Von Marianne Apfelstedt

 

Nach dem Dîner traten Joséphine und Napoléon in das Billardzimmer. Die Abendsonne streckte ihre Strahlen durch die Bogenfenster bis auf den Billardtisch aus Mahagoni aus. Silhouette aus Gold.
„Ich überlasse dir den Anstoß, mein Gemahl.“ Joséphine stellte sich an die Längsseite und beobachtete, wie er mit dem Queue der Kugel einen Stoß gab. Die Kugeln sprengten auseinander, ohne dass eine in ein Loch rollte. Napoléon nahm das Gespräch wieder auf.
„Wie gewünscht habe ich dem Boten einen Brief für freies Geleit über die Grenzen mitgegeben. Was ist das für eine Rose, die du begehrst?“
„Rosa indica odorant. Es ist eine neue unbekannte Sorte, die exzellent duftet. Sir Abraham Hume hat sein Exemplar direkt aus Kanton bekommen. Monsieur Bonpland wartet schon auf diese Rose, um sie im Park zu vermehren.“ Joséphine nahm ihren Queue, beugte sich über die Bande und visierte eine rote Kugel an. Bevor sie zustoßen konnte, spürte sie eine Hand ihren Rücken zum Po hinunterwandern. Zeitgleich mit ihrem Stoß wurde sie in ihr Hinterteil gekniffen. Trotzdem rollte eine Kugel in das Loch.
„Mein Gatte, du hast mir doch versprochen, mich nicht mehr zu kneifen.“
„Verzeih, meine Freundin, bei deinem rückwärtigen Anblick kam es über mich.“ Er stellte sich ihr gegenüber an den Tisch. Genoss sichtlich den Einblick, den ihr Ausschnitt gewährte, als sie sich erneut nach vorne beugte. Seine Gedanken wanderten erwartungsvoll voraus. Erotisierend. Mit Ruhe und Kraft versenkte sie Kugel um Kugel. Seiner Aufmerksamkeit gewiss befeuchtete sie ihre Lippen, bevor sie zustieß. Der Feldherr beobachtete ihre Anmut und überlies ohne Gegenwehr der Kaiserin das Spiel. Mit jeder weiteren Kugel, die vom Grün verschwand, wuchs sein Sehnen. Kaum hatte Joséphine die letzte Kugel eingelocht und den Queue abgelegt, nahm Napoléon sie zärtlich bei der Hand, küsste ihre Fingerspitzen und führte sie in sein Schlafgemach. Die Siegerin folgte dem Besiegten mit Vorfreude.

Joséphine ging den Kiesweg entlang, die Sonnenstrahlen drangen durch ihr Kleid und wärmten ihr Herz. Aus der Tiefe des ausgeschnittenen Dekolletés blitzte ein gefaltetes Papiere hervor. Der Liebesbrief ihres Gatten, der nah an ihrem Herzen ruhte. Dieser Brief endete mit den Worten: „Tausend Küsse für dich, teuerste Freundin.“ Bei den Gedanken an seine Liebkosungen auf ihrer Haut brach sich ein wohliger Schauer Bahn und ihre Wangen färbten sich rosa. Nachglühen der Zweisamkeit. Durch die geöffneten Glasflügel trat sie in das Innere der Orangerie, wo die Papageien aus Martinique laut krächzten. Sie erfreute sich am Anblick der Ananaspflanzen, die den Weg säumten. Rosablühende Schmucklilien in den Töpfen davor verströmten ihren zarten Duft. Die neuen Rosen standen außerhalb des Glashauses im Schatten. Joséphine las die Etiketten und trug die Namen in ihr Verzeichnis ein. Eine Liste, die beständig wuchs. Auf dem Rückweg schnitt sie am Beet der Gallica Rosen einige Blüten der Apothekerrose, deren Duft ihr betörend um die Nase strich.

