Von Ingo Pietsch
Es war eine sternenklare Nacht und man konnte die Silhouette des Kilimandscharo noch gut in der Ferne erkennen.
Wakunda und Sabesi saßen auf ihrem Lieblingsfelsen und blickten nach oben in den funkelnden Himmel.
Die beiden Mädchen trafen sich oft in den lauen Nächten und redeten über ihre Erlebnisse und was sie bedrückte.
Vor Raubtieren hatten sie keine Angst. Der Fuß des Felsens markierte eine unsichtbare Barriere, die die Tiere niemals passierten.
Der Wind trug alle möglichen Tierrufe aus der Savanne herauf, denn auch nachts war es niemals wirklich still.
Wakunda legte sich auf den immer noch warmen Stein.
Sabesi blieb sitzen und fragte: „Bist du traurig, dass ich wegziehe?“
„Ja, ich werde dich sehr vermissen. Auch die vielen Abenteuer und die schönen Abende, die wir zusammen erlebt haben.“
Bedrückt stimmte Sabesi ihr zu: „Ich würde auch viel lieber hierbleiben. Aber mein Vater hat seine Aufgabe erfüllt und es wird nun mal Zeit, weiter zu reisen.“
„Trotzdem wünschte ich, es gäbe einen Weg, dich länger hier zu behalten.“
Sabesi lächelte und auch wenn Wakunda es in der Abenddämmerung nicht sehen konnte, wusste sie doch, dass ihre Freundin es spüren konnte.
„Weißt du noch, wie wir uns an die schlafenden Löwen geschlichen haben und sie dann von einem Baum aus, den sie nicht erklettern konnten, mit Beeren bewarfen?“
Wakunda musste plötzlich lachen: „Ja, und ein paar Affen halfen uns dabei. Auch wenn es gefährlich gewesen war, haben wir bestimmt ein paar Tieren damit das Leben gerettet.“
„Die Löwen waren so wütend, dass sie sich kaum noch auf die Jagd konzentrieren konnten.“
Die Mädchen lachten noch eine Zeit lang.
„Wirst du mich irgendwann besuchen kommen?“, fragte Wakunda nach einer Weile.
„Du weißt, dass ich von sehr weit herkomme und mein Vater viele Aufgaben zu erledigen hat. Wir sind oft gefühlte Ewigkeiten unterwegs. Aber wir werden uns bestimmt eines Tages wieder sehen.“ Sabesi hatte einen Stein in die Hand genommen und schabte gedankenverloren auf dem Felsen herum.
„Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir mit unserer Sippe von einem Wasserloch zum nächsten zogen und uns von dem ernährten, was wir sammeln konnten. Und dann kamst du mit deinem Vater und alles änderte sich. Dein Vater lehrte uns, Brunnen zu graben und Felder zu bestellen. Wir hätten nie geglaubt, in Hütten leben zu können. Früher lagen wir auf dem nackten Boden und wenn es regnete, wurden wir einfach nass. Ihr habt uns so viel gegeben, deswegen möchte ich dir auch etwas schenken.“ Wakunda setzte sich neben ihre Freundin und legte ihr eine Kette aus Elfenbeinstücken um den Hals.
„Ich danke dir.“ Sabesi befühlte die polierten Stücke und umarmte Wakunda.
„Versprich mir eins: Gebt euer Wissen an alle weiter, die ihr trefft. Wir können leider nicht alle Menschen unterrichten, dafür reicht die Zeit nicht aus.“
Wakunda schrak ein wenig zurück, da das Weiße in Sabesis Augen plötzlich anfing zu leuchten.
„Ich verspreche es!“, sagte Wakunda tonlos. „Was ist mit deinen Augen?“
Sabesi sah wieder zum Nachthimmel hinauf. Ganz weit am Horizont glomm ein Licht auf, das sich langsam näherte und dabei größer wurde.
Die Tiere in der Savanne wurden unruhiger und lauter.
„Sabesi, es wird Zeit.“ Sabesis Vater war auf den Felsen geklettert und stand hinter ihnen.
„Ich weiß, Vater.“
„Wakunda, ich danke dir, dass ich dich und dein Volk kennenlernen durfte. Ich wünsche dir alles Gute.“ Er drückte freundschaftlich ihre Schultern und berührte mit seiner Stirn die ihre, wie es im Stamm üblich war.
Wakunda blickte an Sabesi vorbei: Der leuchtende Punkt war zur Größe der Sonne angeschwollen. Er zog einen langen Feuerschweif hinter sich her und flog direkt auf sie zu.
Sabesi umarmte ihre Freundin abermals: „Fürchte dich nicht.“
Ein Donnern begleitete den Feuerball. Die Tiere stoben in Panik in alle Richtungen davon.
Wakunda musste ihre Augen schließen, so grell war die Erscheinung, als sie über sie hinwegjagte. Sie spürte die Hitze, der ein kühler Wind folgte.
Als sie die Augen wieder öffnete, waren Sabesi und ihr Vater verschwunden.