Von Marianne Apfelstedt
Im Jahr 2125 war alles anders. Die Ordnung hatte sich verschoben. Nach Epidemien unter den Paarhufern und dem großen Krieg im Osten wurde die Nahrung knapp. Die Menschheit, ihrer fleischlichen Proteinquelle beraubt, baute vermehrt Mais, Reis und Soja an. Die Erträge auf den ausgelaugten Böden wurden immer geringer. In den 2040er-Jahren suchten Forscher nach ertragreichen Pflanzen als Nahrungsquelle für die Menschen. Sophia und Mateo Singer forschten mit modifizierten Sojapflanzen, die sie in vitro vermehrten.
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„Guten Morgen Mateo! Hast du die letzte Versuchsreihe schon ausgewertet?“
„Morgen Sophia. Ja, alle Meristem Stämme aus CXIII wurden in die Gläser gesetzt und haben Wurzeln gebildet. Heute werden die Setzlinge der vorigen Reihe auf die verschiedenen Lebensbereiche verteilen. Ich kontrolliere zuerst das Gewächshaus vier.“ Sophia zog sich Schutzkleidung und Helm an und koppelte sich an den Sauerstoffschlauch. Dies war nötig, damit die Sämlinge nicht mit Keimen aus der Umwelt infiziert wurden. Im Glashaus angekommen, überprüfte sie zuerst die Biodaten von Luft und Wasser. Die Sojapflanzen, jetzt durchschnittliche 80 cm und kräftig verzweigt, hatten sich enorm entwickelt. Mit der Lupe inspizierte Sophia die Rückseite der Blätter und entdeckte den allzu bekannten bläulich grünen Belag auf deren Unterseite. Sie zwängte sich durch die buschigen Gewächse nach hinten. Dort sichtete Sophia weitere Exemplare mit dem Myzel. Enttäuscht brach sie die Inspektion ab. Wieder im Vorraum des Gewächshauses angekommen, setzte sie den Helm ab. Ein Kitzeln in der Nase kündigte ein Niesen an, das sie im Ärmel erstickte. Das Pflänzchen mit Wurzel, dass an ihrem Rücken haftete, bemerkte sie nicht. Genauso wenig wie das Myzel am Ellenbogen. Sophia entsorgte Anzug und Handschuhe im Sondermüllschacht. Der Helm kam in die Desinfektionskammer. Über das Kommunikationspanel an der Tür meldete sie sich bei Mateo.
„Ich brauche ein Reinigungsteam für das Gewächshaus vier. Bei einigen Sojapflanzen habe ich einen blauen Belag auf den Blättern entdeckt. Diese Serie muss vernichtet werden.“
„Das wirft uns um Monate zurück. Bist du dir sicher?“
„Ich habe eine Probe entnommen, in 24 Stunden wissen wir es genau. Aber ich habe auf etlichen Blättern diesen Belag entdeckt.“
„Ich warte auf dich. Dann kontrollieren wir zusammen das Gewächshaus neun.“ Mateo schrieb die Anforderung für das Reinigungsteam und speicherte diese. Zum Teufel! Wir können nicht schon wieder eine Versuchsreihe vernichten, vielleicht irrt sie sich. Letztendlich verschob er das Absenden der Nachricht auf einen späteren Zeitpunkt.
Im Gewächshaus neun blühten viele der Sojapflanzen und an manchen hatten sich schon kleine grüne Schoten gebildet. Sophia kontrollierte mit der Lupe die Blätter, unterdessen entnahm Mateo einige der Hülsen, um sie im Labor zu prüfen.
„Sehr gut. Ich bin zuversichtlich, dass diese Sorte sich an andere Lebensbedingungen anpassen wird. Die nächsten Sämlinge werden wir in trockenem Substrat testen“, schwärmte Mateo.
