Von Sabine Rickert                                   

Herr Professor Miller der Direktor des Instituts trat ins Auditorium. Mit strenger Miene schaute er zu Mabel, die in der ersten Reihe zusammengekauert neben ihren Dozenten saß.

Sie fühlte sich klein und hilflos und hatte nur den Wunsch, dass es schnell vorüber ging. Zuerst wurden ihre Lehrer angehört. 

Mabel schweifte mit ihren Gedanken ab, sie kannte ja die Geschichte und sollte im Anschluss befragt werden.

„Ich werde sie vermissen, diese Stätte der Wissenschaft, der Magie und meines großen Scheiterns“, sinnierte sie traurig.

Sie liebte es, morgens in diese >heiligen Hallen< des alten Institutes zu treten. In eine Welt einzutauchen, die den Charme des 15. Jahrhunderts hatte. Der Marmorboden, die riesige Holztreppe, die zu den Laboren und zu den Hörsälen führte. Die große Bibliothek mit Büchern die teilweise so alt waren, dass man sie nur mit Baumwollhandschuhen anfassen durfte.

Die laute und dramatische Berichterstattung der Dozenten rüttelte Mabel aus ihren Gedanken. Sie schilderten zunächst detailreich den Fehler bei der Herstellung der Prüfungsrezeptur.

Sie erinnerte sich ungern zurück. Verlangt wurde die Tinktur des Antidots der Korallenotter.

Der Professor bemerkte, dass es sich um eine Standardaufgabe handelte. Beherrschbar, ohne dabei das Institut und die darin befindlichen Mitarbeiter und Kommilitonen in Gefahr zu bringen.

Mabel errötete und wurde kleiner in ihrem Sitz, am liebsten wäre sie jetzt unsichtbar. Ihre Gedanken schweiften zu dieser Unglückstinktur. Bei der Herstellung des Antidots verwechselte sie zwei Komponenten. Fatal! Ihr erstes Scheitern bei der Prüfung zum Bachelor of Sience.

Dabei war der Morgen entspannt, das Rezept fand sie recht schnell in der großen Bibliothek, und sie freute sich über die leichte Aufgabenstellung.

Doch die Tücke bei jedem Rezept liegt im Detail. Achtet man nicht genau auf die Mengenangaben, oder verwechselt die Komponenten untereinander, sorgt dies für Chaos im Labor  und führt gegebenenfalls, zum Großeinsatz der Dozenten und Professoren. 

Ja, Mabels Studium war ungewöhnlich. Sie strebte ihren Bachelor an, um sich im Anschluss am Institut für eine Assistentenstelle oder sogar als Dozent zu bewerben. Den Traum vom Master und damit eine leitende Anstellung hatte sie für sich schon früh aufgegeben.

Wunschdenken? Ihre Künste waren mäßig, der Erfolg blieb bis jetzt aus, obwohl sie ihre ganze Energie hinein steckte. Es kam häufig zu Verwechselungen und damit zu Unfällen, die sie alleine nicht wieder in den Griff bekam.

Direktor Miller wandte sich jetzt direkt an Mabel: „Frau Maga, schildern sie mir doch bitte aus ihrer Sicht das Scheitern ihrer ersten Prüfung.“

Mabel erzählte ihm, wie sie Spinnenbeine und Spinnenhaare verwechselte. Nachdem sie alles aufkochte zu einem Dekokt, nahm das Unglück seinen Lauf. Die Abkochung breitete sich aus und lief aus dem Topf über den Rand auf den Labortisch. Dort angekommen verwandelte sich die Flüssigkeit in die gefürchtete Korallenotter. Sie schilderte weiter, dass sie mit ihrem Zauberstab eingegriffen hätte, um Unglück von Leib und Leben zu vermeiden, wie sie es im Erste-Hilfe-Kurs gelernt hatte. Der Zauberstab verweigerte sich, weil sie ihn durch falsche irritierende Befehle durcheinandergebracht hatte. 

Daraufhin drückte sie sofort den Alarmknopf und erwischte dabei den Schwanz der Korallenotter und klemmte ihn ein, wodurch diese äußerst aggressiv reagierte. Sie wuselte so schnell auf dem Labortisch hin und her, sodass die herbeieilenden Dozenten mit ihren Zauberstäben nichts erreichten. Sie schafften es nicht, die Otter mit ihren Stäben anzupeilen. Die Schlange warf alle Gegenstände vom Tisch, den Rest zerstörten die Dozenten mit Fehlschüssen ihrer Zauberstäbe. Erst der herbeigerufene Professor Sachs bereitete dem ein Ende, indem er ohne Worte, nur durch kleine Zeichen, seinem Zauberstab befahl eine Porzellanschale über die Otter zu stülpen. „Echt cool, wie er so lässig reagierte, nachdem sich alle eine halbe Stunde abgeplagt hatten“, erwähnte sie mit großer Begeisterung. 

„Soweit die erste Prüfung Frau Maga, und bei der Zweiten holten sie die Verwandtschaft zur Hilfe.“

Die Dozenten hatten Mühe, ihr Lachen zu unterdrücken.

Mabel fuhr recht schnell fort mit ihrer Schilderung. Sie hatte den Wunsch, so zügig wie möglich nach Hause zu kommen.

