Von Marcel Porta

„Du, schau mal!“

Josef hielt etwas in der Hand und lockte mich zu sich. Natürlich war ich neugierig, was er da Geheimnisvolles mit sich herumtrug.

„Die habe ich bei uns im Bad auf dem Wannenrand gefunden. Sollen wir …?“

 

Josef war mein bester Freund. Er wohnte direkt neben uns und war sieben, ein Jahr älter als ich. Unseren schlechten Ruf in der Nachbarschaft verdankten wir den Streichen, die wir unentwegt verübten. Josef hatte glattes schwarzes Haar, während meines blond gelockt war. Was also lag näher, als uns mit Max und Moritz zu titulieren? Nichts, und deshalb sind wir so in die Annalen unseres Dorfes eingegangen.

Nicht so sehr, weil wir einem bedauernswerten Ferkel des Lieblingsonkels von Josef einen Herzinfarkt verpassten, als wir es zu zweit als Reittier benutzten. Oder weil wir als kleine Knirpse einer halben Flasche unbeaufsichtigt herumstehenden Rotweins meines Vaters den Garaus machten – ich verstehe bis heute nicht, wie wir mit unseren ungeübten Mägen die Brühe herunterbekamen – und anschließend im Garten der Nachbarin alle Blumen köpften. Mit unseren Holzschwertern, im heldenhaften Kampf gegen üble Halunken und Schurken.

Auch nicht, weil wir mit Steinen nach einer aus dem zweiten Weltkrieg übriggebliebenen Granate warfen und wie durch ein Wunder unverletzt blieben. Das haben nämlich nur wenige erfahren. Diese Dummheit war so grotesk, dass unsere Eltern, die uns dabei erwischten, sie geheim hielten. Wer will schon Vater oder Mutter eines Volltrottels sein.

Sogar das mit Jauche gefüllte Fass, dessen Abfluss wir öffneten, und unter dessen übel riechendem Sprühregen wir eine unfreiwillige Dusche nahmen, avancierte nicht zum Hauptgrund für den Spitznamen. Nein, auch wenn das Riesenfass leer lief, es zu einem finanziellen Debakel für meine Eltern wurde und wir zum Schaden den Spott davontrugen.

Es waren die Ereignisse, von denen ich jetzt erzählen will, die uns diesen Spitznamen ein für alle Mal auf den Rücken klebten.

 

Damals badete die Familie nur einmal in der Woche. Und alle im gleichen Wasser, es musste gespart werden. Der Wasserbehälter wurde mit einem Holzfeuer geheizt und es dauerte endlos lange, bis die richtige Temperatur erreicht war. Doch dann freute sich jeder darauf, im warmen Wasser herumzuplantschen.

Um heißes Wasser zu bekommen, brauchte man also Holz und … Feuer. Wozu man Streichhölzer benötigte, und die hatte Josef gefunden. Bewundernd schaute ich ihn an. Meine Eltern hielten sie streng unter Verschluss. Und seine eigentlich auch, es musste sich um ein Versehen handeln.

 

„Toll, wir klauen ein paar Würstchen und grillen sie“, war mein erster Gedanke.

„Oder wir holen uns Kartoffeln und rösten sie.“

„Gut, ich werde mal schauen, was es bei uns in der Küche zu holen gibt.“

Wir machten uns beide auf den Weg und trafen uns einige Minuten später im Schuppen hinter Josefs Haus. Hier hatten wir jede Menge Verstecke, denn es gab Heu in Massen. Lotte, unser Reittier und geliebte Milchlieferantin für Josefs Familie, musste schließlich täglich fressen. Und der Bulle, der in der Box daneben stand, und vor dem wir einen Heidenrespekt hatten, weil er mit seinen blutunterlaufenen Augen so abgrundtief böse schauen konnte, fraß womöglich noch mehr, obwohl er keine Milch gab.

 

„Und, was hast du ergattert?“, fragte ich Josef.

