Von Lauretta Hickman

 

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                                                                                       # 4

 

… bevorzugt Serienmörder.

Ein Junge, von klein auf vernachlässigt, abgelehnt, gequält, mit reichlich Gewalt und wenig Zuwendung gefüttert, wächst heran mit einem unlösbaren, wuchernden Konflikt: Anerkennung bekommen, Angenommensein, gesellschaftlich einen Platz finden im sehnenden Verlangen, die schwärende Wunde zu schließen. Dafür muss er die ihm eingeprügelte Aggression unterdrücken, unsichtbar machen, zusammen mit den Anteilen in ihm, die Ablehnung erfuhren: Er trennt sich von sich selbst. Verbirgt sein Innenleben. Selbstabwertung, Hass und Selbsthass keimen, zwangsläufig und selbstreferenziell.

Die innere Spannung nimmt zu. Ein authentischer Ausdruck will sich Bahn brechen. Sei er auch abgrundtief hässlich, er würde ihn wenigstens identisch machen mit sich selbst. Gegen den Druck, das Ablehnenswerte zu deckeln, brodelt er vergeblich an.

Ist der Mann ungeübt in Reflexion: ein maligner, gärender und zuverlässiger Cocktail.

Lassen wir ihn auf der Suche nach Geborgenheit einer Frau begegnen. Sie ist – auf für ihn schmerzhafte Weise – unschuldig. Oder so dreckig, wie er sich selbst empfindet. Eine kurze süße Seligkeit später beginnt sie, ihn auf vertraute Weise abzuwerten. So wie jede intensive Beziehung nun mal das verborgen Schattige gebiert. Das muss ihm wie Schicksal erscheinen, dem er nicht entkommen kann und entflammt den Urkonflikt, schmerzhaft und quälend. Materialermüdung durch jahrelange Selbstunterdrückung wird spürbar. Sexuelle Fantasien entflammen unerlöste Aggression und Angst vor Wahnsinn zu verwirrender Mordlust.

Und eines Tages passiert es dann, vielleicht im Affekt. Der Rausch der Tat selbst ist unvergleichlich. Wirklich, mit nichts zu vergleichen.
Die Spannung hat endlich ihre Triebabfuhr gefunden.
Im archaischsten aller Rituale geht das ausgelöschte Leben in ihn über.
Er, der Abschaum, lebt! Dafür hat jener Mensch sein Leben lassen müssen. Die Tat lässt ihn mächtiger sein als Gott, der dieses Leben schuf, doch er, ER! hat es genommen. Mächtiger als die Peiniger von einst, die ihn zu dem machten, was er ist. Nun ist er frei. Von der Vergangenheit. Von gesellschaftlicher Moral.
Er hat getötet, was ihn tötete.

Der Rausch hält an. Für Wochen, Monate. Und weicht einer bodenlosen, nie gekannten Leere. Diese füllt sich mit dem trägen Gewicht der Schuld. Schuld: einer meiner Hebel.

Dumpfe, mahlende Gewissheit bemächtigt sich seiner, mit der Tat noch mehr, unumkehrbar zum Außenseiter geworden zu sein, ob des Frevels, den er nun empfindet.
Oh, Ah, alle seine Peiniger hatten Recht, was für ein schlechter Mensch, ein Schwein er doch ist.
Die einsetzende Qual ist schärfer, umfassend und unheilbar. Sein alter Konflikt zementiert sich in einer höheren, brennenden und einsamen Oktave. Der Druck kehrt zurück, schnell, exponentiell, befeuert von seinem dunklen Geheimnis.

Er hat nun zwei Leben – das äußere, unauffällige, vielleicht duckmäuserische. Und das des verkommenen Schweins, das sich jegliches Recht auf menschliche Zuwendung verspielt hat.

Gärender Moder zersetzt den Restmenschen in ihm, bis die Spannungsqual nicht mehr zu ertragen ist. Da hört er plötzlich eine feine Stimme. Meine Stimme.

Heiser und fürsorglich flüstert sie: „Tus einfach nochmal! Erinnere dich doch: Das letzte Mal war so eine Erlösung.“

In Feuer gegossenes Terpentin! Und der Moment meiner größten Befriedigung. Sein innerer Kampf nimmt nun heroische Ausmaße an. Und natürlich verliert er ihn. Er tötet erneut.

