Von Klaus Helfrich

Carl Clemens Hahn – geboren am 24. Juli 1906  und gestorben am 12. April 1967 – war nicht nur Deutschlands erster Fernsehkoch, seine Kochshow war auch der erste Straßenfeger. Ach, Sie kennen den Herrn nicht – der Name seines  Heimatdorfs „Willmenrod“ , nach dem er sein Pseudonym wählte und in dem er auch begraben wurde, hilft Ihnen  vielleicht weiter. Oder haben Sie den Film mit Jan Josef Liefers über das Leben und Schaffen des Clemens Wilmenrod gesehen?

Bestimmt wurde es Clemens Hahn nicht an der Wiege gesungen, dass er einmal  als Clemens Wilmenrod vor einer Kamera für zehntausend mehr als alle deutschen Hausfrauen kochen würde. Auch seine Ausbildung zum Schauspieler und ein erfolgloser erster Versuch als Autor wiesen nicht auf die Kunst des Kochens hin, die er leider nicht beherrschte. Und trotzdem hat er unter anderem ein Gericht kreiert, dass den meisten Deutschen bekannt ist. Wenn diese Komposition aus angeröstetem Toastbrot, gekochtem Schinken, Dosenananas und einer Scheibe Käse, gekrönt von einer eingelegten Kirsche meinem Vater und mir von Mutti Anne, Papis zweiter Ehefrau serviert wurde, maulte er:

„Schon wieder Käsetoast von Wilma Rot?“ Die Antwort kam prompt:

„Bitte Heinrich, hör auf mit dem ständigen Verballhornen der Namen von großartigen Personen und auch des köstlichen  „Toast Hawaii“, was soll der Junge denn denken!“ 

„Wilma Rot kann ja noch nicht mal kochen,“ sagte Papi. „Jeder im Sender weiß das!“

Ich dachte mir meinen Teil, fand Papi ganz toll, der verballhornte weiter und Mutti Anne brachte Gerichte auf den Tisch, deren Bereitung  sie von Clemens Wilmenrod gelernt hatte. Ich erinnere mich noch an den  „Venezianischen Weihnachtsschmaus“, das ist ein in Tunke ertränktes paniertes Schnitzel. Schade um die krosse Panade, die mit der Tunke zur Pampe wurde. Ein pampiges Schnitzel, mich dauerten die Venizianer. Die hatten keine schöne Weihnacht, stellte ich mir vor, angestachelt von Papis Lästereien. „Arabisches Reiterfleisch“ entpuppte sich als ein schlichtes Hackfleischgericht. Meinen Vater konnten solche Speisen nicht begeistern, sein Lieblingsessen war ein Rumpsteak, obendrauf ein Berg gebräunter Zwiebelringe und dazu deftige Bratkartoffeln mit Speck. So etwas Ordinäres hatte Clemens Wilmenrod weder in noch auf der Pfanne.

Trotz dieser Querelen, mein Vater liebte seine Frau und so nutzte er berufliche Kontakte als Journalist beim Nordwestdeutschen Rundfunk, um ihr eine Freude zu bereiten. Beim Abendessen fragte er: 

„Anne, du rätst nie, wenn ich für übernächsten Sonntag als Ehrengast eingeladen habe!“

 Er behielt Recht, Mutti Anne kam nicht auf Clemens Wilmenrod, aber als Papi das Geheimnis lüftete, sprang sie auf und jubilierte: 

„Heinrich, du bist der Größte, ich freu mich so! Was kann ich denn kochen oder ob ich einfach nur Schnittchen mache? Toast Hawaii wäre wohl nicht so passend oder…?“

Papi schüttelte den Kopf, erwähnte noch ein paar andere Gäste, darunter auch einen Politiker der Regierungspartei, das alles fand keine Würdigung. Mutti Anne hatte nur den Fernsehkoch im Sinn.

Der Wilmenrod-Sonntagabend kam, Mutti Anne hatte sich für Schnittchen entschieden und dem Gast zu Ehren nach seinem Rezept  „Heringssalat auf bretonische Art“ bereitet, ein Gericht, das trotz der exotischen Zutat Bananen recht wohlschmeckend ist. Ich lag schon im Bett und schmökerte noch in Karl Mays „Winnetou 3“, als die Gäste eintrafen.

Als ich mich, angetan mit meinem Schlafanzug, ins Wohnzimmer schlich und unter die Gäste mischte, erkannte ich den Ehrengast sofort. Unter anderem, weil sein Porträt auf der Sonntagsschürze von Mutti Anne prangte. Das Menjoubärtchen und die hohe Stirn waren besonders markant. Der Koch und Mutti Anne saßen auf der Wohnzimmercouch und  unterhielten sich. Ich pirschte mich heran, wie von Winnetou gelernt, und sprach ihn an:

 „Du bist doch der Onkel aus dem Fernsehen mit dem Käsetoast?“

Meine piepsige Stimme drang nicht durch das Gespräch der Erwachsenen. Nur Mutti Anne hatte mich bemerkt und abgewunken. Trotzdem versuchte ich es noch einmal, diesmal aber erheblich energischer, zupfte den vollschlanken Herrn am Ärmel und fragte in einen plötzlichen Moment der Stille hinein:

„Bist du wirklich Wilma Rot aus dem Fernsehen mit dem Käsetoast!?“

 „In Wirklichkeit bin ich der Clemens Wilmenrod der Erfinder des Toast Hawaii!“, antwortete er.

Wir hatten die Aufmerksamkeit der Umstehenden gewonnen, Mutti Anne guckte säuerlich, Papi stand feixend im Hintergrund und ich freute mich mächtig über meinen Erfolg. Wilmenrod strich mir übers Haar und fragte in Erwachsenenart:

 „Na du kleiner Spitzbube, wie heißt du denn und gehst du schon aufs Gymnasium?“

Die Antwort wartete er nicht ab, sondern wandte sich wieder mit einem: 

„Wissen sie Anne…?“, seiner Gesprächspartnerin zu.

Wenn Mutti Anne an Sonntagen – geschmückt mit Wilmenrods Konterfei auf der Schürze – den Gästen und uns Fernsehspezialitäten servierte, gab Papi gerne die Geschichte von meiner Begegnung mit Wilma Rot, dem Erfinder der Gerichte zum Besten. Dass der Fernsehkoch sowohl ein Verehrer wie auch ein Liebling der Frauen war, flocht er meist geschickt in die Schilderung ein und hob die Brauen, wenn er dabei seine Frau anschaute. Meine Erinnerung und seine häufig um neue Facetten bereicherte Erzählung vermischten sich im Laufe der Jahre zu der jetzt geschilderten Wirklichkeit.

Mein Vater starb zwei Jahre später. Ich wurde der neuen Familie meiner leiblichen Mutter und ihrem zweiten Mann zugeteilt. Ihn nannte ich Onkel Peter. Die Familie lebte in Portugal und ich hatte sie schon früher einmal in den Sommerferien besucht.

Es gab kein Fernsehen und so waren der Clemens Wilmenrod, seine Show, seine Rezepte sowie seine Begrüßung der Zuschauer: „Ihr lieben goldigen Menschen“ unbekannt. Meine Mutter kochte, wie es seit Generationen in Ihrer Familie überliefert wurde.

 

Das war Clemens Wilmenrod:

https://de.wikipedia.org/wiki/Clemens_Wilmenrod

 

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