von Bernd Kleber

 

Elias wirft den Pizzakarton im hohen Bogen über das Geländer der Admiralbrücke. Ihm ist schlecht. Bier, Shots und Pizza scheinen sich in seinem Magen irgendwie nicht zu verstehen, dabei geht es doch um Harmonie. Aus einer riesigen Bassbox, die Lars mitgebracht hat, wummert es so sehr, dass Elias jetzt am liebsten „Ruhe!“ schreien würde.

Doch da schreit schon Kira: „Elias du Vollidiot, warum schmeißt du deinen Karton in den Kanal, denkst du auch oder säufst du nur?“

„Was denn?“, fragt Elias sehr leise, denn die Übelkeit hat inzwischen von seinem Körper Besitz ergriffen, in den Ohren rauscht es, sehen kann er nur noch vierfach und verschwommen. Die Zunge liegt faul in der Mundhöhle und so wundert er sich, dass bei all dem Partylärm, Kira ihn überhaupt verstanden hat.

„Du Volldepp, der Landwehrkanal ist doch keine Mülldeponie, aber so Trottel wie du machen ihn dazu. Ihr kotzt mich an.“

Irgendwie hallt das in Elias nach. Kira, die Schöne! Lockige Mähne, dunkle Augen, Traum-Figur. Wenn Kira beginnt zu tanzen, dann stehen viele Münder offen … vor Begeisterung. Sie hat Moves drauf, die andere nur aus großen Shows kennen.

Am besten sind ihre Bewegungen zu Sofie Tuckers „Matador“. Und seit er dies zum ersten Mal sah, ist Elias irgendwie in Kira verknallt.

„Kira, Lady, mein Engel …“, stammelt er lallend, „sei easy, chill mal, der Karton löst sich auf, ist doch Pappe und kein Plastik! Und dann wird er wertvoller Humus“, versucht Elias sein bisschen Wissen zusammenzukratzen, um die kluge Kira zu besänftigen.

„Geh nach Hause, Elias … du bist voll!“ Aus den Boxen wummern jetzt die Beats zu „Yung Yury & Damn Yury – TABU“. Elias hämmern die Bässe so sehr in den Magen, dass ihm schlecht wird. Er erhebt sich wie in Zeitlupe. Geht vier Schritte, ausladend, als hätte er sich in die Hose gemacht, zum Brückengeländer, und übergibt sich. Er röhrt den gesamten Abend hinaus, seine Einsamkeit, seine Sehnsüchte und seine Traurigkeit, nicht zu wissen, was er zu tun haben wird in dieser Welt. Einmal, noch einmal und die Fontänen sauren, unverdauten Mageninhalts schießen klatschend in das träge Wasser. Kira, die nun neben ihm steht, streicht ihm über den Rücken und flüstert: „Geh´ nach Hause! Wir sehen uns morgen!“

Er blickt in ihre braunen Augen, versucht, seinen Blick zu fokussieren, merkt wie Tränen das Motiv verwässern und er nur noch Milchglas sieht. Er schließt die Lider, reibt sich mit den Fäusten über die Augen und brummt etwas, was so viel heißen sollte, wie „Ja, ich schäme mich!“.

Kira erwidert: „Ruf mich morgen an!“

In das Rot der untergehenden Sonne, dem blutenden Stadtmeer, den flammenden Alleebäumen schreitet Elias seinem Bett entgegen durch die Admiralstraße Richtung Kotti.

 

***

Er braucht drei Anläufe, bis der Schlüssel endlich im Loch steckt. Er dreht ihn langsam nach rechts. In seinem Mund schmeckt es sauer vergoren. Er stößt immer wieder auf und Säure sammelt sich in seinem Mund, die er sofort wieder hinunterschluckt. Seine Hände drückt er auf den schmerzenden Magen. Nicht nochmal kotzen!

Endlich in seiner Welt, seiner Wohnung. Seinem eigenen Kosmos, streift er die Sneakers ab, geht sofort in sein Badezimmer. Dort trinkt er klares, frisches Wasser. Dabei stellt er fest, wie durstig er ist. Dann setzt er sich aufs Klo.

Blähungen treiben lautstark und werden von der Keramikschüssel verstärkt. Ob das die Nachbarn hören?

Danach, am kleinen schmalen Waschbecken, gurgelt er den sauren Geschmack aus dem Rachen. Und putzt sich die Zähne. Hält sich schaukelnd dabei an der Wand fest.

