Von Alexander Zar
«Gesucht wird ein Mann, der alles kann – nähere Informationen erhalten Sie unter Chiffre 32626». Martin Buber wälzte für einmal die Zeitung genau, denn er wartete seit längerer Zeit auf seine Freundin, die sich wie üblich wieder einmal verspätet hatte. Bei dieser Gelegenheit durchforstete er sogar die Inseratenspalten und stiess auf obige Zeile. Er riss dieses Teilstück ab und barg es in seinem Jackett. Schliesslich erschien sie, wie immer strahlend, so dass sein Unmut sich sofort legte, als sie ihn stürmisch begrüsste. Sie genossen das Mahl, er bestellte sich «pasta con tartufo», zuvor eine Tomatensuppe, während sie sich für einen Salat als Vorspeise und danach eine kleine Portion Spaghetti mit Tomatensauce bestellte. Das Dessert liess sie aus, da sie sehr auf ihre Figur achtete, während er dem italienischen Eis nicht widerstehen konnte. Begleitet wurde das Essen von einem Südwein namens «lacrima Christi», den er nicht zuletzt des Namens wegen orderte. Sie waren auf einem Wochenendtrip unterwegs, an einem Seegestade, das drei Bahnstunden von seinem Wohnort entfernt war. Sie hatte wie üblich bei solchen Unternehmungen sich auf eine Tour durch die Geschäfte begeben und dabei ganz vergessen, dass es Abmachungen gab und die Zeit unerbittlich lief. Er kannte ihre Verhaltensweisen, und so hielt sich sein Ärger in Grenzen, denn die Aufregung fiel höchstens auf ihn zurück und verursachte ungute Gefühle, die sie aufgrund solcher Vorkommnisse nicht kannte; wenn er jedoch einmal zu spät kam, dann wurde er von einem ungemütlichen Wortschwall begrüsst, den er mit Schweigen quittierte. Er hatte sich im Laufe der Jahre eine Gelassenheit angeeignet, die ihn kaum mehr verliess. Zudem liess er sich nicht mehr in eine Hektik einbinden, sondern erledigte seine Arbeiten Zug um Zug, und zwar nach einer selbstgemachten Prioritätenliste. Selten liess er sich noch aus dem Konzept bringen. Er las viel, hielt sich auf dem Laufenden und konnte nicht verstehen, dass man die dringenden Probleme nicht anfasste, sondern sich meist im klein – klein verzettelte. Nach diesem Wochenendausflug hatte ihn der Alltag wieder. Er begab sich auf eine Geschäftsreise ins nahe Ausland und nach anstrengenden Sitzungen zog er sich in eine Bar zurück. Während er genüsslich ein Glas Wein trank, suchte er in seiner Tasche nach der Kreditkarte und dabei fiel ihm wieder der Inseratentext zu. Er musste lächeln, und als er sich in sein Hotelzimmer begeben hatte, liess er es sich nicht nehmen, auf dieses merkwürdige Inserat zu antworten. Wie immer hatte er seinen Laptop und einen Reisedrucker dabei, der mindestens insofern seine Dienste versah, dass er Briefe und ähnliches ausdrucken konnte. Diesbezüglich war er über die technischen Fortschritte froh, die einem doch einige Arbeiten erleichterten. Es vergingen einige Wochen, bis er einen Brief in Händen hielt, den er nicht einzuordnen vermochte. Seine Korrespondenz hatte er längst vergessen. Erst, als er die Zeilen gelesen hatte, kam ihm dieser Vorfall wieder in den Sinn. Es stand lediglich geschrieben, dass er sich am nächsten zweiten Tag des kommenden Monates um sechzehn Uhr in der Bahnhofraststätte eines kleineren Städtchens einzufinden habe. Keine Telefonnummer war angegeben und auch keine Adresse, so dass er sich keinen Reim darauf machen konnte, wer dahintersteckte. Seine Neugierde war geweckt, und er erschien vorzeitig am beschriebenen Ort. Er sah sich um; es handelte sich nicht eben um eine hochstehende Kneipe; einige Zugwartende vertrieben sich die Zeit; zudem sassen an einem Tisch ältere Männer, die dem Alkohol frönten und, wie es schien, dort oftmals anzutreffen waren. Er setzte sich an einen freien Platz, nahm sich eine Zeitschrift vor, die er zuvor am Bahnhofskiosk erworben hatte und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Schliesslich setzte sich ein hagerer Mann, den er auf etwa siebzig Jahre schätzte und mit einem dunklen, teuren Anzug gekleidet war, zu ihm und begann, das Wort an ihn zu richten: «Mein Name ist Professor von Brück, und ich bin mir sicher, dass