Bei der letzten Prüfung vor zwei Wochen fing es schon chaotisch an. Zuerst fand sie das >Alchemistenwerk II< mit der Rezeptur nicht. Die Zeit rannte ihr davon. Es stand nicht an seinem Platz, und sie überlegte, ob es ein anderer Prüfling in Gebrauch hatte. Ein Organisationsfehler? Sie kannte das Rezept auswendig. Sie war sich völlig sicher und fing an, alles zusammenzutragen. Es war ihr Lieblingstrank, das Unsichtbarkeitsserum. Eine wichtige Tinktur im Hexenalltag. Gar nicht wegzudenken. Sie hatte sie schon oft hergestellt. Allein um mal zwischendurch abzuschalten und nicht gefunden zu werden.

Sie war sich so sicher. Doch das Unglück nahm seinen Lauf.

Statt Radix taraxaci cum Herba, der gemeine Löwenzahn mit Kraut und Wurzel, kam leider nur das Kraut zum Einsatz. Herba taraxaci sine Radix. Ihr Dekokt hatte andere Besonderheiten, welche ja nach der Fertigstellung vom Prüfungsausschuss überprüft wurden.

Das Taschenbuch ihrer Tante Paula wurde auf den Labortisch gelegt. Es hatte den Titel >Vademecum, Leitfaden der Magie von Paula Maga<. Ihre Tante hatte durch viele eigene Missgeschicke im Studium, ein Hilfswerk geschaffen. Es wurde bis heute hoch geschätzt. Der Dozent entnahm mit einer Pipette etwas von Mabels Serum und träufelte drei Tropfen auf das Werk. Keine Reaktion! Es wurde nicht unsichtbar, es passierte zuerst gar nichts. Doch lief ein Tropfen der Tinktur langsam vom Buch herunter auf den Labortisch. Sobald er den Tisch berührte, entstand ein kleiner Blitz, und ein Gesicht erschien. Schwebend über dem Labortisch. Es war der Kopf ihrer verstorbenen Tante Paula. Sie fing schallend an zu lachen und flog im Zickzack durchs Labor. Dabei rief sie: „Da scheint ja etwas völlig schief gegangen zu sein, mit deiner Prüfung. Versuche es erst gar nicht mehr Mädel, du hast ein Gedächtnis wie ein Sieb. Das liegt in der Familie, du kommst nach mir, eindeutig. Du hast kein Unsichtbarkeitsserum hergestellt, sondern ein Auferstehungsserum. Die Tücken bei der Herstellung habe ich im Vademecum auf Seite fünfzehn beschrieben. Kleine Verwechselung mit dem Löwenzahn, hihi. Aber keine Sorge ich bleib nicht lange, der Spuk ist in zwanzig Minuten vorbei.

Sehr schön, dich wiedergesehen zu haben, liebe Mabel“.

Tante Paula nutzte die restliche Zeit recht intensiv. Sie flog um die Dozenten herum und flirtete mit ihnen. Sie fragte Mabel, ob sie ein Krösken mit den leckeren Jungs hätte. Mabel verneinte, ihr war das Benehmen der Tante äußerst peinlich. Daher ließ sie diesen Teil der Berichterstattung einfach weg. Denn Tante Paula war nicht zu bremsen, sie rief laut:“ Ihr seid ja Spaßbremsen. Zu meinen besten Zeiten habe ich zwei von denen auf einmal vernascht.“

Mabel wurde rot und entschuldigte sich bei den Dozenten für ihre Tante. Diese wiederum amüsierten sich köstlich über Tante Paula und meinten, sie hätten schon lange nicht mehr ein so amüsantes Scheitern eines Prüflings miterlebt. 

So weit die Schilderungen zur zweiten Prüfung, ohne zu tief ins Detail zu gehen.

Jetzt erwartete sie das Donnerwetter des Direktors und die Strafe, die folgen würde. Der Direktor teilte nochmals mit, was Mabel schon wusst, und zwar, dass es keine dritte Prüfung mehr geben würde. Dass ihre Zauberei in Zukunft nur in ihren eigenen vier Wänden stattfinden werde, nur als Hilfe im Alltag. Dafür wurde ihr Zauberstab auf >Home< umgestellt. Sie bekam eine Empfehlung für ein Biologie-, und Chemiestudium auf Lehramt an einer herkömmlichen Universität. Ohne jegliche Hexerei und ohne Prüflösungen, die ein Eigenleben entwickeln. Sie brauchte den Schaden im Labor, der in ihrer ersten Prüfung entstanden war, nicht bezahlen. Der Professor meinte mit einem süffisanten Lächeln: „Falls sie ihre Tante Paula zufällig einmal erscheinen lassen, bestellen sie ihr herzliche Grüße von Gilbert. Ich war Dozent in ihrer ersten und zweiten Prüfung. Durch sie habe ich mich intensiv mit >blitzschneller Schadensvermeidung< befasst. Daher die halbjährlichen Intensivseminare für alle Dozenten und Professoren. Aber Feiern- und Mottopartys ausrichten, darin war ihre Tante perfekt. Wir hatten schon unseren Spaß.“

„Danke Tante Paula, für den Maga-Bonus“, flüsterte Mabel.