Von Anne Zeisig                                                                

Harry und ich saßen engumschlungen am Strand auf dem weißen, feinkörnigen Sand. Ich hatte meinen Kopf auf seine Schulter gelegt, beobachtete eine Entenfamilie, die nach Essbarem suchte, jetzt, wo die Menschen so nach und nach die Bucht verließen, um zu ihren Hotels zurückzukehren. Wir liebten die Nachsaison auf diesem herrlichen Fleckchen Erde, wo wir uns vor drei Jahren kennengelernt hatten, und nun hier unsere Hochzeitsreise verbrachten.

 

„Fünf“, sagte mein Mann in meine Gedanken hinein.

 

„Was? Fünf?“, säuselte ich, träge von der Sonne und dem Rotwein aus der Korbflasche.

Er stupste mich in die Seite.

 

„Fünf Entenkinder.“

 

Ich wälzte meinen Kopf auf seiner Schulter als Zustimmung leicht auf und ab. „Hm.“

 

Urplötzlich sprang Harry hoch, baute sich breitbeinig vor mir auf, spannte seine Arme seitlich aus und schwärmte: „Lisa! Stell dir vor! Hier! Genau hier! Könnten wir mit unseren beiden Kindern jeden Nachmittag an den Strand gehen!“ Nun zeigte er hinauf in die Berge. „Und da oben wäre unser Traumschloss!“ 

 

Ich blinzelte ihn an: „Du meinst doch nicht etwa diese Kalksandstein-Morschholz-Ruine, diesen uralten, zerfallenen Schafstall inmitten von noch älteren knorrigen Pinienbäumen und meterhohem Unkraut? Wobei das Unkrautjäten bei so einem Projekt noch die preiswerteste Disziplin wäre.“

 

Ich war zwar keine Fachfrau, aber meine langjährige Arbeit in einem Architektenbüro hatte meinen Immobilienhorizont mächtig erweitert, weil ich Bau-Gutachten am PC unterschriftsreif zu Papier gebracht hatte.

 

Gestern waren wir bei einer Bergtour zufällig auf das alte ‘Gemäuer’ gestoßen. Harry hatte sich, soweit seine Sprachkenntnisse es zuließen, mit einem alten Schäfer unterhalten und erfahren, dass der Stall samt weiträumigem Grundstück zu erwerben sei. Ich habe beim Abendessen die Schwärmerei meines Mannes dem Grappa geschuldet, denn Harry war wirklich nicht mehr nüchtern, als er mir weiterhin überschwänglich von dieser Bruchbude vorschwärmte.

 

„Aber der Baukörper ist in einem tadellosen Zustand! Und hat sogar eine Unterkellerung! Was hältst du von einem eigenen Weinkeller? Irgendwann müssen wir raus aus der stickigen Stadtwohnung und unseren zukünftigen Kindern ein Nest schaffen. Sowas macht man, bevor sich Nachwuchs ankündigt.“

 

„Baukörper.“ Ich kicherte unecht. „Und mit Kindern wollen wir uns auch noch Zeit lassen.“ Ich war verärgert, weil er die romantische Stimmung zerstört hatte, ließ es mir aber nicht anmerken, packte die Reste unseres Picknicks in die Tasche und sah mich bereits als zukünftige Schafzüchterin mit hausgemachtem Schafskäse, handgeschöpft, und unser Nachwuchs, kugelrund von der Dreiviertelfett-Rahmstufe und naturbelassener Schafsmilch, amüsierte sich mit den Bienen und Wespen auf dem blühenden Unkrautfeld.

 

„Ich arbeite eh die meiste Zeit zu Hause am PC, das ist der Vorteil, wenn man in einer Global-Player-Corporation tätig ist, und du findest hier in den zahlreichen Offices locker einen Job.“

 

Plante mein frischgebackener Ehemann etwa alleine unsere Zukunft samt Auswanderung?

 

„Ich kann die Feinstaubbelastung und den Lärm der Stadt nicht mehr lange ertragen“, setzte Harry verbal noch einen drauf, nahm die Picknickdecke hoch, schüttelte sie aus, und der Westwind tat sein Übriges dazu, dass ich den Sand volle Breitseite ins Gesicht bekam.

 

„Du willst hier leben und hast keine eine Ahnung davon, dass man sich beim Ausschütteln einer Decke nach dem Wind richten muss!“, schrie ich ihn an und stapfte durch den Sand zum Parkplatz, wo der Mietwagen stand.

 

* * *

 

„Harry! Wenn in Deutschland ein Fliesenleger sagt, er kommt übermorgen, dann kommt er übermorgen, hier ist das nicht so, das müsstest du inzwischen wissen!“ Ich blickte zur ersten Etage.

„Harry?“ Zog mir den Poncho enger um den Körper, weil mich fröstelte und strich zärtlich über meinen Bauch, der nun, nach sieben Monaten, beachtlich gewachsen war.

„Was machst du da oben?“

 

In meinem hochschwangeren Zustand traute ich mich nicht mehr die von Harry provisorisch zusammen gezimmerte Treppe hinauf, die unseren Schafstall zierte. Die marmorne sollte erst eingebaut werden, wenn alles fertig ist.

Wenn alles fertig …

 

Harrys Lebens-Bauprojekt, wie er es nanntet, machte nur langsam Fortschritte, denn während der ‘Aufbauphase’ hatte er sich einmal den Knöchel verstaucht, hundertmal auf die Finger anstatt auf die Nägel, gehämmert, sich mit dem Tragen von Mörteleimern fünfmal den Ischiasnerv eingeklemmt und, und und … eine Abmahnung seines Chefs erhalten, weil er nicht pünktlich …

Das Hotelzimmer riss auch ein Loch in die Haushaltkasse, denn die Ruine, äh, Harrys ‘Lebens-Bauprojekt’ erfwies sich als aufwändiger, als angenommen. Dank Harrys linker Hände.

