Von Helmut Blepp

Säufer und andere Tagediebe sind wie immer die ersten am Richtplatz.  Ihnen folgen die Gaukler, dann die Bettler, Krüppel hintan. Und während die Stadtleute herbeiströmen nach dem Mittagstisch, suchen sich auch die Kutschen der Altvorderen des Magistrats und die des Klerus ihren Weg, eskortiert von den Stadtwachen, die die Menge auseinandertreiben. Eine Prozession von Jungpfaffen mit Tonsur bildet die Nachhut mit viel Amen und Hosianna. 

Eine öffentliche Tortur schauen sich viele Bürger ab und zu einmal an, aber bei den Verbrennungen ist Umtrieb wie an Feiertagen. Alle freuen sich, wenn das Böse aus der Welt verbannt wird. Sie rufen dann Bravos in die Flammen und applaudieren, wenn die Hexe schreit. Und sie wollen das Luder lange schreien hören. Deshalb verfluchen sie den Scharfrichter, wenn der Scheiter vor der Gaudi feucht geworden ist. Die Delinquenten ersticken dann zu schnell im Qualm und verbrennen ohne Mucks. Dabei sollen sie doch um ihr Seelenheil flehen und den Herrn um Gnade bitten angesichts des Todes.

Ich bin ein guter Christenmensch, aber ich glaube nicht alles, was die Pfaffen erzählen. Als ich Kind war, haben sie mir Angst gemacht mit dem Fegefeuer. Meine Seele sollte rein bleiben, mein Leben gottesfürchtig. Doch dann kam der Krieg übers Land. Kaum zum Mann geworden, war ich mittendrin. Ich sah Scheunen brennen, Ställe mitsamt dem Vieh, und versperrte Kirchen, in deren Innern Menschen verzweifelt schrien, bis der Rauch sie verstummen ließ und die Flammen sie in verkohlte Gliederpuppen verwandelten. Als Soldat war ich einer von denen, die Feuer legten. Wen es fraß, war mir so egal wie meinen Kameraden, die sich an den Resten wärmten. Ich habe nicht viel gelernt dabei, nur dass nach Siegen die Schnapsrationen größer sind und die Weiber williger. Fürs Leben mitgenommen habe ich die Erkenntnis, dass Sünden nicht ausgelöscht werden, indem man die Sünder verbrennt. Jeder ist der anderen Heimsuchung und wird es bleiben, solange wir auf Erden wandeln.

Heute wird das Urteil an Julchen vollstreckt. Das ist eine besondere Darbietung fürs Volk, denn Julchen ist stadtbekannt. Sie war bis zu ihrer Ergreifung die beste Zuckerbäckerin. Jeder hat schon einmal ihre Leckereien gekostet, und ihr Marktstand ist früher stets von geneigten Käufern umringt gewesen. Damit hat es nun ein Ende. 

Ich erinnere mich noch genau, wie verdrießlich das Frühjahr gewesen ist. Es hat dauernd geregnet. Die alten Häuser waren feucht, die Leute übel gelaunt. Wer es sich leisten konnte, blieb morgens länger im klammen Bett und trank abends heißen Wein vorm Schlafengehen.  

Julchen verrichtete in diesen Wochen fleißig ihr Tagewerk, um zum anstehenden Ostermarkt genügend Ware zu haben. Die Arbeit ging ihr leicht von der Hand, denn am Backofen war es mollig warm, und sie freute sich auf den guten Schnitt, den ihr das honigsüße Naschwerk bringen würde. 

Eines Morgens fand der Fromminger, Julchens Nachbar zur Rechten, seine einzige Kuh tot im Stall, offenbar elend verreckt in der Nacht, mit Schaum vorm Maul. Julchen brachte ihm ein paar Zimtschnecken zum Trost. 

Nur wenige Tage später gingen die Schweine der Kattlers, Julchens Nachbarn zur Linken, ein. Der Verlust stürzte die Familie in große Not, denn die Viecher waren ihr einziger Besitz gewesen. Julchens Buttergebäck nahmen sie dankbar an. 

Als dann aber gegenüber bei der alten Luis die Hühner faule Eier legten und bald danach starben, wurden die Leute unruhig. So viel Unglück war nicht normal, schon gar nicht in der gleichen Gasse. Da musste der Teufel die Hand im Spiel haben! Und diese Mutmaßung fand bald darauf Bestätigung durch eine anonyme Anzeige, die im Rathaus einging. Julchen habe die Tiere vergiftet aus reiner Boshaftigkeit, hieß es darin. Sie sei eine Satansdienerin und wolle Elend über die Stadt bringen. Landsknechte weckten sie bei Sonnenaufgang und nahmen sie fest. Trotz all ihrer Unschuldsbeteuerungen wurde sie umgehend zum Hexenturm gebracht. 

Zuerst leugnete sie wie alle anderen, aber als man ihr die Werkzeuge für die peinliche Befragung zeigte, bestätigte sie in heller Angst jeden Vorwurf des Richters. Trotz des Geständnisses wurden ihr die Daumenschrauben angelegt, ihr rechter Fuß im Schraubstock gequetscht, und die Mundbirne brach ihr die Zähne aus. Die Folterknechte müssen eben auf ihre Kosten kommen. Jeder Akt der Tortur bringt ihnen ein paar Münzen mehr. 

Jetzt rollt der Schindkarren mit dem Käfig heran. Julchen klammert sich verzweifelt an die Gitter, als die Soldaten sie ins Freie zerren. Es nützt ihr nichts. Zwei kräftige Burschen packen sie unter den Armen und schleppen sie zum Scheiterhaufen. Dort wird sie an den Pfahl inmitten des Reisigs gebunden. 

Da steht sie nun in ihrem Büßerhemd, dreckig und blutverschmiert. Ihr einst süßer Mund nur noch ein schwarzes Loch, die Augen schon vorm Tod stumpf geworden. So hätte es nicht enden müssen! Aber warum hat sie mich auch abgewiesen? Ich habe sie doch beschenkt mit Blumen und Tüchern, habe sie auf Knien meiner Liebe versichert. Einen Hundsfott hat sie mich da genannt. Ekeln würde sie sich vor mir und meinem schändlichen Handwerk. Mit Geschimpfe und Flüchen hat sie mich von ihrer Schwelle gejagt. Nur deshalb habe ich doch nächtens das Vieh ihrer Nachbarn vergiftet. Und nur deshalb habe ich sie bei der Obrigkeit angeschwärzt. Die Schmach saß einfach zu tief. Ich musste meine Rache haben. 

Das Urteil hat der Richter schnell verlesen, aber der Oberpfaffe betet wieder ewig. Er genießt diese Auftritte, steht da in vollem Ornat und leiert seine Verse herunter. Der Menge merkt man die Ungeduld an. Sie wollen eben ihr Spektakel haben. Mittlerweile strahlt auch die Sonne gnadenlos vom Himmel. Ich schwitze wie ein Schwein unter der schweren Ledermaske. Gott sei Dank, jetzt gibt der Domprobst endlich das Zeichen, und ich greife mir die Pechfackel, um das Reisig zu Julchens Füßen zu entzünden.