Der Rausch danach ist der gleiche. Nur kürzer. Die Leere kommt schneller und bleibt länger. Der Giftcocktail aus lähmender Schuld und Selbstangriff für die Ohnmacht gegenüber seinem Trieb ätzt ihn taub. Annähernd gefühlskalt, braucht er starke Stimulation, um irgendetwas zu fühlen.

Und es geht von vorne los. Rascher, kürzer, flacher – wie Sucht eben abläuft. In seinen Adern sitze ich und labe mich – an seinem Rausch, der Hölle danach, seiner Schwäche für mein Flüstern. Vor allem aber am grandiosen Prozess seiner voranschreitenden Selbstentmenschlichung.

Jede dieser Phasen hat ihren unverwechselbaren Geschmack. Eine exquisite Form von Sucht ist das. Für mich – ein Festmahl.

 

 

…. bist und erschaffst also das Böse in der Welt? Macht, Zerstörung, Sadismus, Gier, Soziopathen, Kriege, Mord, Missbrauch?
Ja. Und das Gute.

Wie meinst du das?
Satan und Lucifer. Der Teufel, das abgrundtief Böse. Und der gefallene Engel, der „Lichtbringer“. Beides bin ich. Die Idee, ohne Schatten kein Licht, bin ich. Licht bin ich, Dunkel bin ich. Die Trennung dazwischen bin ich. Ihr braucht doch das Böse, um euch selbst als gut zu definieren. Denn „böse“ sind ja stets die anderen, nicht? Damit seid ihr bereits auf und an meiner Seite.
Hollywoodfilme, Bücher, Sagen über den epischen Kampf zwischen Licht und Dunkel; ein Held, der mit der „Macht“ hinter sich gegen das Böse antritt: Alles meine Propaganda.

Euer Dichter hat es meinem literarischen Bruder Mephisto doch in den Mund gelegt: ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Naiv lest ihr es so: Obwohl die Absicht böse ist, kommt am Ende doch etwas Gutes dabei heraus. Es bedeutet aber: Die Kraft, die sowohl das Böse will, als auch das Gute erschafft.
Und der Pakt: Werd’ ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen – das ist Bindung.

Aber Bindung ist doch was Wertvolles. Nähe. Sicherheit. Liebe?
Du sprichst von Verbindung, Ich von Bindung. Besitzen wollen. Trennen und Binden – meine Domains.

 

 

Herr der Materie?
Nein. Ich bin Herr des Materialismus. Und damit Herrscher der Welt.

Haste was, biste was: Erst, wenn du dieses Gerät, jenen Körper, Job, Geldbetrag, die Position, den Titel oder Status hast, dann bist du Jemand und wirst dich gut fühlen (dürfen). Du bindest dich so an 1.000 Um-Zu’s, den Mythos von Schaffen, Leisten und Verdienen und gibst deine Macht an Außen, an die 3D-Welt ab. Deine Eintrittskarte in mein Räderwerk.

 

 

Gibt es Gott? Für dich?
Natürlich. Solltest du jedoch den christlichen meinen, hab ich dich.

Wie meinst du das?
Zu sehen, wie ihr euch zubombt für den Richtigen – Gott, Allah, Jahweh – ist für mich wiederholt Anlass zur Heiterkeit.

 

 

Bist du das Gegenteil von Gott?
Nein. Gott kennt und hat kein Gegenteil. So wenig wie die Wahrheit.

Hat Gott dich geschaffen?
Nein.

Wer dann?
Der Mensch. Ihr.