Zur gleichen Zeit in den Tuilerien bei Paris.
„Mein Sohn, weilt Joséphine noch auf Schloss Malmaison?“ Die Kaiserinmutter Laetitia besuchte ihren Sohn, doch nie ihre Schwiegertochter.
„Ja, ihr Garten wächst unter ihrer Fürsorge, wie das Reich unter der meinen. Es sind weitere Pflanzen aus England, Schönbrunn und Berlin eingetroffen. Ihr Rosengarten wird ein Vermächtnis für ganz Frankreich werden. Seit kurzem weilt der Maler Pierre-Joseph Redouté im Schloss, er wird ein Florilegium ihrer Rosen anfertigen. Josefine bekommt alles, was sie sich in den Kopf setzt.“ Stolz umspülte seine Worte.
„Leider bekommt sie keine Kinder mehr. Als Kaiser von Frankreich musst du deine Blutlinie durch männliche Nachkommen festigen.“
„Deine Einmischung ist nicht erwünscht, Mutter. Ich habe ihre Kinder Eugène und Hortense an Kindes statt angenommen. Eigene könnte ich nicht mehr lieben.“
„Eugène hat keinen Anspruch auf den Kaiserthron. Sie ist zu alt, um dir Söhne zu schenken. Zum Wohle Frankreichs musst du einen Weg finden, um diese Ehe aufzulösen.“ Napoléon lenkte Laetitia durch eine Frage nach seinem Bruder Jérôme ab. Das Essen wurde serviert, auf die Kaiserin kamen sie nicht mehr zurück. Die Saat war gesät und der Kaiser ignorierte beim Gedanken an Joséphine das Ziehen seiner Lenden.

Beim Weg durch den blühenden Park sah Joséphine nicht die schweren Blüten der Pfingstrosen, die nach dem Regen der letzten Nacht die Köpfe der Erde entgegenneigten. Ihr Herz war genauso schwer wie diese. Überall in Paris wurde ein verletzendes Wort geflüstert, selbst hier auf Malmaison. Die Gerüchte zerfraßen ihren Seelenfrieden wie die grünen Raupen die Blätter ihrer Rosen. Dieses Wort fügte ihr schlimmeren Schmerz zu als die spitzesten Dornen. Sie genügte Frankreich nicht mehr. Ihm genügte sie auch nicht mehr. Die neue Blüte musste frisch sein, bereit Pollen aufzunehmen. In der Orangerie suchte sie Trost bei den Papageien.

Schweigend saßen die Familienmitglieder an der großen Tafel beim Essen. Joséphine ganz in Weiß gekleidet. Ein Hut verdeckte ihr Gesicht zur Gänze, wenn sie den Kopf neigte. Einzelne Tränen stahlen sich aus ihren Augenwinkeln. Die zitternden Hände verbarg sie unter dem Tisch, als der Kammerdiener ihren unberührten Teller entfernte.
„Folgt mir“, forderte der Kaiser seine Familie auf. Er reichte der Kaiserin die Hand und führte sie in sein Arbeitszimmer. Der Erzkanzler und Graf Regnaud de Saint-Jean d’Angély hatten sich als Zeugen ebenfalls eingefunden. Der Kaiser las mit fester Stimme seinen Teil des Schriftstückes vor, der mit den Worten endete: „ … Nun muss ich meinem Herzen Schmerz zufügen. Im Interesse Frankreichs trenne ich mich von Joséphine de Beauharnais.“ Als Napoléon geendet hatte, reichte er ihr das Papier, sie las ihren Teil stockend und mit tränenerstickter Stimme vor. Nachdem alle Anwesenden das Scheidungspapier unterzeichnet hatten, führte Napoléon Joséphine in ihr Schlafgemach. Sie sank auf das Bett und schluchzte: „Das überlebe ich nicht“, ihre Tränen flossen jetzt ungehemmt. Der Kaiser schloss sanft die Tür und blinzelte mit tränenfeuchten Augen. Ihren Schmerz wehrte er mit blanker Schneide ab, behelmte sich mit grimmiger Miene und ließ sie unvermeidlich hinter sich. Um Absolution bemüht, schickte er Hortense nach oben, damit sie sich ihrer Mutter annahm, wie die Gärtner im Park ihrer Rosen.

