Von Miklos Muhi

Dominik packte alles zusammen. Als er sein Regal leerte, nahm er einen dicken Ordner in die Hand. Die meisten Papiere darin machten die Korrespondenz und das Vertragswerk mit seinem Verlag aus. Er hatte mehrere Bücher geschrieben, die man sowohl online als auch in den Läden kaufen konnte. Er hatte nicht nur Talent, sondern auch sehr viel Zeit dafür.

 

Am Ende des Ordners, chronologisch gesehen am Anfang dieser Aufzeichnungen, lag ein aus einer Zeitung ausgeschnittenes Inserat. Dominik lächelte bitter, wie immer, wenn er es wieder sah und las:

Verlag sucht Autoren!

Senden Sie uns Ihr

MANUSKRIPT!

Am Ende stand die Adresse des ehemaligen Herzoglich-Bajuwarischen Literaturverlages, wohin man das Manuskript schicken sollte.

 

Die Begegnung mit dieser Annonce stand am Anfang der Serie von Ereignissen, die Dominik dahin brachten, wo er jetzt war. Er fand dieses Prunkstück des Marketings, als er schon einige Monate lang seine Manuskripte an verschiedenen Verlage vergeblich zu verkaufen versuchte.

 

Die meisten antworteten nicht einmal und wenn doch, dann »mit besetem Dank zurück« und dem Hinweis, dass sie genug Material zum Publizieren hätten. Dominik wollte aber das, was er zu sagen hatte, nicht in die Schublade sperren. Er war frustriert und verzweifelt.

 

Gerade deswegen verlieh ihn jene Kleinanzeige damals förmlich Flügel. Schon am selben Tag druckte er einige seiner Texte aus und brachte sie zur Post.

 

Es dauerte nicht lange, bis die Antwort kam, eine Antwort, die besser hätte nicht ausfallen können. Der Verlag pries in höchsten Tönen sein erzählerisches Talent und versprach die eingereichten Geschichten, in Zusammenarbeit mit Dominik, zu publizieren. Diese Zusammenarbeit bestand darin, dass Dominik 500 Exemplare seines Buches für etwa 3000 Euro vom Verlag kaufte, um sie selbst weiterzuverkaufen, denn der Autor wusste am besten, wie seine Geschichten zu vermarkten waren.

 

Das viel Geld war ihm egal. Er, Dominik Welz, werde endlich publiziert und es würde einen Geldregen aus Honoraren geben. Er unterschrieb die kaum gelesenen Papiere und brachte alles zur Post. Per Einschreiben und mit Rückschein trat der Brief die Reise an, denn Dominik wollte keine Fehler machen.

 

Da Geld nicht auf Bäumen wuchs, wandte sich Dominik an seine Bank. Er bekam den Kredit ohne Probleme. Das war auch gut so, denn die Rechnung vom Verlagshaus kam postwendend und hatte einen sehr engen Zahlungstermin.

 

Er traf die Entscheidung, seinen Job zu kündigen und als freiberuflicher Schriftsteller zu arbeiten: Jeden Tag in der Früh aufstehen, dann gemächlich einige Stunden schreiben, dann ein Spaziergang oder Sport noch vor dem Mittagessen, am Nachmittag wieder schreiben und am Abend konnte man bei der Bank nachsehen, wie das Geld aus dem Verkauf des letzten Buches floss. Am Tag seiner Kündigung bezahlte er die Rechnung des Verlages und das Warten fing an.

 

Dominik war sehr schnell pleite. Ein Gehalt bekam er nicht mehr und vom Verlag kam auch nichts, nicht einmal ein Brief. Er hat sie mehrmals angerufen, aber niemand ging ans Telefon. Seine E-Mails und Briefe blieben unbeantwortet. Das Buch erschien nicht. Der Vermieter wurde ungeduldig und die Bank fand keinen Gefallen an den nicht bezahlten Raten.

 

Ein letztes Tropfen brachte das Fass zum Überlaufen. Es ging um die Kurzgeschichtensammlung eines Autors, den Dominik nicht kannte. Nach den obligatorischen Reden las der Autor einen Teil einer der Kurzgeschichten vor.

 

Dominik kannte den Text aber schon, denn er stammte aus seinen eingesandten Manuskripten. Eine kalte Wut stieg in ihm hoch. Die Kälte dieser Wut ließ ihn herumblicken und die Sicherheitsleute im Raum sehen. Sie machte ihm auch möglich, die Beherrschung über sich wiederzugewinnen, ein Exemplar des Buches zu kaufen und vom sogenannten Autor signieren zu lassen.

