Von Ingo Pietsch

Dennis legte die handgeschriebenen Skizzen zurück auf die Werkbank und schüttelte den Kopf: „Das kann gar nicht funktionieren!“

Maik stand schon mit einem alten Regenschirm in der Garage und entfernte den Stoff, sodass nur noch die Kiele übrig blieben. Er klappte ihn ein paar Mal auf und zu.

Dennis trat neben ihn: „Die Stiel ist auch aus Metall, da geht der Strom voll durch.“

„Dann nehme ich eben einen anderen aus Holz!“ Maik warf den unbrauchbaren Schirm in eine alte Öltonne, die als Müllbehälter diente.

„So fertig.“ Und schon lag die Bespannung am Boden. „An die Kiele bringen wir die Leisten an. Und darunter kleben wir die Gummierung. “ Maik zeigte auf einen Stapel auf der Werkbank, den ihm sein Bruder bringen sollte, dann gingen sie zu einer Standbohrmaschine.

„Meinst du nicht, dass Papa die Leisten vermissen wird?“, wollte Dennis von seinem älteren Bruder wissen.

„Ach Quatsch“, meinte Maik, während er Löcher in die Leisten bohrte. „Der hat doch so viele davon hier rumliegen, das merkt der nie.“

Die aluminiumähnlichen Teile ließen sich ganz leicht bearbeiten. „Seine Firma schmeißt dieses supraleitende Zeug doch ständig auf den Müll, wenn was übrig bleibt. Papa meint, wenn es einmal in Form gebracht wurde, kann man es nicht mehr einschmelzen, weil sich sonst die molekulare Dichte verändern würde. Aber ich habe auch keine Ahnung, was er damit will. So, fertig.“ Mike verschraubte die Leisten mit den Kielen und verklebte die Gummierung mit Heißkleber.

Dennis war skeptisch. „Bei größerer Hitze schmilzt dir aber alles weg.“

„Kann schon sein.“ Maik öffnete und schloss den Schirm ein paar Mal. Der war nur minimal schwerer geworden.

„Und wie willst du den jetzt erden? Sonst geht die Energie ja in alle Richtungen.“

„Du hast Recht. Ich baue an den Enden einfach noch eine Leiste an, die nach unten weggeht.“ Wieder bohrte Mike Löcher und verband das ganze Gestänge. Der Schirm sah jetzt so aus, als besäße er Krallen. „So, dass müsste genügen. Ich stelle mich jetzt hier in die Mitte und du klemmst das Kabel an.“

Dennis holte das schwarz-rote Überbrückungskabel, hängte die Klemmen an die Spitze und verband sie mit dem Pol einer alten Autobatterie, die für Notfälle immer bereitstand.

„Bist du bereit?“, fragte der Zwölfjährige und Maik nickte.

Leichte Funken flogen, als auch die andere Klemme den Pol berührte.

Maik fühlte, wie sich seine Haare auf den Armen hochstellten und die Luft um ihn herum zu knistern begann.

Sehen konnte man die Elektrizität aber nicht.

„Wirf mal den Ping-Pong-Ball!“, rief Maik.

Dennis tat wie geheißen. Der Ball flog auf Maik zu und prallte an dem unsichtbaren Schild ab.

Beide Jungen freuten sich.

„Jetzt den Tennisball. Aber nicht zu dolle.“

Dennis warf den Ball locker aus dem Handgelenk.

Der flog auf Maiks Kopf zu und blieb dann unter dem Schirmrand in der Luft hängen. Er war umgeben von einem Spinnennetz aus kleinen Blitzen und einem prasselnden Geräusch.

Maiks Augen leuchteten, aber der Blick wandelte sich in Angst, als der Ball mit atemberaubender Geschwindigkeit zurückgeworfen wurde.

Dennis ging zu Boden und hielt sich seinen Arm. Der Tennisball knallte gegen eine Schaufel, wurde von der Standbohrmaschine wieder auf den Schutzschirm umgeleitet.

Die Wucht warf auch Maik um.

Der Ball flog noch ein paar Mal Zick-Zack quer durch die Garage und dann mit einem leisen Klirren zum Fenster hinaus. In der Nachbarschaft ging eine Autoalarmanlage an.

Maik war wieder aufgestanden. Die Klemmen hatten sich gelöst und es floss kein Strom mehr. Er half seinem Bruder auf, der seinen Arm besah. „Das gibt einen dicken blauen Fleck!“

„Das kannst du verschmerzen. Man muss halt Opfer im Namen der Wissenschaft bringen!“, meinte Maik und grinste seinen Schutzschirm an.

 

Montag, Beginn der Projektwoche Jugend forscht.

Maik und Dennis gingen auf dieselbe Schule.

