Von Sabine Esser

Der mehrfache Sternekoch moderiert routiniert die Sendung an: „Meine Damen und Herren, Sie wissen und ich weiß, dass ein guter Apfelstrudel die ganz hohe Kunst des Backens ist. Hauchdünn muss der Teig sein und knusprig dazu. Die letzten Monate haben wir nach den Besten der Besten gesucht. Hier sind sie nun also! Unsere beiden Finalistinnen!“

Er tritt beiseite und klatscht, der Spot richtet sich auf die Teilnehmerinnen.

„Sisi Pichler und Maria Hofer.“

Freundschaftlich legt er ihnen die Hand auf die Schulter und geleitet sie zu ihren Arbeitsplätzen.

„Sie haben drei Stunden Zeit, um den besten Strudel Österreichs herzustellen. Die Zeit zählt ab – jetzt!“

 

Beste Sendezeit nachmittags im ORF. Theresa sitzt gespannt vor dem TV-Gerät.

 

Noch liegen die Kontrahentinnen gleich auf: Den Teig haben sie blitzschnell aus Mehl, Öl und Wasser zusammengerührt, auch das Salzen nicht vergessen. Nun muss er ruhen. Mindestens dreißig Minuten! Beim Äpfelschnippeln, Zitronenträufeln und Rosineneinweichen in Rum nehmen sie sich nichts. Ein Unterschied beim Mandelrösten wird vom Sternekoch ausgiebig kommentiert. „Sisi, sind Sie sicher, dass Sie karamelisierte Mandeln verwenden wollen?“

 

„Aber ja doch, du Vollidiot!“, schimpft Theresa. „Und so jemand will Sterne haben! Da war ja die Uromi noch klüger!“

Die Werbepause braucht sie dringend, weil die Blase drückt.

 

Jetzt kommt es drauf an. Wie gehen die beiden mit dem Teig um? Theresa krallt ihre Fingernägel in die Sessellehne.

Maria walkt und wendet wie es sich gehört. Sisi hingegen steht einfach nur da, fixiert den Teig und atmet heftig. Ballt dann ihre Hände zu Fäusten.

„Ja, genau so!“, stöhnt Theresa.

Diesen Blick kennt sie. Sisi ist nicht mehr zu stoppen. Mit einem gezielten Handkantenschlag ‚betäubt‘ sie den Teigklumpen und beginnt lautstark zu schimpfen.

 

„So, das hast du jetzt davon! Ein für alle Mal! Und das, und das und das noch oben drauf! Ich falte dich so zusammen, dass du nicht mehr weißt, wer du bist!“

Ein wuchtiger Schlag nach dem anderen auf den Teigballen.

 

„Und jetzt, jetzt mach‘ ich dich richtig fertig.“

Mit beiden Händen walkt sie den Teig durch und grunzt dabei:

„Das hättest du wohl gern! Massage! Lass‘ dir das von anderen machen! Von vorn, von hinten! Von oben, von unten! Noch mehr gefällig? Kannst du haben!“

 

Der Sternekoch schreitet ein: „Ich liebe temperamentvolle Frauen. Nicht, dass Sie mich missverstehen. Geht es vielleicht etwas freundlicher und leiser. Es könnten doch Kinder zuschauen um diese Uhrzeit?“

 

„Nein! Geht es nicht! Dann lernen die Kiddies eben was für’s Leben! Oder wollen Sie zu Strudel werden?“, keucht Sisi, nimmt den Teigklumpen, hebt ihn hoch und schlägt ihn mit voller Wucht auf die Arbeitsplatte. „Das“ klatsch „würden Sie“ klatsch „ganz sicher“ klatsch „nicht überleben!“ Klatsch.

 

Der Sternekoch zuckt hilflos mit den Schultern und versucht, mit leichter Plauderei die Sendung weiterhin zu moderieren. Die Kamera folgt ihm. Allerdings scheint der Toningenieur seine helle Freude an Sisis Flüchen zu haben. Er fährt die Lautstärke des Mikrofons nicht runter.

 

Auch der Kameramann findet Sisi viel interessanter als den Sternekoch oder Maria und schwenkt sofort zurück. In Großaufnahme zeigt er, wie sie den Teig auf dem Strudeltuch ausrollt und dann mit den Händen immer dünner zieht.

Höhnischer O-Ton dazu: „Und jetzt mach‘ ich dich richtig platt! Und zwar so, dass du dich selbst nicht mehr wiedererkennst. Du bist fast gar nicht mehr vorhanden! Luft bist du! Ein Nichts!“

 

„Ja, Kinderl! Weiter so! Zeig‘ ihm, was eine ordentliche Wut ist!“, schreit Theresa den Bildschirm an. Kein Riss, registriert ihr routiniertes Auge.

