macht ihr das dann?“

„Weil die doofen Erwachsenen immer mehr und mehr haben wollen und nicht wissen, wann genug ist.“ Gretas Stimme wurde immer leiser.

„Dann tu etwas dagegen! Du bist eine Schildmaid!“ Uller legte seine Pranke wie zur Bestätigung auf Gretas zarte Schulter.

„Ich bin nur ein kleines Mädchen. Was soll ich schon machen? Auf mich hört doch keiner.“

„Jetzt wird es mir aber zu bunt! Glaubst du Thor hätte gesagt: Oh, die böse Seeschlange Jörmungandr. Was soll ich schon machen? Ich bin ein kleines Mädchen … mimimi?“ Ullers Augen blitzten. „Oder Allvater Odin. Hatte er Angst nach Hel zu gehen? Hatte er Angst den Riesen den Met der Poesie zu stehlen? Also, kleine Schildmaid, was wirst du tun?“ Der riesenhafte Gott stupste Greta mehrmals mit dem Finger an die Brust.

Greta blickte den Giganten entschlossen an. „Kämpfen!“

„Ich kann dich nicht verstehen, kleiner Troll!“

„KÄMPFEN!“ 

„Haha, so gefällst du mir, Mädchen!“

Greta seufzte. „Aber wie finde ich jetzt meine Freunde wieder?“

Der Gott kratzte sein bärtiges Kinn und blickte grübelnd in die Ferne. „Pass auf, ich helfe dir. Ich setze dich jetzt auf meine Schulter und du hältst Ausschau nach deinen Kameraden. Im Gegenzug sorgst du dafür, dass dieser elende Gestank aufhört.“

„Abgemacht“, ohne zu zögern streckte Greta ihm ihre kleine Hand entgegen. Mit zwei Fingern nahm sie der Riese vorsichtig entgegen und besiegelte den Pakt.

So machte sich das ungleiche Paar durch den verschneiten Wald. Greta schirmte mit einer Hand ihre Augen vor der Sonne ab und hielt nach ihrer Schulklasse Ausschau, während Uller durch die winterliche Landschaft stapfte. 

Erst war es leise, doch die Stimmen und Rufe wurden immer lauter. „Greta! Greta, wo bist du?“ Der Riese folgte seinem Gehör und schon bald war in der Ferne eine Gruppe Kinder zu erkennen, die mit ihrer Lehrerin suchend und rufend durch den Wald liefen.

„So, kleine Greta, jetzt müssen wir Abschied nehmen.“ Uller flüsterte die Worte und verbarg sich hinter einem großen Baum.

„Warum versteckst du dich? Hast du etwa Angst vor meinen Freunden?“

„Nein, kleiner Troll. Keine Angst, aber es ist besser, wenn mich nicht so viele Menschlein sehen. Die Zeit der Götter ist vorbei und ihr müsst lernen ohne unsere Hilfe auszukommen.“

„Hat das was mit diesem komischen Ragnarök zu tun.“

„Du bist ein eine kluge Schildmaid, kleine Greta. Jetzt lauf zu deinen Freunden.“

„Tschüss Uller. Sehen wir uns irgendwann mal wieder?“

„Vielleicht, Greta.“ Dann klatschte er in die Hände und ein Regenbogen erstreckte sich hinauf in die Wolken.

„Was ist das denn?“

„Das ist Bifrost. Die Regenbogenbrücke, die Asgard mit Midgard, deiner Welt, verbindet. So, jetzt lauf und vergiss dein Versprechen nicht!“

Auf halbem Wege drehte sich Greta noch einmal um und winkte ihrem neuen Freund zum Abschied zu. 

„Mensch, Greta. Da bist du ja. Wo hast du nur gesteckt?“ Ihre Schulkameraden umringten sie und bestürmten Greta mit allerlei Fragen, als sie ihre Klasse erreichte. 

„Ruhe Kinder.“ Frau Svensson, die Klassenlehrerin, blickte Greta streng an. „Fräulein, wo hast du bitte gesteckt. Darüber werden wir morgen in der Schule ausführlich sprechen, kleine Dame.“

„Frau Svensson. Ich glaube, mit der Schule, das wird diesen Freitag nichts.“ Ein Donnergrollen legte sich über den Wald. Die Kinder schraken zusammen und blickten ängstlich hinauf in den Himmel. Nur Greta wusste, was das war und lächelte. Und wenn man genau auf den Regenbogen, kurz bevor er die Wolkendecke durchbrach, schaute, hätte man wie Greta, einen bärenartigen Riesen gesehen, der auf die Erde blickte und hinabwinkte.

 

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