Helga Rougui

oh diese impertinenz was glaubt er wer er ist was erlaubt er sich dachte sie und ihrer Empörung durch ein hochmütiges Anheben ihrer Augenbrauen Ausdruck gebend, trat sie mit ihrem winzigen Satinschuh in die zur Mulde zusammengeschlungenen Hände des Stallburschen und nahm im Damensitz auf dem großen Braunen Platz, den ihr Cousin Louis zum 17. Geburtstag geschenkt hatte.

Der Stallbursche – hatte er einen Namen? – war einen Schritt zurückgetreten und stand nun mit hängenden Schultern und niedergeschlagenen Augen da.

 

Hatte sie das eben geträumt?

Nein, sicher nicht.

 

Noch vor ein paar Augenblicken, als sie sich zum Aufsteigen bereit machte, hatte er ihr mit seinen kühlen grauen Augen – oh diese impertinenz – direkt in die ihren gestarrt und gefragt:

– Haben Frau Gräfin gut geschlafen?

Wie konnte er es wagen, dieser dreckige kleine Kerl, das Wort an sie zu richten, ohne Anlaß, ohne Aufforderung.

 

Sie erinnerte sich daran, wie sie am Abend zuvor ihrem verehrten Herrn Papa ihr Leid geklagt hatte –  diese frösche im schloßteich mon père es ist unerträglich ich bin so müde von tanz und kartenspiel und dem üppigen souper kapaune rebhühner weißes brot burgunderwein und diese biester machen lärm die ganze nacht – , daß sie sich hin- und herwälzte in ihrem breiten weichen Bett, kein Auge tat sie zu und hatte immer nur den häßlichen Gesang dieser widerlichen Viecher im Ohr.

 

Bis auf letzte Nacht. Da war tatsächlich das Quaken der Amphibien kurz nach Mitternacht verstummt, und ein leiser, rhythmisch dumpfer Klang wie das Schwappen von sanft gepeitschtem Wasser hatte sie in seligen erquickenden Schlummer gewiegt.

 

Ja, sie hatte gut geschlafen, dachte sie trotzig, als sie losritt.

und ich darf nicht vergessen daß das bürschlein noch vor mittag davongejagt werde – oh diese impertinenz

 

***

 

– Oh diese Impertinenz, was glaubt er, wer Er ist, was erlaubt Er sich?

 

Aber er hörte nicht, dieser brutale Kerl, und sie war völlig verwirrt, wurde doch gerade die natürliche gottgewollte Ordnung der Dinge radikal auf den Kopf gestellt, wie sollte man sich da zurechtfinden, wenn ein grober Mensch mit dieser widerlichen roten Mütze, die die Leute jetzt überall trugen, durch den dünnen Rock ihres himmelblauen Seidenkleides das Fischbeingestänge ihrrs Reifrocks packte und sie aus ihrem Versteck zog und wie ein Stück Vieh in eine enge, mit schmutzigem Stroh ausgelegte Zelle trieb.

 

Sie hatte Hunger und Durst.

– Hole Er mir ein Glas Wein und einen kleinen Kuchen.

 

Was hatte dieser Widerling so dreckig zu lachen, als er nun die Zellentür hinter ihr zuschlug und verriegelte? Als Hofdame ihrer Königin hatte sie immer Kuchen gehabt.

 

Was wollten diese schreienden, keifenden Citoyens und Citoyennes von ihr? Was hatte sie überhaupt mit diesen sogenannten Bürgern zu tun? Jetzt, wo die Königsfamilie abgereist war, war es ihr einziges Ziel, eine Kutsche zu finden, die sie auf das väterliche Schloß in der Bretagne fuhr. Die Enttäuschung nagte immer noch an ihr – aber natürlich konnte die Königin nicht ihren gesamten Hofstaat auf den Weg zur Grenze mitnehmen, eine ganze Kutsche war allein für die Kapaune und Galantinen und Pasteten und Rebhühner und das weiße Brot und den Kuchen und den Burgunderwein sowie das Tafelsilber und das Sèvres-Porzellan und die Damastservietten des Königs reserviert, falls Seine Majestät unterwegs Appetit bekäme und ein Picknick zu veranstalten wünschte.

Das verstand sie ja.

 

Sie brach in Tränen aus.

Was sollte werden?

Warum gab es keinen Kuchen?

 

Tage vergingen, das Stroh wurde klebrig, urindurchtränkt, das Seidenkleid befleckt, sie stank und ihre Perücke verfilzte, immer hatte sie Durst, immer Hunger, es gab nur abgestandenes Wasser und das nicht oft, und niemand sprach mit ihr.

Einmal zerrte man sie aus ihrer Zelle vor einen improvisierten Richterstuhl, wo sie erfuhr, daß ihre reine Existenz an sich ein Verbrechen sei, und man verurteilte sie.

 

Am nächsten Morgen warf man sie mit anderen Frauen, von denen sie manche als ihre Freundinnen, andere als ihre Intimfeindinnen fast nicht erkannte, auf einen Holzkarren, und sie wurden durch eine grölende, johlende Menge gezogen, gierig angestarrt, beschimpft, mit verfaulten Fischresten beworfen.

 

Ein Podest kam in Sicht, darauf eine Vorrichtung, deren Sinn sie zunächst nicht begriff.

Dann sah sie, was die scharfe, schräg eingesetzte Klinge beim Herabsausen denen tat, die vor ihr aufs Schafott stolperten, und sie begann zu schreien.

 

Sie wehrte sich, schlug um sich, aber es half nichts. Sie wurde aus dem Karren gezerrt, ein junger Bursche packte sie grob bei den Armen und zog sie hoch die letzten Stufen.

Sie hob den Blick und begegnete dem seinen, und zwei kühle graue Augen starrten sie an, einen Herzschlag lang.

 

– Einen Moment noch, und Frau Gräfin werden tief und fest schlafen.

 

Sie kannte diese Augen, diese Stimme.

Nur woher?