 

Auf dem Weg nach Hause machte er einen Kassensturz. Er verlor bis dato seinen Job, all sein Geld (und nicht nur das eigene) und seine Werke. Man zog ihn über den Tisch, kaltschnäuzig, berechnend und mit einer Dreistigkeit, die ihm bisher fremd war. Ihm schien besondres schlimm, dass er selbst dabei willig mitmachte und deswegen hasste er sich selbst.

 

In seiner Wohnung angekommen, öffnete er das neu gekaufte Buch und notierte den Namen und die Adresse des Herausgebers. Es war nicht der Herzoglich-Bajuwarische Literaturverlag, sondern ein anderes Verlagshaus mit derselben Adresse und aus derselben Verlagsgruppe. Er ging zum Bahnhof und kaufte sich mit seinem letzten Geld eine Fahrkarte nach Frankfurt, wo der Verlag ansässig war.

 

An die Reise erinnerte er sich nicht mehr, aber umso klarer an den Moment, als er am Sitz des Verlages ankam und mit Hilfe einer Lüge, erzählt durch die Sprechanlage, sich Einlass verschaffte. An der Rezeption angekommen, beachtete er die Begrüßung der Dame nicht, sondern zog seine Schuhe aus.

 

Vor seinen Augen verschwanden alle Formen und alles wurde zu Geschwindigkeiten und Richtungen, ein Überbleibsel aus seinem intensiven Kampfsporttraining. Der Rest lag im Nebel, bis zu dem Moment, als er auf der Straße, vor dem Sitz des Verlages mit höllischen Schmerzen in Händen und Füßen wieder zurück in die Welt der Formen kam und verhaftet wurde.

 

Er erfuhr von seinem Pflichtverteidiger, was alles passiert war. Der Dame an der Rezeption hatte er einen Schädelbruch verpasst, aber sie hatte überlebte. Er hatte sich Zutritt zum Büro des Verlagschefs verschaft, der verstorben war, als er ihn aus dem Fenster geworfen hatte. Der Sekretärin im Vorzimmer des Chefs hatte er mehrere Rippen gebrochen, von denen einige sich in die Lunge gebohrt hatten, aber sie hatte ebenfalls überlebt.

 

Die Tatsache, dass der diensthabende bewaffnete Wachmann des Verlages gerade auf der Toilette saß, erleichterte die Sache gehörig. Auf seinem Weg zurück zur Rezeption brach er auch noch die Nase eines Lieferjungen, der gerade das bestellte Mittagessen brachte. Vor dem Eingang empfing ihn schon die Polizei.

 

Dominik leistete bei der Festnahme keinen Widerstand und kooperierte mit den Behörden während der Ermittlungen. So kam die Geschichte des Herzoglich-Bajuwarischen Literaturverlages zusammen mit dem Thema der Pseudoverlage in die Medien, als Mahnung an alle Autoren, die einen Verlag suchten.

 

Für seine Tat bekam er acht Jahre Haft ohne dass die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde. So musste Dominik, der Musterhäftling, fünf Jahre und vier Monate absitzen.

 

Als der ganze Zirkus in den Fokus der Medien rückte, war seine Suche nach einem Verlag vorbei. Zeitungen und Verlage wollten zuerst die Geschichte, dann aber Geschichten von Dominik und er hatte jetzt alle Zeit der Welt sie zu schreiben.

 

Zwei Romane und drei Kurzgeschichtensammlungen erblickten während seiner Gefangenschaft das Licht der Welt. Für seine gute Führung gab es Privilegien und die anderen Häftlinge ließen ihn in Ruhe, denn keiner wollte Dominiks Geschichte am eigenen Leibe erzählt bekommen.

 

Diesmal gab es auch Honorarzahlungen. Mit den Nebenklägern einigte sich sein Anwalt und die Forderungen wurden immer pünktlich bezahlt. Das war zwar nicht billig, aber auf Dominik wartete in der Freiheit immer noch ein ansehnliches Bankkonto.

 

Als man kam, um ihn abzuholen, war alles schon eingepackt. Wortlos schritten sie durch die verschieden Stationen der Entlassung, an dessen Ende für viele die Obdachlosigkeit und ein weiterer Schritt in die kriminelle Karriere stand.

 

Vor dem Gefängnistor reichte der Wachmann Dominik die Hand.

»Alles Gute, Herr Welz. Ich denke, ›Auf Wiedersehen‹ zu sagen, wäre in so einer Situation eher unangebracht.«

»Danke, Herr Bauernfeind. Leben Sie wohl.«

 

Version 2