Von Ingo Pietsch

Berlin, Innenstadt

Bea hatte Gänsehaut und fühlte sich unwohl.

Sie hatte keine Ahnung, warum sie diesen merkwürdigen Laden betreten hatte.

Überall um sie herum waren Tradings-Cards, Brettspiele und Merchandise-Zeug.

„Suchst du was Spezielles?“, fragte der Typ am Kassentresen. Mit dünnem Vollbart, Zopf und World-of-Warcraft T-Shirt der typische Nerd.

Bea schreckte aus ihren Gedanken auf, als sie angesprochen wurde.

Für einen kurzen Moment verschwanden all die bunten Spiele und Karten und sie sah Zauberstäbe, Tränke und alles andere Mögliche aus einem Zauberladen.

„Haben Sie das gerade auch gesehen?“, fragte sie völlig entgeistert.

„Na klar, das ist mein Laden, den sehe ich jeden Tag“, antwortete der Nerd und legte weiter Karten auf ein Deck.

„Sie wollen was Spezielles, das sehe ich ihnen doch an.“ Der Nerd trug auf einmal einen legeren dunklen Anzug und einen Hut. Und dann gleich wieder seine normale Kleidung.

Das war Bea zu viel. Sie rannte zur Tür hinaus und ging schnellen Schrittes die Einkaufsmeile entlang.

Trotz der Menschenmenge spürte sie, dass eine bestimmte Person sie verfolgte.

Immer wieder blickte sie kurz über ihre Schulter, konnte aber niemanden ausmachen, der verdächtig wirkte.

Sie ging immer schneller und rempelte versehentlich Passanten an.

Als Bea an einem Cafe mit vielen Tischen auf dem Gehsteig vorbeihastete, wurde sie am Arm gegriffen und zur Seite gezogen.

Unsanft landete sie auf einem Stuhl.

Sie wollte wieder aufspringen, als eine männliche Stimme mit englischem Akzent eindrücklich sagte: „Warten Sie einen Moment, dann ist die Gefahr vorbei.“

Ihr gegenüber saß ein Mann mittleren Alters in dunkler, lässiger Kleidung, aber mit einem langen Mantel, soweit sie sehen konnte.

Etwas sonderbar bei dem schönen Sonnenschein.

Dafür hatte er eine Sonnenbrille mit eckigen Gläsern und einen gepflegten Spitzbart.

Er hielt eine Aktenmappe in der Hand, die er auf den Tisch legte. Die Brille nahm er ebenfalls ab.

Seine blauen Augen schienen irgendwie zu leuchten.

Bea kam das Ganze unheimlich vor und wollte flüchten, als der Mann einen Zeigefinger an seine Lippen hielt und dann auf die Straße zeigte.

Dort ging ein vernarbter Typ, ähnlich gekleidet wie der Fremde, umher und sah sich um. Die Leute ignorierten ihn, als wäre er gar nicht da. Er drehte sich noch einmal um und verschwand dann in einer Seitengasse.

„Ich verstehe nicht“, begann Bea.

„Das war ein Hexenjäger“, kam die Antwort kurz und knapp.

Bea schüttelte den Kopf, da sie es tatsächlich nicht verstand: „Und was wollte der gerade von mir?“

„Na ja. Sie sind eine Hexe. Und er jagt sie.“ Der Mann lehnte sich zurück.

„So ein Quatsch. Sind Sie ein Verrückter oder so was?“, gab Bea unfreundlich zurück.

„Ich werde jetzt ein bisschen klischeehaft: Sie haben rote Haare, auch wenn Sie sie tönen, ziemlich blasse Haut, Sommersprossen und ihnen sind in ihrer Kindheit merkwürdige Dinge passiert.“

Bea hörte gebannt zu. Sie hatte sich ihre Handtasche an den Bauch gedrückt und spielte mit ihren Fingern daran herum.

Da sie nicht antwortete, hakte der Mann nach: „Habe ich Recht?“

Sie nickte.

