Von Susanne Beck-Flemming

  

Als Frau einen Mann verführen und umgekehrt kennt jeder, kann sich auch jeder auf seine Weise vorstellen. Aber ich, ja ich, habe den ultimativen Kick, ohne Wenn und Aber, gefunden.

 

Ich lag in meinem Bett, hörte Musik über mein Headset und dämmerte vor mich hin. Durch das Fenster sah ich direkt auf den leuchtenden Vollmond, der mich schon immer faszinierte. Der ganze Kosmos faszinierte mich von jeher.

In mir regte sich eine tiefe Sehnsucht nach Flirten und Abenteuer. Doch da war niemand, mit dem ich meine spontane Laune teilen konnte. Ich war allein.

 

Während ich so da lag, die Augen geschlossen, den Rhythmus der Musik in mich aufnehmend begab sich mein Geist auf Wanderschaft.

 

Und dann traf es mich – warum nicht mit dem Universum flirten?  Immerhin bin ich da und das Universum ist da, also warum nicht.

 

Diese Idee mag skurril klingen, ja regelrecht unerhört in ihrer Unkonventionalität, aber in diesem Moment, in dieser Nacht, fühlte es sich nicht nur möglich an, sondern geradezu notwendig.

Ja, das Universum war der ultimative Flirtpartner für mich. Heute, Jetzt und Hier.

Wer könnte ein fesselnderes, mysteriöseres Gegenüber sein als der endlose Kosmos selbst?

 

Ich wollte das Universum nicht nur beobachten, sondern mich mit ihm verbinden.

Was, wenn ich nicht nur mit meinem eigenen Chaos flirten konnte, sondern mit dem gesamten Universum? Was, wenn ich es nicht nur mit Worten, sondern mit einem Tanz, einem Lied verführen konnte?

Und was soll das bringen? Na mal sehen, ich hatte sowieso nichts anderes vor.

 

Angetrieben durch eine Flasche heißen Champagner mit Petersilie (ein Geheimrezept) und meiner lasziven Stimmung, öffnete ich mich mental für diese neue Erfahrung.

Ich schleuderte das Headset in die Ecke und ergab mich meiner Inspiration.

Losgelöst von den Fesseln der Realität, ließ ich die physischen Begrenzungen hinter mir.

 

Zuerst erfand ich ein wirklich, wirklich außergewöhnliches Kleid für mich, ein Drama aus weißem fließenden, durchsichtigem Stoff, das seinen eigenen, eigenwilligen Tanz um meinen Körper herum tanzte (ähnlich dem Mantel von Dr. Strange).

 

Nun visualisierte ich mich frei schwebend durch die Nacht, die übrigens gar nicht so dunkel ist wie man oft meint.

Nachdem ich die Stratosphäre durchquerte befand ich mich schon inmitten des unendlichen Kosmos, im Vakuum.

Was für eine Erfahrung das ist – wenn man sich darauf einlässt – ist unbeschreiblich und kann kaum einer Erzählung gerecht werden, aber ich gebe mir Mühe. Versprochen!

 

Irgendwie verselbständigte sich ab jetzt alles, es passierte einfach, ohne dass ich nachdachte, und ich ließ es geschehen.

 

Ich begann mich auszudehnen, wurde immer größer und größer, bis ich beachtliche Ausmaße angenommen hatte. Durch meine Größe ergab sich nun natürlich auch ein anderer Blickwinkel auf die Umgebung.

Je weiter ich mich treiben ließ, desto klarer konnte ich die Milchstraße als Ganzes sehen.

Alles bewegte sich, nichts stand still.

Die Erde, unser gesamtes Sonnensystem und alle Sterne der Milchstraße bewegen sich auf klar erkennbaren Kreisbahnen um ein unwahrscheinlich großes Schwarzes Loch in der Mitte unserer Galaxie.

Ganz Laniakea konnte ich sehen. Laniakea, welch ein wunderschönes Wort.

Oh, du kennst Laniakea nicht? Darf ich vorstellen: „Laniakea ist unsere kosmische Heimat“, der  lokale Supergalaxienhaufen, mit bestimmt hunderttausenden Galaxien, darunter unsere Milchstraße.

 

Ich sah sogar die fadenähnlichen Verbindungen, die überall waren. Gebilde im Kosmos, die aus schwingenden farbigen Gasfäden bestehen.

 

Seltsam, wie dieser Ausblick die Sicht auf alles verändert.

 

Da war doch noch etwas. Ach ja, ich wollte tanzen und singen und flirten und springen.

Meine tiefe innere Bereitschaft, dem Universum das Du anzubieten, regte sich wieder.

 

Ich kehrte zurück zur Milchstrasse und begann meinen Tanz mit einer sanften Drehung, meine Arme ausgebreitet, wie die Spiralarme einer Galaxie. Jede Bewegung war eine Hommage an die kosmischen Kräfte, die das Universum zusammenhielten.

Während ich von Planet zu Planet tanzte oder sprang, wie man es auch nennen mag, auf jeden Fall mit einer Grazie, die ich vorher gar nicht an mir kannte, benahm sich mein Kleid ebenso tänzerisch um mich herum.

 

Jeder Planet wurde zu einem Trittstein. Meine Füße tippten auf Mond und Mars, auf Venus und Merkur, dann weiter auf Jupiter, hinunter auf Neptun, hinauf auf Saturn.