„Ich hab nur Brot gefunden. Das können wir auf einen Stecken stecken und es rösten.“

Wir lachten uns fast schief über den doppelten Stecken, dann begutachteten wir meine Ausbeute. Zwei Wienerwürstchen und eine Dose Bierwurst.

„Was willst du denn mit der Dose?“, amüsierte sich Josef, und als ich keine Antwort wusste, wälzte er sich vor Vergnügen durch das Heu.

„Ist doch egal, immerhin hab ich ein Paar Würstchen“, versuchte ich, meine Ehre zu retten. Die Konservendose war einfach so mitgelaufen, weil ich Bierwurst mochte und sie direkt neben den Würstchen gestanden hatte. Man musste doch nicht immer erst alles durchdenken! Ich war eindeutig mehr der spontane Typ.

 

„Hinten im Stall sind noch Kartoffeln, die sind zwar für Berta und ihre Kleinen, aber ein paar werden sie schon verschmerzen können.“

Berta, das war die Muttersau, die gerade erst vor zwei Wochen geworfen hatte. Leider hatten wir strengstes Verbot, mit den Kleinen zu spielen. Das Malheur mit dem zu Tode gekommenen Ferkel war noch nicht vergessen. Und ehrlich gesagt, auch uns saß der Schreck noch in den Gliedern. Als sich das liebe rosige Ding nicht mehr bewegte und … ach es war schrecklich gewesen.

Die Kartoffeln für die Schweine waren klein, doch für unsere Zwecke genau richtig. Wenn sie aus dem Feuer kamen, wurden sie sowieso nicht geschält. Man aß sie mit der verbrannten Schale und der dran klebenden Asche. Alles andere wäre eine Blamage gewesen, wir waren doch keine pingeligen Städter, die sich vor jedem Dreck grausten!

 

„Wohin sollen wir?“, wollte ich wissen. Da Josef die Streichhölzer hatte, war es nicht mehr als gerecht, dass er aussuchen durfte, wo wir unser Lagerfeuer anfachten. Damals konnten wir uns ziemlich unbeaufsichtigt bewegen, Kindergarten gab es keinen und die Eltern waren mit den jüngeren Geschwistern vollauf beschäftigt.

„Verschwinden wir erst mal, nicht, dass uns noch jemand mit den Sachen erwischt.“

Wir schnappten uns zwei Stecken, und schafften es auch ohne analytischen Verstand, uns auf kürzestem Weg von unseren Elternhäusern zu entfernen. Hinten raus, durch den Garten und über die Weide, wo es keine Häuser gab. Aber auch keinen Wald, in dem wir Holz für unser Feuerchen hätten finden können.

 

Das Schicksal führte uns zu einem Feld, in dem ein riesiger Strohhaufen aufgebaut war. Und Stroh brannte gut, das wussten wir. Zwar nicht bestens geeignet für ein Lagerfeuer und Rösten von Brot und Würstchen, doch … es gab sonst nichts Brennbares in der Nähe. Also schleppten wir von dem Haufen etwas Stroh ein paar Meter weiter, wo eine Kuhle im Boden geeignet erschien.

„Ich glaube, das reicht erst mal“, meinte Josef und griff nach den Zündhölzern in seiner Hosentasche.

„Lass mich das machen!“, bat ich ihn, denn es war natürlich eine Ehre, unser Feuer zu entzünden.

„Nein, ich hab das Streichholz besorgt, dann mach ich auch das Feuer!“

Da hatte ich schlechte Karten, dieser Logik konnte ich mich nicht entziehen. Zumal er mir die Schachtel freiwillig nicht geben würde.

Ratsch! Die Flamme erlosch, bevor Josef auch nur in die Nähe des Strohs kam. Ein breites und hämisches Grinsen war nicht zu unterdrücken. „Soll nicht doch lieber ich …?“

Er würdigte mich nicht mal einer Antwort.

Ratsch! Diesmal klappte es vorzüglich. Das Stroh war trocken und im Nu brannte es in der Kuhle.

 

Wie waren wir ahnungslos! Es war eben nur ein Strohfeuer, und noch ehe wir unser Grillgut ausgepackt hatten, war das Feuer am Ausgehen.