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März 2047
Eine neue Sorte der Sojabohne mit dem Handelsnamen „extremely Beans“ wurde auf den Versuchsfeldern in der eurasischen Steppe und auf Grönland angepflanzt. Diese Art passte sich hervorragend an extreme Lebensbedingungen an, der Ertrag übertraf die Erwartungen der Forscher.
August 2071
Auf allen Kontinenten der Erde vermehrten sich die „extremely Beans“ unkontrolliert weiter. Im Süden von Los Angeles dehnten sie sich trotz der letzten Waldbrände kontinuierlich aus. Sie hatten sich auf einer Fläche von 230 ha ausgebreitet. Unter den Pflanzen entdeckten Wissenschaftler 40 Mutationen der ursprünglichen Sorte. Eine dieser Unterarten ernährte sich von bläulichem Myzel auf den Blättern. Dieses verstoffwechselte Insekten, die auf dem Belag kleben blieben.
Februar 2085
In Europa wurden die ersten Städte mit Panzerglas-Kuppeln von den Überlebenden bezogen. Über ein Tunnelsystem im Erdboden sind die Metropolen an den Küstenregionen verbunden. Der Weg durch den Dschungel wurde für Menschen zu gefährlich. Die Kuppeln hielten allen Angriffen der Pflanzen stand.
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Theo blätterte in einem Album. Neben dem Zeitungsartikel aus dem Jahr 2047 klebte ein Foto der Mitarbeiter, die damals die Züchtung der Sorte „extremely Beans“ ermöglicht hatten. Sein Blick verharrte an der schlanken Gestalt von Sophia, seiner Mutter. Ein Räuspern holte ihn ins hier und jetzt zurück.
„Papa, darf ich mich zu dir setzen, oder möchtest du mit mir im Glasgarten eine Tasse Tee trinken?“
„Sehr gerne. Deine Stimme erinnert mich an deine Oma Sophia. Ich sehe mir gerade ein Fotoalbum der Familie an. Ich möchte dir etwas erzählen.“
„Komm, ich schiebe deinen Stuhl.“
„Nimm doch bitte das Album neben der Lücke aus dem Regal und gib es mir.“ Zoe nahm sich das Fotoalbum und legte es auf Teos Schoss. Sie öffnete die Schiebetür mit dem Druckschalter und schob ihn auf den Gang. Auf dem Weg zum Garten erzählte sie ihm von ihren Plänen, in die Fußstapfen der Eltern zu treten und Genetik zu studieren, um mit ihnen in den Labors der Familie zu forschen.
Theo zeigte Zoe die Fotos seiner Eltern und die Zeitungsartikel. Erklärte ihr die Kette von Zufällen, die damals dazu führten, dass die „extremely Beans“ außer Kontrolle gerieten.
„Habe ich dich richtig verstanden? Durch die Verunreinigung im Labor konnte das Myzel eine Symbiose mit den Sojabohnen eingehen. Erst dadurch passten sich die Pflanzen an und vermehrten sich in allen Klimazonen auf der ganzen Erde. Davon steht nicht das Geringste in meinen Lehrbüchern.“
„Wir freuten uns über jede Sojapflanze, die außerhalb des Labors überlebte. Die Hoffnung flammte auf, Nahrung für alle produzieren zu können. Es dauerte Jahre, bis wir bemerkten, dass die Pflanzenklone sich verändert hatten. Die Samen wurden vom Wind und Insekten verteilt und passten sich an. Evolution lässt sich nicht aufhalten.“
Zoe und Theo blickten durch das Panzerglas. Die Mutationen der Versuchsreihe CXIII strebten in den Himmel, armdicke Sporenfäden hingen herunter. Sie absorbierten jedes Leben, mit dem sie in Berührung kamen. Die blauen Schoten waren kurz vor dem Platzen. Schrotkugeln gleich würden sie ihre Samen verschießen. Menschen benutzten unterirdische Tunnel und ernährten sich von Algen, die sie aus dem Meer gewannen. Die Erdoberfläche war das Heim der Flora, die Beute überlebte nur hinter Panzerglas.
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