Ich setzte mich stöhnend auf einen melkschemelähnlichen Hocker und dabei kam mir ‘Hockerge-

burt’ in den Sinn.

Bei meinen Freundinnen in der Heimat war das gerade ‘in’.

Ich schluchzte und fühle mich einsam, verlassen, mit einem Mann, der einen Hammer von

einer Zange nicht unterscheiden konnte.

Und einer Schwangerschaft, die nicht geplant war.

 

„Liegt der Dreiviertelzoller unten, Schatz? Und ich brauche auch noch eine Neunzehner Muffe und

den Drehelement-Schraubenschlüssel.“ Pause.

 

Ich hielt mir die Ohren zu. Schaute hoch zum tragenden Deckengebälk, welches der Schreiber be-

reits abgehobelt und gewachst hatte.

 

„Mir kommen nur Fachleute ins Haus für Gewerke, die ich mir nicht zutraue!“

 

Harry traute sich zu viel zu, überschätzte sich.

 

„Oder ist das der Drehmoment-Schraubenschlüssel? Ach! Du weißt schon!“

 

Ich ließ resignierend den Kopf hängen, blickte auf den Fußboden mit den alten verasteten Holz-

dielen, wo ein Wirrwarr an Werkzeug unsortiert herum lag und auf seinen Einsatz von ‘Harry-

Möchte-Gern-Baufachmann’ wartete.

 

„Holzschutz mit Formaldehyd und ähnlichen Nerventötern kommt mir nicht ins Haus!“, hörte ich

Harry rufen. „Ohne den blauen Umweltengel geht hier garnichts! Die umweltfreundlichen Produkte

lasse ich aus Deutschland einfliegen!“

 

Klar. Warum auch nicht, denn die Flügel der Engel wurden schließlich zum Fliegen konzipiert.

 

„Scha-Hats! Der Dreiviertelzoller! Ich warte!“

 

Plötzlich tröpfelte es vom wunderbar hergerichteten Gebälk hinunter. Tropfen zunächst, dann nie-

selte es.

 

„Bring mir doch besser die Rohrzange! Der Wasserhahn, den ich eingebaut habe, ist undicht.

Habe mich genau an die Anleitung gehalten! Komisch!“

Mir wurde auch komisch.

Da sah ich plötzlich diesen elektrischen Vorschlaghammer.

 

„Mit dem elektronischen Abbruchhammer kannst du sogar den Kölner Dom in Null-Komma-

Nichts einreißen“, hatte Harry mir erklärt.

 

Ich blickte auf die Wand vom zukünftigen Wohnraum zur Küche.

 

„Eine offene Küche willst du? Nicht mit mir! Da ziehen doch täglich die Kochdünste durch das ge-

samte Erdgeschoss! Ich bin schließlich nicht dem Feinstaub entflohen, um sowas einzuatmen!“

Bei dieser Aussage tendierte Harrys Teint ins Dunkelrote. Eher Auberginfarbig. Also rötlich mit

Blauanteil.

 

Ich erhob mich behäbig, steckte den Stecker des Abbruchhammers in die Kabeltrommel, setzte

ihn mittig an die Wand, und er fraß sich durch das Mauerwerk, als sei es aus Butter. Stein für

Stein.

Es wäre doch gelacht, wenn ich nicht einen Durchbruch vom Wohnraum zur Küche herstellen

könnte!

 

Plötzlich sah ich Harry oben auf dem Treppenpodest stehen, er fuchtelet mit den Armen umher,

schnitt Grimassen, sein Mund weitete sich wiederholt zu einem großen Maul, aber wegen des

Lärms von den herabfallenden Steinen und diesem Superhammer verstand ich natürlich nicht, was

er sagte.

Konnte es mir allerdings denken!

„Ich will aber eine offene Küche!“, schleuderte ich ihm lautstark entgegen, „ob dir das nun gefällt

oder nicht!“

 

Harry flog nun die Treppe hinunter, schlug mir den elektrischen Hammer aus der Hand, riss mich

nach hinten, hechtete neben mich, es knackste und knirschte im Gebälk, weitere Steine lösten sich

ohne mein Zutun von der Wand.

Wow!

Risse ffanden ihren Weg durch die Mörtelfugen des Mauerwerks.

 

„Raus hier!“ Mein Mann hob mich hoch und flüchtete mit mir ins Freie, setzte sich und mich keu-

chend ins Unkraut.

 

„Bist du verrückt? Das war eine tragende Wand!“

 

* * *

 

Was zur Folge hatte, dass ein Großteil der Obergeschossdecke samt Treppe hinabgestürzt war,

und demzufolge auch die tragende Wand im oberen Geschoss bedrohliche Risse zeigte.

Aber das erfuhren wir erst einen Tag später. 

 

„Wenn ‘S Glück ham“, meinte der hinzugezogene Architekt, der Bayern den Rücken gekehrt hatte,

„erleidet die Dachkonstruktion keinen Schaden. Wenn doch, kauf i’ das Gelände und lass Ferien-

wohnungen drauf bau’n.“ 

 

Wir hatten kein Glück. Das Dach zeigte Schieflage, bevor es abgestützt werden konnte.

 

Aber ich bin glücklich, fühle mich in unserer Stadtwohnung mit der offenen Küche sehr wohl, und

Harry macht um jeden Baumarkt einen Riesenbogen.

 

Fast vergessen!

Unsere Kleine baut mit ihren Holzklötzchen Türme, die immer wieder einstürzen.

 

 

anne z. version ZWEI