Sie auf mein Inserat geantwortet haben, denn ansonsten erblicke ich niemandem, auf den das zutreffen könnte». «In der Tat», antwortete er. «Eigentlich ist es unüblich, dass ich auf diese Weise vorgehe, aber es waren Zufälle und Umstände, die mich dazu getrieben haben, einmal etwas anderes zu versuchen». Professor von Brück nickte: «In bin auf der Suche nach jemandem, der für mich Nachforschungen erledigt. Es handelt sich um eine alte Erbschaft aus der Nazizeit. Er sollte ein gutes Beziehungsnetz zu Banken und Versicherungen haben, denn vieles ist im Dunkeln, auch wenn die Rechtslage klar ist; der Erbe wurde gerichtlich anerkannt». Martin hörte ihm über zwei Stunden lang zu und besah sich die unterbreiteten Dokumentationen. Die Angaben, die vom Professor gemacht wurden, stimmten alle mit dem Vorgelegten überein. Die Geschichte schien unwahrscheinlich wie vieles im Leben, das ihm bisher widerfahren war. Auf verschiedenen Schweizer Bankkonti bei diversen Institutionen lagen nach diesen Schriftstücken Unsummen an Geld, wenn man sie über die Zeit hochrechnete. Die bisherigen Vorstösse endeten in gar keinen Antworten oder in unverbindlichem Geschreibsel, das keine Auskunft darstellte. Er bat sich Bedenkzeit; irgendwie reizte ihn diese Jagd. Er fühlte sich fast in die Jugend zurückversetzt, als er davon geträumt hatte, irgendwo auf der Welt sich auf Schatzsuche zu begeben. Die Zahlung für seine Bemühungen, die ihm in Aussicht gestellt wurde, war ebenso verlockend, nicht nur der Prozentanteil, den er bei Erfolg erhalten sollte, sondern auch der monatliche Fixlohn und die Spesen, die er aufwenden könnte. Das Leben hatte ihn aber gelehrt, nicht sofort zuzusagen. Entscheidende Schritte wollten stets wohlbedacht sein. Einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, viel auf Reisen zu sein, zählte schon zu seinen Träumereien. Alles sollte aber wohlüberlegt sein. Er zog sich für ein paar Tage zurück, um die Entscheidung in aller Ruhe reifen zu lassen. Die Bergwelt ausserhalb der Saison schien ihm dafür der richtige Aufenthaltsort, denn bei langen Spaziergängen fand er stets die Konstellationen, die ihm dabei halfen, sich neu auszurichten. So fuhr er los, mitten ins Zentrum der Schweiz, buchte sich in einer kleinen Pension ein Zimmer und setzte sich auf die Terrasse, denn die Herbstsonne wärmte noch ganz ordentlich. Er liess die Seele baumeln, ergötzte sich an dem wundersamen Ausblick auf den See und die Alpen, die auf den Spitzen schon Schneebedeckung aufwiesen. Ab und zu versenkte er sich wieder in die Lektüre, die er sich besorgt hatte und die diesen hochrangigen SS – Mann zum Thema hatte. Im Fernsehen war auch bereits darüber berichtet worden, aber die Sendungsmacher wussten offenbar nichts von dem Geldsegen, der sich hinter diesem Mann verbarg. Offiziell war er in den letzten Kriegstagen gestorben, so dass er bei den Nürnberger Prozessen nicht angeklagt war. Nach der Version allerdings, die Recherchen des Fernsehteams ergeben hatten, wurde er in die USA überführt, weil man annahm, dass er vieles über die Kriegstechnik wusste. Danach soll er erst rund zwanzig Jahre nach dem Kriegsende friedlich entschlafen sein. Wer nicht verurteilt wird, kann auch nicht sein Vermögen verlieren. Er genoss ein ausführliches Mahl, genehmigte sich einige Gläser Wein und sank schnell in einen tiefen Schlaf. Nach dem Frühstück liess er sich mit der Bahn auf den Gipfel fahren und begann nach einer Umschau den Abstieg. Jeweils nach einer Stunde hielt er inne und rastete jeweils geraume Zeit, liess die Gedanken schweifen. Er stellte sich vor, wie er die neue Aufgabe meistern konnte, sah sich bei verschiedenen Institutionen nachforschen und so stand bald einmal sein Entschluss fest, das Angebot anzunehmen. Durch seine Mitgliedschaft in der Loge, so dachte er sich, würde er zu den Entscheidungsträgern vorstossen können, die ihn nicht einfach abwimmeln konnten. Er freute sich auf das neue Aufgabenfeld und war ganz froh, alle alten Seile zu kappen und einen Neuanfang zu wagen, was auch er immer mit sich bringen mochte.