„Zunächst einmal versuche ich alles so einfach wie möglich zu erklären. Es wird ihr Weltbild eventuell ein klitzekleines bisschen auf den Kopf stellen. Als erstes: Mein Name ist Derek Sword. Ich trage ständig ein Schwert mit mir herum, deswegen der lange Mantel.“

Derek rollte mit den Augen. „Ja, ja, ich weiß. Ich stamme aus Cornwall und bin auch ein Hexenjäger.“

Angst spiegelte sich in Beas Augen wieder, die nicht wusste, was sie davon halten sollte. Gerade war sie noch eine Studentin in Berlin gewesen und jetzt sollte sie eine Hexe sein?

Derek hielt kurz die Mappe hoch: „Das hier ist ihre Akte. Beate von Thorgau. Geboren am soundsovielten in Berlin. Sehr lückenhaft, denn ihre Großmutter war sehr gründlich.“

Bea verzog das Gesicht. Ihre Großmutter war erst vor wenigen Wochen gestorben.

„Entschuldigen Sie, mein Beileid. Sie war ihre letzte lebende Verwandte?“

Bea nickte.

Derek nickte: „Ihr Tod ist auch der Grund, warum sie quasi zur lebenden Zielscheibe geworden sind. Ihre Großmutter war auch eine Hexe, die sie nach dem Tod ihrer Eltern beschützt hat. Der Zauber ist mit ihr gegangen und jetzt sind sie wie ein Leuchtfeuer in der Dunkelheit.“

„Stopp mal. Sie behaupten meine Großmutter war eine Hexe und ich bin auch eine? Mit Zauberkräften und so?“

„Jap.“ Derek ließ die Akte auf den Tisch fallen. Er lehnte sich zurück, denn er wusste, was jetzt kommen würde.

„Sie verarschen mich doch? Gleich erzählen Sie mir, dass der Typ mich umbringen will, weil ich die Auserwählte für irgendwas bin. Aber nicht mit mir! Sie sind auch so ein Spinner.“ Bea sprang auf und wollte etwas sagen, verkniff es sich aber.

Derek atmete kurz tief durch und beobachtete Bea, wie sie an einer unsichtbaren Mauer abprallte. Sie versuchte es auf der anderen Seite des Tisches und dann hinter Derek.

„Ist das so ein billiger Trick?“

„Setzten Sie sich bitte wieder. Das ist auch ein Schutzzauber. Niemand hört oder sieht uns.“

Und tatsächlich, Bea hörte genauer hin und vernahm alle Geräusche gedämpft um sie herum.

Sie setzte sich wieder, da sie wusste, dass der Fremde sie nicht so einfach gehen lassen würde. Sie hatte ein Pfefferspray in ihrer Tasche, aber das wollte sie nur im äußersten Fall benutzen.

„Sind Sie auch ein Zauberer?“, wollte sie wissen.

„Leider Nein. Bei mir hat es leider eine Generation übersprungen. Ich kann zwar mit meinem Fingerschnippen eine kleine Flamme entzünden, aber das war`s schon.“ Er schnippte als Demonstration und sein Daumen fing Feuer. Er pustete es aus.

„Tut das weh?“

„Nein. Es kribbelt ein wenig.“

„Bin ich hier bei Harry Potter gelandet und der versteckten Kamera?“, Bea wurde langsam hysterisch.

Derek grinste: „Das meiste aus Harry Potter ist wahr. Ein wenig übertrieben, aber wahr.“

„Riesen, Trolle, Kobolde, Zauberstäbe, fliegende Besen?“

Derek nickte bei jeder Aufzählung: „Die Besen sind Blödsinn. Man kann nicht gut drauf sitzen.“

Bea starrte einen Moment lang ins Leere, um alles, was sie bisher gehört hatte, zu verarbeiten.

„Ihre Großmutter hat Sie vor der ganzen Zauberwelt versteckt. Aber das ist jetzt vorbei. Ich werde Sie mitnehmen, damit Sie ihre Kräfte entfalten können und damit umzugehen lernen. Sie scheinen etwas ganz besonderes zu sein. Deswegen sind ihre Eltern wahrscheinlich auch ermordet worden.“

„Noch mehr Klischee geht ja nun wirklich nicht. Sie starben bei einem Autounfall.“

„Es liegt nicht an mir, darüber zu diskutieren, wie wahrscheinlich etwas ist. Auch nicht über den ewigen Kampf Gut gegen Böse und Bla, Bla, Bla. Wichtig ist erst einmal, dass wir von hier verschwinden. Denn der andere Jäger ist stärker als ich. Und er kommt wieder. Oh, da ist er auch schon.“ Derek griff unter den Tisch und zog eine Aktentasche hervor und stecke die Mappe ein.