 

Ich trocknete mir die feuchten Augen. Diese Geschichte berührte mich sehr. Marc legte mir das Buch im Morgengrauen neben das Bett, als er zum Frühdienst aufbrach. Schläfrig kuschelte ich mich in seine Kuhle, umhüllt von seinem Duft. Geborgenheit. „Die Rosen der Kaiserin Joséphine“ erzählte vom Leben und der Leidenschaft einer Frau und Rosensammlerin. Mit Abbildungen der Rosen, die es damals auf Schloss Malmaison gab. Sie war die Erste, die Rosen aus der ganzen Welt sammelte. Mit ihr starb auch ihr Garten. Ich spülte die wehmütigen Gedanken mit einem Schluck kühlem Zitronenwasser hinunter. Ein letztes Rekeln auf der Liege, entspannt schloss ich die Lieder, spürte die Sonnenstrahlen streichend auf meiner Haut. Erinnerte mich an seine warmen, streichelnden Hände. Gestern zog es mich morgens mit einer ersten Tasse Kaffee hinaus zu den Rosen. Leise Minuten, in denen ich beobachtete, wie grünglänzende Rosenkäfer vom Pollen naschten. Langsames Erwachen erweckte Sehnsucht nach Marc. Herbe Kaffeelippen verschmolzen mit seinen Lippen. Verführerischer Tanz. Verschlungene Glieder in kühlen Lacken. Nachprickeln. Ende der Mußestunde. Sonntag, Zeit für Gartenarbeit. Nachholarbeit. Jetzt, kurz vor der Rosenblüte gab es jede Menge zu tun. Mit Strohhut und Schubkarren machte ich mich an die Arbeit, das Bücken wurde immer beschwerlicher. Bei 117 Rosen und vielen Stauden gab es jede Menge zu tun. Ich entfernte Beikräuter und lockerte die Erde, damit bei Trockenperioden das Wasser besser versickern konnte. Auf zum nächsten Beet. Unter dem Rosenbogen verweilte ich einen Moment. Beim Anblick von Veilchenblau und ihren offenen Knospen zog ein Lächeln meine Mundwinkel nach oben. Lila Blüten mit weißem Stern und gelben Staubgefäßen. Gute Laune Stifter. Mit der Nasenspitze reichte ich mal eben an eine der nur Daumennagel großen Blüten, die so herrlich nach der Sommerlinde dufteten. Wer denkt, alle Rosen riechen gleich, hat keine Ahnung oder eine verstopfte Nase. Gab es im Garten von Joséphine Ramblerrosen? Da muss ich noch mal im Buch nachsehen. Jetzt war die nächste Ecke dran. Daneben blühte die Apothekerrose am Gartenzaun, die es auch schon im Park von Malmaison gab. Diese Rose ist mit ihren rosaroten Blüten und den gelben Staubgefäßen ein Magnet für Bienen und Hummeln. Ich führte meine Nase nah an eine freie Blüte heran und atmete diesen kräftigen Rosenduft ein, der für mich untrennbar zum Sommer gehört. Auch Marc liebt diesen sinnlichen Duft. Zart und kräftig, wenn das Rosenöl seine Haut verwöhnt.

 

Bei meiner Gartenrunde stelle ich mir Joséphine vor, wie sie im langen weißen Kleid an den Rosen vorbeischlendert. Ihre Nase duftend umschmeichelt. Durch ihre Sammelleidenschaft kamen Rosen in Mode. Nach ihrem Tod entstanden Hunderte von neuen Rosensorten durch Kreuzungen. So wie die Damaszenerrose Leda. Was sie wohl zu den runden roten Knospen sagen würde, die sich zu einer kreisrunden weißen Blütenrosette öffnen und nur einen Hauch rot an den Rändern behält. Eine wahre Frohnatur mit verschwenderischen Blütenbüscheln, die sich über Wochen zeigen. Ganz der Duft der alten Rosen ohne die Allüren von Edelrosen. Blüten verblassen in der sinkenden Abendsonne. Mit dem glutroten Ball schwindet auch ihr Bouquet.

Wenn die Sonne am Morgen ihre wärmenden Strahlen verschenkt, tanzt der Sommerwind mit dem Rosenduft durch den Garten, wie in den längst vergessenen Gärten der letzten Jahrhunderte. Ich strecke mich und dehne gekrümmte Wirbel. Streiche über die Wölbung, die sich unter dem Sommerkleid abzeichnet.

„Meine Joséphine, süße kleine Rose.“

 

 

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