Von Ernest Edmond Keil
Er war, um sich besser verbergen zu können, aus der lärmigen Hauptstadt über die nahe Landesgrenze geflohen. Richtung Süden. Zwischen die Weinberge ins idyllische Flusstal. Hier nun hockte er an seiner Schreibplatte unterm Doppelfenster und schrieb in selbst gewählter Einsamkeit. So lange, bis er Freunde wie Feinde zu vermissen begann, sogar den Lärm von Straße und Verkehr. Bis ihm schließlich die Decke auf den Kopf fiel und es ihm den Atem verschlug, den er doch so bitter nötig brauchte zum Schreiben seiner Texte. War er also zu weit gegangen?
So beschloss er, sich umzuhören im Landkreis und Kontakt aufzunehmen mit Gleichgesinnten, eine kleine Zeitung herauszugeben, eine literarische. Die Resonanz auf eine Umfrage, die er anhand einiger weniger Adressen sogleich in Angriff nahm, war durchaus positiv. Es gab also noch mehr solcher Igel und Maulwürfe. Die krochen nach und nach aus ihren Schlupflöchern und schickten ihm mit schüchternem „Hallo“ ihre Manuskripte ins Haus. Oder läuteten ihn an. Oder kamen sogar vorbei und streckten die Hand aus, wie Ertrinkende, die nach einem Strohhalm greifen. Das Bötchen, das er zu Wasser gelassen hatte, füllte sich schnell und randvoll mit Schiffbrüchigen, wie er selbst einer war. Und er, der Kapitän, hisste die Segel und nahm Kurs auf die rettende Küste.
Das freilich kostete mehr Schweiß und Mühe, als er gedacht hatte. Es begann mit Stapeln von Manuskripten; endete damit, dass er ausgewählte Seiten auf seinem Labtop setzte und formatierte. In die Lücken zwischen den Texten schob er Gezeichnetes und Fotografiertes. Doch dass er mit dem ‚Layout‘ schon am Ziel der Prozedur angelangt sei, erwies sich als Irrtum. Als er den Umbruch aus der Hand legte, erkannte er, dass noch einiges zu tun blieb. Gewiss, er hätte jetzt zur Druckerei fahren können. Die mochten ihn zwar mit frisch aufgebrühten Kaffeebohnen empfangen, doch wenn er die Taschen nach außen kehrte und nichts heraus fiel, keine müde Münze, würden sie ihn, den armen Hund, durch die Hintertür zum Teufel jagen. So sicher wie das Amen in der Kirche.
Mit anderen Worten: Er brauchte Geld. Bares. Doch woher nehmen und nicht stehlen? Ein echtes Problem für einen ehrlichen Mann. Zwar gab es in der Kreisstadt einen Landrat auch einen zuständigen Dezernenten, die sich befleißigten, Kultur aufs Land zu holen. Doch verwiesen sie ihn, nach langem Gespräch, höflich, aber entschieden auf Eigeninitiative. Ein Blatt wie seines, das viermal im Jahr erscheinen sollte, lasse sich nur über Anzeigenwerbung finanzieren. Schließlich, so ihre Folgerung, lebten wir in einer freien Marktwirtschaft, in der nicht subventioniert, sondern investiert werde. Er verstehe? Er verstand überhaupt nicht, nickte jedoch zustimmend. Wenn die Nullnummer erschienen sei, solle er wieder hereinschauen, dann werde man überlegen, ob nicht im Hause Exemplare verteilt werden könnten. Die Zeitung sei doch kostenlos? Und damit wünschten sie ihm alles Gute und viel Erfolg.
Es war klar wie Wasser: Anzeigen mussten her! Aber woher nehmen? Zumal er, als Zugereister, kein Aas kannte in der Gegend und, wie gesagt, ungern unter die Leute ging, von wegen seines leichten Stotterns und Errötens.
Was tun, sprach Zeus. Wollte er sich und seine Autoren nicht enttäuschen, müsse er, wohl oder übel, über den eigenen Schatten springen und selber werben nach der Devise: Dichter wirb/oder stirb! Und er begann zu werben, obwohl leicht stotternd und errötend.
Der Bankdirektor, ein Kulturmensch, bot Expreßkaffee und Brasilzigarre an. Erwog unter Rauchwolken, hm, hm, evtl. eine halbe Anzeige, er müsse aber vorher mit der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit Rücksprache halten. Wie sei das noch mit der Auflage? Hm, hm. Und mit dem Verteiler? Er runzelte die Stirn. Ruckte seine Lesebrille auf die Nasenspitze. Wenig, wenig. Auf Schulen nur und Buchläden, und das auch noch gratis! Wer sollte so was lesen! Kultur, gewiss doch, aber das Marketing der Bank, er verstehe? Nach einer Pause: Er sei doch sicher Kunde? Nein? Das, junger Mann, könne man .schnell ändern. Und fügte augenzwinkernd hinzu: Kunst ohne Kredit der Bank/ macht jeden Künstler krank. Wie er sehe, komme er dem Dichter, sogar reimend entgegen und biete ihm zur Absicherung seiner prekären Künstlerexistenz: Girokonto, Sparbuch, Festgeld, Konto, Bankfach und Safe. Ob das etwa nichts sei?