Nur noch ins Bett! Morgen darf er Kira anrufen, wenn das nicht ein toller Ausblick ist.

Er schlurft mit halbgeschlossenen Augen ins Wohnzimmer. Da begrüßt ihn ein freundliches „Hallo!“

Sein Puls schießt in ungesunde Höhe. Eigentlich hat er eben schon fast geschlafen. Da erblickt er auf der Couch die Schildkröte.

Er hält sich die Hand vor die zusammengepressten Lippen.

„Wie bitte?“, fragt er hilflos.

„Hallo, endlich! Du kommst aber spät nach Hause!“

„Willst du mich verhararscheiße-arschen?“

„Du lallst aber ordentlich!“

„Wat willst´e hier? Spinnst du und wo isser Trick?“

Elias will nicht, aber er spürt, wie Adrenalin und Schock ihn immer munterer werden lassen, eben war er noch kurz vor dem Delirium, nun hellwach!

„Ich rufe die Polizei!“

„Haha, lustig, die werden sich freuen, wenn du denen was bitte erzählst?“

„Dass du hier eingebrochen bist …“

„Eine Schildkröte?“

„Shit!!!“

„Siehst´e! Setz Dich! Hast du ein Salatblatt oder noch besser einen Salatkopf für mich? Ich habe Hunger!“

„Nein!“

„Na toll! Ich warte hier schon drei Stunden auf dich und du …“

„Spinnst du? Hier veräppelt mich doch irgendwer? Seit wann quatschen Schildkröten? Bin ich in einem Murakami Plot?“

„Murakami!“, lacht die Schildkröte, „Bist du ein bisschen einfältig oder was soll das Halbwissen? Bei Murakami sitzt ein Frosch im Wohnzimmer und sie retten Tokyo. A: Sind wir in Tokyo?“

„Nein.“

„B: bin ich ein Frosch?“

„Nein! … Ah, du bist Kommunist?“

„Sag mal, bist du vollkommen verblödet? Sehe ich aus wie ein Känguru?“

„Nein!“

„Na also! Hör auf, deine Halbweisheiten auf mich zu projizieren, sondern lebe dein Leben. Es macht doch keinen Sinn, wenn du andere Leben nachleben willst.“

„Okay!“ Soll ich die Polizei rufen?“

„Hast du schon einmal gefragt und macht jetzt nicht mehr Sinn! Setzen!“

Elias schaut die Schildkröte an, die eindeutig irgendwie hochkant auf seinem Sofa sitzt. Sie rudert mit den Beinen und wackelt mit dem kleinen Ende, das unten aus dem Panzer herausschaut.

„Starrst du mir auf meinen Schwanz, du Ferkel?“

„Wie bitte? Du wackelst doch die ganz Zeit rechts links rechts damit und ich habe da hingeguckt.“

„Das geht nicht, ich glotze dir doch auch nicht auf deinen Schwanz!“

„Wat? … Na, ich habe wohl keinen oder was meinst du? … Wie heißt du überhaupt?“

„Kühlwalda!“

„Wie die Kröte in der Serie mit dem Zauberer Catweazle?“

„Ja, genau, meine Mutter hatte eben Geschmack! Und ich bin 64 Jahre älter als die Serie! Aber sag, was machst du den ganzen Tag?“

„Was?“

„Ja, was machst du, außer Pizzakartons ins Wasser zu werfen?“

„Hör mal, ich schmeiß dich gleich raus!“

„Okay, Umweltsau, was machst du den ganzen Tag?“

„Bin keine Sau! Ich studiere.“

„Was?“

„BWL“

„Ojeh … Noch so ein Theoretiker und das Ziel nur kapitalistischer Konsum, Wohlstand und Reichtum!“

„Du bist doch Kommunist?“

„Nein, hör auf, blöde zu quatschen! Du musst Folgendes tun: Morgen gehst du zum B.U.N.D. und gibst ihnen folgende Koordinaten. 27° N, 71° W!“

„Und, was dann? Wo ist das überhaupt?“

„Nun warte es doch mal ab, du Kackbratze! Und, schonmal vom Bermudadreieck gehört?“

„Na hör mal! Klaro!“

„Ne, du hör mal! Und sagst, sie sollen dort eine Tonne Kaliumpermanganat ins Meer schütten“