Aber warum?
Zivilisation und ich sind untrennbar verknüpft. Zivilisation bedeutet stets hierarchisches Herrschaftssystem, religiös, monarchisch oder staatlich. Alles jenseits davon Existierende, Natürliche gilt als ungebildete Barbarei. Wer reussieren will, sperrt weg, leugnet, wirft nach außen, was der Anpassung an oben versus unten im Weg ist.
Dafür braucht es mich.
Verteufeln ist ein Urteil mit starker Emotion, meist Abscheu.
Wiederum ist ein Urteil die moralische Rechtfertigung für eine Ablehnung, eine Trennung, die jemand vornimmt. Diese erzeugt unbewusst Schuld. Schuld, das klebrige Bindemittel: Ein Fehler der Vergangenheit erhält ein Denkmal mit der hineingemeißelten Idee „das ist nie wieder gutzumachen“ und fertig ist die gebeugte Qual. Für euch ist es doch leichter, den, die Schuldigen zu finden, innen wie außen, als Fehler zu korrigieren.

Wofür sich jemand schuldig fühlt, wird er zudem wieder tun. Daher nährt mich jede Verteufelung. Gerade die scheinheilige Selbstgerechtigkeit darin. Dämonen, Monster, die Wesen der astralen Welt in euren Alpträumen, Drogenräuschen, Horrorfilmen und Exorzismen sind allesamt eure nach außen gestülpten, unzivilisierten, abgelehnten Anteile. Werkzeuge der Unterdrückung. Eurer eigenen und und die der anderen. Zu meinem Amüsement macht ihr euch so täglich zu meinen Komplizen.

 

 

Gibt es etwas, das du fürchtest? Jesus? Die Bibel?
Lebte Jesus heute – wir hätten nichts miteinander zu tun. Seine Natur ist radikal antimaterialistisch. Aber mit den Toten kann man schließlich anstellen, was man möchte, sie sind ungefährlich.
Das erste Zeugnis kam von Paulus, 50 Jahre nach Jesus’ Tod. Subjektives Hörensagen, also. Dann die ganzen Konzile: Das zu Nicäa 325 n. Ch., zum Beispiel, zur Festlegung, was ein wahrer Christ sei, Kaiser Augustus fand das machtpolitisch sinnvoll.

… Die Bibel wurde ständig umgeschrieben. Sie ist vor allem ein Geschichtsdokument. Und eine Ansammlung okkulter Wahrheiten, wer sie zu lesen vermag. Sie hat mich erst berühmt gemacht.

 

 

… Teufel… in der Kirche?
Ein Folterinstrument als Logo? Das, woran er elend verreckt ist? Warum nicht das seiner Auferstehung?
Mea culpa, mea maxima culpa? Herr, ich bin nicht würdig?
Über Schuld sprach ich bereits.
Sein Tod hat alle Sünden weggenommen? Sündenbock- und Märtyrergeschichte: Der Edle wird vom Mob gekillt.
Trotzdem wird der Mensch mit der Erbsünde geboren? Unlogische Doppelbotschaft.

Das alles dient als Warnung: Wage nie, du kleiner Mensch, selbst einen solchen Weg zu gehen: Sieh, was ihm passiert ist!
Und: nur über uns Stellvertreter, die Institution, unsere Deutung findest du Gott.

 

 

Pädophilie ist dann auch „deine Domain“?
Ja. Langweilig. Kein Vergleich zu meinen Serienmördern.

Bitte?
Wer mein Spiel Beherrsche die Weltgekauft hat, ist speziell anfällig dafür. Denn der Preis ist die eigene Lebendigkeit. Daher geht es gar nicht um den kleinen Körper. Sondern um das, was er verkörpert: Leben. Unschuld. Ein reines Herz. Die Fähigkeit, zu staunen; pur, im Moment zu sein, das alles. Im Versuch, ein Gefühl, einen Seinszustand  – wieder – zu bekommen, etwas Metaphysisches also, was ein inside job wäre, wird ein anderer Körper benutzt. Natürlich vergeblich. Am Ende ist das erfolglos Begehrte wenigstens der Zerstörung anheimgefallen, das Kind nun Teil der eigenen materialistischen Hölle. Befriedigt ja auch, Macht. Schneller zu haben als Kreation.

 

 

Wie komme ich dann aber zu Gott?
Die Ironie erkennst du selbst, oder? Du fragst den Teufel, wie du Gott findest?

 

 

Warum lässt Gott dich gewähren?
Gott lässt euch gewähren. Und ihr mich.

Aber warum?
Das frage Gott. Und dich selbst.

 

V2  9950 Z.