Bea drehte sich um.

Der Hexenjäger stand mitten in der Menschenmenge, die sich auf dem Platz drängte. Niemand schien ihn zu bemerken.

Dunkle Kleidung, dunkle Haare und dunkle Augen.

„Keine Panik, unter diesem Schutzschirm sind wir sicher“, meinte Derek.

Der Jäger griff in seine Manteltasche und zog wie in Zeitlupe einen Stock hervor.

Er hatte den magischen Schutzschirm entdeckt. Mit einem Mal konnten alle den Hexenjäger sehen, da er sich jetzt auf Bea und Derek konzentrierte und nicht mehr die Menschen in seiner Umgebung täuschte.

Die Leute rings um den Jäger liefen schreiend auseinander, da sie glaubten er zöge eine Waffe, was auch stimmte.

Stühle wurden umgeworfen, Gläser und Besteck klirrten.

Für Bea unter dem Schirm lief die Außenwelt langsamer und verzerrter ab.

„Moment, ich hab es gleich.“ Derek wühlte in seiner Tasche herum.

„Was denn? Der Typ erschießt uns gleich“, Panik klang in Beas Stimme wieder und sie sprang auf.

„Den Teleporterschlüssel, der uns von hier wegbringt. Ah, da ist er ja.“ Derek hielt eine Spieldose in die Höhe. „Die fassen wir beide an und denken an die Kreidefelsen von England.“

„Was? Moment, das ist meine Dose. Wo haben Sie die her? Sind Sie bei mir eingebrochen?“

„Los jetzt, wir dürfen keine Zeit verlieren. Oh, oh.“

Bea blickte auf den Hexenjäger. Auf der Spitze seines Zauberstabs blitzte ein bläuliches Licht auf, dass sich in einen Strahl verwandelte. Dieser schoss auf die beiden zu und traf den Schutzschirm. Eine Kugel aus Entladungen leuchtete um sie herum auf.

Es knisterte und Bea standen die Haare zu Berge.

Derek grinste: „Ich habe ja gesagt, dass wir hier sicher sind.“

Mit einem lauten Klirren zersprang die Kugel und die beiden wurden zu Boden geworfen.

Der Jäger kam näher und fegte mit weiteren Schüssen Stühle und Tische davon.

Dann traf er Derek in die Schulter und dieser ließ den Schlüssel fallen.

Bea biss die Zähne zusammen. Der finster blickende Typ kam immer näher und sie hatte keine Möglichkeit sich zu verteidigen. Sie schloss die Augen und hielt mit einem Mal ein Tablett in den Händen. Sollte sie ihm das wie ein Frisbee an den Kopf werfen?

Er war ganz nahe heran und zielte direkt auf sie. Bea riss das Tablett hoch und der Strahl wurde zurückgeworfen. Haarscharf verfehlte er den Kopf des Jägers.

Unbeirrt schritt er weiter und schoss in schneller Reihenfolge weiter.

Instinktiv wehrte sie alle Schüsse ab und schließlich traf den Hexenjäger ein Querschläger direkt in den Magen. Er flog mehrere Meter rückwärts und demolierte dabei einen Eisstand.

„Los, Hand drauf und an die Kreidefelsen denken!“

Bea sah Derek in die Augen. Er nickte.

Der Hexenjäger war schon wieder aufgesprungen und schickte mehrere Blitzstrahlen in ihre Richtung.

Im gleichen Moment, wie sich die beiden auflösten, hinterließen die Schüsse einen rauchenden Krater, wo sie zuletzt gewesen waren.

Als der Jäger seine Niederlage erkannt hatte, war er für normale Augen auch schon wieder unsichtbar geworden.

 

Englische Küste

Derek rappelte sich auf. Vor ihm prangten die weißen Klippen, hinter ihm rauschte das Meer.

Bea war nicht da.

„Beim Barte Merlins. Warum passiert mir das immer?“