„Wir brauchen mehr Stroh! Hol du welches, ich packe unser Zeug aus.“

Also rannte ich los und sorgte für Nachschub. Verdammt, war das Feuer gefräßig. Immer wieder musste ich los, und als ich mich bei Josef beklagte, wechselten wir uns ab.

Wenn das Feuer uns auch arg beschäftigte, so hatten wir dennoch unseren Spaß daran, denn es war super heiß. Da wir beim Hineinschmeißen des Strohs nicht so genau zielten, war es mittlerweile ganz schön groß geworden. Endlich konnten wir uns dem Grillen widmen und hielten unsere mitgebrachten Stecken mit der Wurst ins Feuer. Die Kartoffeln lagen längst in der Glut. Ha, ein herrliches Abenteuer. Wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn.

 

„Wir brauchen Nachschub!“, kommandierte Josef, und folgsam drückte ich ihm meinen Stecken in die Hand, um weiteres Stroh herbeizuschleppen.

„Verdammt, Josef, der Haufen brennt!“

Hinter unserem Rücken hatte der Funkenflug, den wir wohl bemerkt hatten, dessen Gefährlichkeit uns aber nicht bewusst geworden war, den Strohhaufen entzündet. Leider, oder zu unserem Glück, wer kann das schon wissen, brannte es ziemlich weit oben, sodass wir keine Chance zu einem Löschversuch hatten. Machtlos schauten wir zu, wie sich die Flammen ausbreiteten. Wurst und Brot, Kartoffeln und sogar die Dose Bierwurst waren vergessen. Mit offenem Mund betrachteten wir das Werk der Zerstörung, mussten zurücktreten, weil die Hitze uns schon bald vertrieb.

 

„Lass uns abhauen, Marcel! Da ist nichts mehr zu machen.“ Da hatte Josef so recht wie selten zuvor. Niemand hätte da noch was machen können. Wir nahmen die Beine in die Hand und ab ging es, weg von diesem brennenden Mahnmal unserer Schuld. Wenn herauskam, dass wir beide das gewesen waren, war ich so gut wie tot. Mein Vater schlug mich wegen jeder Kleinigkeit. Hart und unerbittlich. Das hier aber übertraf all unsere bisherigen Übeltaten um Längen. Dafür schlug er mich tot, das war bombensicher.

 

Wir rasten, wie wenn der Leibhaftige hinter uns her wäre, und so falsch lagen wir damit nicht einmal. Es war kein kleiner und kein mittlerer Strohhaufen, es war ein Riesending. Er brannte schließlich fast vierundzwanzig Stunden. Das ganze Dorf pilgerte zu dem Brandherd und ergötzte sich daran. Natürlich kam die Frage nach dem oder den Urhebern auf und wurde schnell beantwortet. Ganz in der Nähe lagen noch mein Pullover und Josefs Weste. Die hatten wir ausgezogen, weil es so verdammt heiß war. Und natürlich hatten wir sie liegenlassen, waren ja schließlich keine gewieften Verbrecher und hatten keine Ahnung von Spuren und Indizienbeweisen.

 

Die Polizei würde kommen, wurde mir angekündigt. Sie wollten ein Protokoll aufnehmen und den kleinen Übeltäter in Augenschein nehmen. Ins Gefängnis würden sie mich mitnehmen, davon war ich überzeugt. Einsperren bei Wasser und Brot. Auf unbestimmte Zeit. Egal, wo ich mich versteckte, sie würden mich finden und festnehmen!

Ich weiß heute nicht mehr, ob ich mir das eingebildet habe, oder ob man mich aus erzieherischen Gründen davon überzeugt hat. Die Angst jedoch war verdammt real und ist mir heute noch präsent.

 

Prügel bekam ich für diesen üblen Streich übrigens keine, körperliche Schmerzen blieben mir erspart.

„Dafür werde ich dich nicht schlagen“, habe ich meinen Vater noch heute im Ohr, „denn wenn ich einmal damit anfange, höre ich nicht mehr auf!“

 

Version 1

© Marcel Porta, 2018