Wobei es Oben und Unten eigentlich gar nicht gibt, alles ist überall und im nächsten Moment schon wieder woanders, da ja alles ständig in Bewegung ist. Den kleinen Pluto hätte ich fast übersehen.

 

Ich tanzte hin und her und her und hin. Überaus graziös versteht sich.

 

Irgendwann fühlte ich eine Veränderung, ich spürte dass ich  an mehreren Orten gleichzeitig war. Ich wusste, dass ich jetzt eine Form des Super-Quantenzustandes erreicht hatte.

Woher ich das wusste, keine Ahnung, ich wusste es einfach.

 

Unter dem Einfluß der Quantenphysik, jener Wissenschaft, die uns lehrt, das Partikel in Zuständen der Superposition existieren können – gleichzeitig an mehreren Orten – begann ich mich fast aufzulösen, aber nur fast … wobei jeder Schritt, den ich machte, eher einem Sog glich. Ähnlich einem Leitstrahl, den das Universum mir vorgab.

 

Ich tanzte die Performance einer Ballerina. So anmutig, so vielfältig in meinen Erscheinungen, so ausgesprochen perfekt und poetisch.

 

Bis jetzt war es zwar nicht ruhig, es ging eigentlich sehr laut zu, je nachdem was man hören wollte und konnte, aber als ich meinen Gesang einbrachte wurde es richtig laut. In der Melodie, die ich sang gab es keine Worte, es war eine Fantasiemelodie, einfach das was mir so leicht, unbeschwert und lieblich über die Lippen kam.

Meine Stimme, verstärkt durch die kosmischen Wellen, erstreckte sich über Lichtjahre hinweg, und wurde zu einem Trommelwirbel aus strahlenden Frequenzen. Sogar mit einem Echo unterlegt.

 

Mein Tanz, der so anmutig war, dass er die Aufmerksamkeit der kosmischen Kräfte auf sich zog, wurde zu einem beschwörenden Inferno.

Ich hatte die Erotik einer Circe, die Verführungskraft einer Sirene, die Anmut der Venus und die Inspiration einer Muse. Was leider nicht so ganz dazu passte ist meine leicht chaotische Natur aber so what!

 

Der Tanz, die Melodie und die Tatsache dass ich da war wo ich war, berauschte mich derart, dass ich den Höhepunkt des Ganzen wie in Trance erlebte.

 

Durch meinen Zustand, ergriffen, aufgewühlt und wissend aber immer noch singend, passierte mir ein kleines geschick.

Ich verlor mich ganz kurz, ein wenig. In diesem ungeschickten Moment stiess ich mit einem kleinen Asteroiden zusammen, was eine Kettenreaktion auslöste, die eine Supernova zum Funkeln brachte – ein unfreiwilliges, aber spektakuläres Feuerwerk aus Licht und Energie begann.

 

In dem Moment, als ich mich in einer spektakulären Drehung hoch über der Milchstrasse erhob,  war ich alles  und nichts, überall und nirgendwo.

Mein Herz stand still, mein Atem angehalten, so verschmolz mein Bewusstsein, verschmolz mit dem Unendlichen. Ich verstand was Resonanz und Kausalität bedeutet und noch viel mehr.

Ich spürte die Quantenverschränkung in einer Art, die mich die tiefe Verbundenheit von allem zu allem erkennen ließ, für eine gefühlte Ewigkeit.

 

Wie sich das anfühlt? Ja, wie wohl?

 

Das Universum, wohl amüsiert, vielleicht auch ergriffen und entzückt von meiner Kühnheit, beschloss, mir auf unerwartete Weise zu danken.

 

In der Ekstase meines Tanzes, fühlte ich plötzlich eine sanfte, aber deutliche Berührung auf meiner Stirn. Es war, als würde das Universum selbst mir einen flüchtigen und doch intensiven Kuss geben.

 

Zuerst war ich überrascht, wie konnte das sein? Doch dann wurde mir klar, was geschehen war. Ein winziges, von der Sonne beleuchtetes Eisteilchen, ein Überbleibsel aus der Entstehung unseres Sonnensystems, hatte mich in diesem unendlichen Tanzraum gefunden. Dieses mikroskopisch kleine, aber leuchtende Partikelchen berührte mich mit der Leichtigkeit eines Gedichts, das leise im Wind verweht.

 

In diesem unwahrscheinlichen Szenario wurde mir klar, dass ich alles irgendwie wirklich erlebte, dass nicht nur ich mit dem Universum flirtete, sondern das Universum auch mit mir.

 

Als ich ein leises, wehendes Flüstern hörte : „Anuk-Aimée- Ich für Dich – Du für mich“ verstand ich.

Es bedeutete dass das Universum in Zukunft ein Auge auf mich haben wird.

 

Das Geschenk war eine Gabe, die durch die Berührung und das Streifen durch die Unendlichkeit mit mir kam, wie ein Duft den man mitnimmt, wenn man mit ihm in Kontakt kommt, nur nicht so vergänglich.

Glück, war das Geschenk an mich oder anders gesagt ich bekam das Geschenk Wahrscheinlichkeiten zu meinen Gunsten beeinflussen zu können. Das war das „Ich für Dich“.

Das „Du für mich“ bedeutete, dass wir unseren Flirt fortsetzen werden.

 

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