Also kündigte er noch am selben Tag sein Konto in der Hauptstadt, wurde neuer Kunde auf der Kreisbank. Man empfing ihn wieder, diesmal ohne Rauchtabak und Kaffeebohnen, doch mit jovial-verständnisvollem Lächeln, um ihn mit einem halben Inserat aus der luxuriösen Direktionsetage zu entlassen. Na, wer sagt es denn!
Doch das am Ort rivalisierende Bankinstitut winkte ab ‚Die oder wir‘! Und wies ihm mit kühler Schulter die Schiebetür aus Glas. Doch hatte er nun einmal Blut geleckt und war wild entschlossen, den dornigen Weg der Werbung bis ans bittere Ende zu verfolgen.
So wunderte ihn wenig beim nächsten Werbegang, dass eine Versicherung ihm eine Lebensversicherung unterjubelte, auf Rentenbasis. Die, Mann, brauche er dringend, als geistiger Vertreter der Nation. Seine Devise müsse lauten: Kunst brauche echte Gunst/ und keinen blauen Dunst. Also unterschrieb er mit der Rechten, um mit der Linken, als kleines Dankeschön, eine Viertelanzeige zu empfangen. Na, wer sagt es?
Was also Wunder, dass er nach Betreten eines Autohauses gut war für ein neues Auto. Anzahlung mit Leasing. Der Verkäufer: Brauche er, Mann, und das sogar dringend. Mit der alten Karre wolle er doch nicht reisen? Auf die sei kein Verlass. Er sei doch nicht lebensmüde? Agilität sei aber heute alles. Auch und gerade für den Mann der Feder. Daher laute die Devise: Ein neues Automobil/ macht den Dichter erst agil. Also unterschrieb er und erhielt, als Dankeschön, das Viertelchen einer Anzeigenseite. Na, wer sagt’s?
Im örtlichen Möbelhaus, das, nach den Worten der üppig blonden In- haberin in besten Jahren, das größte sei im Land, erwarb er ein weiteres Viertel, gegen einen eichenen Sekretär. Obwohl er deutsche Eiche (wie Eichenlaub, mit oder ohne Schwertern) bis auf den Grund seiner Seele hasste. Die Blonde: Wie wolle er, junger Mann, denn schreiben ohne Sekretär? Den habe doch schon Goethe gehabt. Diesen Eckmann oder wie er heiße. Und er, er wolle sich nicht mal einen leisten aus Holz? Aus deutscher Eiche? Die doch ewig halte und noch Söhne und Enkel zum Schreiben inspirieren werde. Denn: Erst am Sekretär/ der Dichter sich bewähr. Nach solch massiv gereimtem Argument der Blondine in den besten Jahren unterschrieb er, leicht stotternd und errötend, seine Kapitulation.
Nach einer weiteren Woche hatte er, in seiner Eigenschaft als Amateur-Akquisiteur, Anzeigen in der Tasche für, sage und schreibe, zwei volle Seiten sowie Verträge für weitere Statussymbole, verbindlich für dichtende Vertreter der freien Marktwirtschaft, als da sind: Farbfernseher, Videorecorder, DVD-Player, Spülmaschine, Tiefkühltruhe. Mit einem Wort: Sein Leben hatte sich total verändert. War er doch jetzt endlich ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft. Wenn er auch keine einzige Zeile mehr geschrieben hatte. Das tat nichts zur Sache, da ja sogar die Aussicht bestand, eine dritte Anzeigenseite zu füllen, was nicht nur besseres Papier und höhere Auflage garantieren würde, sondern den Fortbestand des Blattes, zumindest bis zum Jahresende!
Die Erfüllung seiner kühnen Träume setzte freilich voraus, dass er, seine labile Kondition als Diabetiker des Typus B missachtend, auch den letzten Schritt wagte in die für ihn so risikoreiche Lebensmittelbranche! Die erwies sich als besonders zäh. Was hätten sie, Bäcker und Fleischer, mit Kultur am Hut? Würben nicht Brot und Wurst in deutschen Landen am besten für sich selbst? Was solle ihnen das nützen, zumal er Diabetiker sei, ein Hungerleider, ein Asket und Abstinenzler? Völlig unrentabel, junger Mann! Doch da es sich um Läden handelte, in denen er, wenn auch maßvoll, einzukaufen pflegte, sah man ihm mitleidig ins diabetische Gesicht. Und als er gar zu betteln begann, dicke Kullertränen aus zuckerkranken Augen rannen, zeigte man sich bereit zu einem Kompromiss. Sagte der mit der Wurst: Beruhigen Sie sich, Mann, doch vergessen Sie nie: Essen muss der Dichter/ sonst zerbricht er! Sagte der andere mit dem Kuchen: Bedenken Sie immer: Kunst geht nach Brot/ sonst ist sie tot.
Gegen Bestellung einer wöchentlich zu liefernden Käse- oder Apfeltorte; einer Karbonade vom Rind vollzog sich, nach langem Hin und Her, der gewünschte Kulturaustausch. Begleitet von nützlichen, paargereimten Meistersängersprüchen aus Fleischer- oder Bäckermund. Reime, die, nach Genuss diverser Torten und Rinder-Karbonaden, die seinen Zuckerhaushalt bedenklich in die Höhe trieben, in seinem Hals wie Klöße stecken blieben. Dergestalt, dass, als die Zeitung erschien, auf bestem Papier und in hoher Auflage, ihm, dem völlig bankrotten und überzuckerten Dichter, nur noch ein schlichtes Ehrengrab geschaufelt werden konnte.