 

Sorgfältig streicht Sisi die Füllung auf den Teig, schlägt die Enden übereinander, rollt ihn zusammen und flüstert: „Glaub‘ ja nicht, ich sei mit dir fertig. Aus dir wird nie wieder etwas „herausquellen“, für das du ja so gar nichts kannst. Das Beste kommt zum Schluss: der Ofen! Der wartet schon auf dich! Schau’n wir mal, wieviel Hitze du verträgst! Aber vorher, da werd‘ ich dich mit warmer Butter einstreichen. Freu‘ dich auf den besten Ganzkörper-Sonnenbrand deines Lebens!“

 

Wie gekonnt Sisis Hände über den Strudel gleiten! Theresa hat ihre helle Freude daran. Keine Pore bleibt unberührt.

 

Der Sternekoch wagt sich jetzt wieder nach vorn: „Liebe Sisi, Maria arbeitet mit einem Backpinsel, warum arbeiten Sie mit bloßen Händen?“

Sisi lächelt ihn an und hält ihre Hände nach vorn, zeigt die Vorder- und die Rückseite. Der Kameramann ist auch interessiert. Großaufnahme. „Und? Habe ich Brandblasen?“

 

Theresa reibt stellvertretend ihre Hände. Natürlich hat Sisi keine Brandblasen. Die weiß, wie man warme Butter fühlen muss. Der Handrücken ist das sensibelste Thermometer.

 

In der Werbepause holt sie schnell ein Fläschchen hausgemachten Walnusslikör und ein zartes, schön geschliffenes Glas. Sie ist jetzt ganz sicher, dass ihre Enkelin die Strudelkönigin werden wird. Tradition ist eben Tradition.

 

Der Sternekoch betätschelt schon wieder die Rücken der verschwitzten Bäckerinnen und animiert das Publikum: „Meine Damen und Herren am Bildschirm, wie schade für Sie, dass es kein Geruchsfernsehen gibt. Es duftet hier ganz wunderbar. Kommen Sie nach vorn, meine Damen, und begrüßen Sie mit mir unsere drei Juroren!“

 

Die begutachten zunächst nur die Optik und stellen fest, dass Sisis Strudel glänzender aussieht. Bei beiden ist der Teig nicht gerissen und die Kruste wirkt fest. Flüssigkeit ist weder bei Maries noch bei Sisis Strudel ausgetreten. Der Kameramann ist jetzt tatsächlich unparteiisch.

 

Der Toningenieur steuert das Kratzen des Sägemessers etwas lauter, damit auch der Laie unterscheiden kann, wie unterschiedlich Strudel sich anhören können. Der von Sisi kracht minimal stärker.

 

Theresa würde zu gern jetzt schon das Likörfläschchen entkorken, aber dafür ist sie viel zu abergläubisch. Nie soll man den Tag vor dem Abend loben.

 

Die Juroren kosten immer wieder. „Irgendetwas ist hier anders“, stellen sie bei Sisis Strudel fest. „Der ist fast zu perfekt, so einen habe ich noch nie gegessen. Und er wurde hier unter Aufsicht gebacken?“

Der Sternekoch nickt. „Aber selbstverständlich. Darf ich?“ Nun probiert auch er. „Keine Frage, der Unterschied ist deutlich.“

„Und alle hatten die gleichen Zutaten?“

 

Dem Kameramann macht es große Freude, die Verwirrung der Profis in Großaufnahme vorzuführen, bevor sie sich in den Beratungsraum zurückziehen. Der Toningenieur kann leider kein Wörtchen erhaschen.

 

Theresa hält es kaum noch auf ihrem Sessel. Endlich kommen sie zurück und verkünden ihr Urteil: Beide Strudel seien handwerklich und geschmacklich nicht zu beanstanden. Es sei Kritik auf sehr hohem Niveau, aber:

„Trotz der nicht akzeptablen, verbalen Entgleisungen hat uns letztlich doch Frau Pichlers Strudel überzeugt. Die Entscheidung ist uns wirklich nicht leicht gefallen, das dürfen Sie uns glauben. Der Strudel von Frau Hofer entspricht exakt dem, was wir uns unter einem Apfelstrudel vorstellen. Der Strudel von Frau Pichler aber hat ein „gewisses Etwas“, das sich uns nicht erschließt, das wir aber schmecken können.“

 

Sehr vorsichtig tut der Sternekoch so, als lege er Sisi die Hand auf den Rücken.

„Wie haben Sie das nur gemacht?“

Die Neunzehnjährige lacht in die Kamera: „Meine Omi sagt immer, dass man eine richtige Wut haben muss, um einen guten Strudel zu machen. Das hat sie von ihrer Uromi gelernt. Und ich von ihr. Ich stelle mir eben eine passende Situation vor.“

 

Theresa nickt nachdenklich und nippt an ihrem Likör. Das Kindchen weiß noch nichts vom Leben. Das wird sich geben. Unweigerlich.

 

Version 3