Beide hatten sich zusammen für ein Projekt angemeldet und transportierten ihre Sachen in den Flur im Erdgeschoss ihrer Schule.

Die meisten größeren Ausstellungsstücke standen in der Aula.

Es gab natürlich die obligatorischen Experimente, wie den Backpulvervulkan, die Strom erzeugenden Kartoffeln und den Gedankenlesehelm.

Die meisten machten sich über den nackten Schirm lustig, wenn sie bei den Brüdern vorbeikamen.

„Maik, bist du vom Blitz getroffen worden?“, fragte einer seiner Mitschüler lachend und auch andere stimmten mit ein.

„Warte erst, bis wir drankommen! Dann wird dir das Lachen schon noch vergehen!“ Maik konnte es gar nicht mehr erwarten.

Dennis zupfte an Maiks Ärmel: „Hoffentlich klappt es auch wirklich!“

„Nicht du auch noch. Du kannst ja verschwinden, dann kassiere ich das Lob eben alleine.“

„Nein, ist schon in Ordnung. Wir müssen ja zusammenhalten.“

 

Eine halbe Stunde später war es soweit.

Die Jury und eine ganze Traube von Schaulustigen – Eltern, Lehrer und Schüler – hatten sich um Maik und Dennis gescharrt.

Ein Mann mit Klemmbrett spähte über seinen Brillenrand und zog eine Augenbraue hoch: „Das ist also der Schutzschirm?“, fragte er wenig überzeugt. „Dann zeigt mal, was der kann.“

Von überall her erklang Kichern.

Dennis klemmte wieder die Kabel an und die Luft lud sich elektrostatisch auf.

„Dieser Schutzschirm wird in der Zukunft Autos, Flugzeuge und sogar Raumschiffe umgeben, um sie vor unmittelbaren Gefahren zu schützen“, verkündete Maik stolz.

Aufs Stichwort warf Dennis den Ping-Pong-Ball. Der prallte wie am Vorabend ab.

Es gab verhaltenen Applaus. Dann wiederholte Dennis den Wurf mit dem Tennisball.

Wahrscheinlich in einem Reflex riss Maik den Schirm nach oben und rammte dessen Metallspitze in die Deckenbeleuchtung.

Die Leuchtröhre zerplatzte in tausende Splitter und regnete auf die Anwesenden hinunter.

Da begannen schon die ersten Schreie und im Halbdunkel versuchten alle aus dem Flur zu flüchten.

Blauweiße Blitze zuckten immer wieder von der Decke durch den Schirm und entluden sich in einem Gitter aus Energie in den Boden.

Maik war in einem Elektrokäfig gefangen.

Es stank nach Verbranntem und die Luft summte ohrenbetäubend durch den ganzen Gang.

Dann staute sich der Strom auf und fegte in einer leuchtenden Mauer aus reiner Energie in alle Richtungen und mit einem markerschütternden Donnern davon.

 

Als Maik und Dennis erwachten, lagen sie neben vielen anderen Menschen auf dem kalten Steinboden des Flurs, den sie gerade zum Kochen gebracht hatten.

Fensterscheiben waren geborsten, Armbanduhren stehengeblieben, Mülleimer in Brand geraten, Kunststoffe geschmolzen und jede Menge Frisuren ruiniert.

Fast jedem in unmittelbarer Nähe zum Schutzschirm waren die Augenbrauen versengt und die Harre rauchten.

Aber wie durch ein Wunder war niemand ernsthaft verletzt.

Draußen ertönten schon die ersten Sirenen der Rettungskräfte.

Der Mann mit dem jetzt verbogenen Klemmbrett starrte auf das halb verkohlte Blatt.

„Durchgefallen“, murmelte er und torkelte davon.

„Jetzt sind wir am A…“, spekulierte Dennis.

„Arm“, ergänzte Maik. Ihre Mutter konnte es nicht ausstehen, wenn sie fluchten. „Aber das war es wert gewesen.“ Maik besah seine verbrannten Hände.

Zwei Männer in dunklen Anzügen und hochpolierten Schuhen bahnten sich einen Weg durch die Menge.

Sie trugen Sonnenbrillen, obwohl es jetzt sehr dunkel im Gang war und einer sprach mit amerikanischem Akzent: „Exzellente Vorstellung. Wir würden uns gerne mit euch zusammensetzen, um über die interessante Technologie zu sprechen.“

Wortlos nahm Maik die Visitenkarte der beiden entgegen und die Männer verabschiedeten sich wieder.

„Wer waren die?“, wollte Dennis wissen.

Maik sah auf die Karte: „Jetzt sind wir wirklich am Arm. Die arbeiten für die gleiche Firma wie Papa!“