„Was?“

„Du hast echt keine Ahnung!“

„Was soll das? Ich schlafe bestimmt schon.“

„Nein, konzentriere dich, du Wirtschaftsheini!“

„Okay!“

„Also, das Kaliumpermanganat reagiert mit dem Wasser und setzt Sauerstoff frei, das benötigen wir für die Verflüchtigungsspur ins All, denn nur die Korphinaliens können uns noch retten!“

„Wer und vor was?“

„Vor so Idioten, wie euch Menschen. Hast du meine Cousine gesehen? Der habt ihr einen Strohhalm aus der Nase gezogen! Weil ihr allen Mist über die Brückenmauern ins Wasser werft, wie du!“

„Scheiße! Ja, ich kenne das Video.“

„Ich bin Kühlwalda Chelonoidis carbonarius und meine Cousine ist 97 Jahre alt, musste 12 Jahre mit dem Strohhalm in der Nase leben.“

„Tut mir leid!“

„Na wenigstens… „

„Und?“

„Was: und?“

„Was wolltest du gerade sagen?“

„Also wir Chelonoidis werden sehr alt und sind schon eine Weile länger auf diesem Planeten als ihr, den ihr jedoch in kürzester Zeit zur Müllhalde machtet. Also wir haben Kontakt zu den Korphinaliens. Hat übrigens nichts mit Aliens zu tun, wie ihr idiotischen Zweibeiner definiert, sondern mit den Bewohnern Korphinaliums.“

„Sorry, genug mit dem Bashing, schon klar, wir sind bekloppt.“

„Ja!“

„Shit!“

„Also was?“

„Na, nur ihr könnt so komplex handeln, weil die Korphinaliens es sich von euch so erwartet haben, aber ihr handelt anders als erwartet, zerstört wie kleine bockige Kinder, das, was euch schützend umgibt und damit die Lebensgrundlage eurer Nachkommen. Aber auch von uns! … Und regt euch über Klimakleber auf!“

„Ja, ist ja gut … Aber wer soll mir denn die Geschichte mit dem Kalium glauben?“

„Kaliumpermanganat! Du musst dich schon anstrengen, du Trottel!“

„Okay okay … Ich gehe jetzt runter, hole dir Löwenzahn … und morgen gehe ich, wohin?“

„Zum B.U.N.D.!“

„Okay, okay,“

***

Am nächsten Morgen hat Elias einen Schädel, denkt an die volle Bioreste-Tonne im Hochsommer. Er geht sofort, immer noch wankend ins Wohnzimmer. Da ist niemand. Auf dem Sessel, wo am Vorabend Kühlwalda saß, liegt ein Zettel!

„Ja, es war echt, du Scheißer! Und das Sprechen haben die Korphinaliens ermöglicht, falls du heute auf diese eigentlich logische Frage kommst. Geh zum B.U.N.D.! Das ist deine Bestimmung. Alles andere ist Quatsch! Und lass deine Blähungen untersuchen! Gruß Kühlwalda!“

***

Elias kam irgendwie noch mit Kira zusammen und sie lebten mit ihrer besten Freundin Kühlwalda in einer gemeinsamen Wohnung. Er hatte auch erreicht, dass diese chemische Reaktion mit dem KMnO4 ausgeführt wurde und die Korphinaliens haben tatsächlich reagiert.

Als die Menschheit begriff, dass man mit allen Lebewesen kommunizieren kann, wenn man deren Kastenregeln befolgt, wurde man hellhöriger und begann die Anweisungen aus dem, bis dahin sogenannten, Tierreich zu befolgen. Endlich verstand man die Wale und Delphine, die an den Strand kamen, verstand die Lachse, die stromaufwärts schwammen, verstand die Zugvögel, verstand das Springen der Fische, verstand den Tanz der Quallen … all die Bemühungen, den Menschen zu sagen, sie mögen den Lebensraum aller bewahren, verstanden nun die Menschen endlich.

Die Börsennotizen vor den Hauptnachrichten wurden gegen Umweltnotizen ausgetauscht. Der Wert des Geldes wurde anhand der Umweltsituation festgelegt. Sie geboten den Schutz des restlichen Regenwaldes auf der Erde und jedem regierenden Zweibeiner wurden ab sofort Vertreter der Fauna zur Seite gestellt.

V3/9975 Z

… für starke Nerven: