Von Jochen Ruscheweyh

 „John! Du musst dir freinehmen. Kimberley und du müsst einfach dabei sein.“

Gut, ich heiße nicht John sondern Jochen, aber für Schotten ist das deutsche „ch“ zu schwer auszusprechen, also nennt mich Kimberleys Familie John.

„Das ist nicht so einfach, Colin, wir stecken mitten im Umzug.“

„Keine Ausreden, John. Hab ich dir eigentlich mal erzählt, wie Shona und ich mit den kompletten cows und sheeps umgezogen sind? Listen, John, das war so …“

 

 

Ich hielt das Telefon schon eine Weile in Armlänge von meinem Ohr entfernt, da ich die Story zur Genüge kannte, als ich Kimberley durch die Terrassentür kommen hörte.

 

„Mit wem telefonierst du, Darling?“

Ich formte ein lautloses „Dad“ mit meinen Lippen, das Kimberley mit einem so lauten tell him, I‘m not home quittierte, dass man wahrscheinlich noch am Ende der Straße hatte hören können, dass ich ihrem Vater sagen sollte, sie sei nicht zu Hause.

Ich atmete tief ein, ehe ich etwas Brandgefährliches tat, aber ich war dieses Tochter spricht nicht mit Vater – Theater wirklich leid.

„Colin“, sagte ich, „was auch immer gewesen ist, ihr müsst miteinander reden. Kimberley steht neben mir, ich gebe ihr jetzt den Hörer.“

 

Ich sah, wie Kimberleys Augen sich zu kleinen bösartigen Schlitzen verengten, während das komplette Wohnzimmer plötzlich intensiv nach Moos roch, ein untrügliches Zeichen dafür, dass meine Ehefrau und Elfe mir eine ihrer übernatürlichen Lektionen erteilen würde.

Ich starrte auf den Hörer, der sich in meiner Hand zu verformen begann und die Farbe von einem eleganten Anthrazit hin zu einem Beige wechselte. Einen Moment später realisierte ich, dass meine Hand ein Horn umschloss, das sich in ein ausgewachsenes, übellaunig schnaubendes Prachtexemplar eines Highland Cattles fortsetzte, welches mich mit einem kurzen, aber bestimmten Kopfstoß auf unsere bereits mit Folie abgedeckte Couch schleuderte.

Der Aufprall nahm mir den Atem. Und der Paarhufer setzte bereits zu einem zweiten Schlag an!

 

„Kim“, stieß ich gegen den dumpfen Schmerz hervor. „Sprich mit ihm … er sagt … es ginge klar mit der Ralley, was auch immer er damit meint.“

„Bloody Guts! Die Ralley! Warum hast du das nicht eher gesagt?“, entgegnete meine Frau und packte den Bullen am Horn, der sich unter meinem verständnislosen Blick zurück in ein Siemens-Telefon verwandelte.

 

Drei Tage später und mit flauem Magen, da Kimberley die Frage Tunnel oder Fähre wie üblich mit Wenn du unterm Meer langwillst, hättest du Ariel schwängern müssen, Captain Nemo! beantwortet hatte – ließ uns der Fahrer des Überlandbusses kurz vor Quainnroichscallie aussteigen, da Kimberleys Heimatdorf weder eine Tank- noch eine Haltestelle besaß.

Es goss in Strömen, aber das Wetter schien Kimberleys wilder roter Lockenpracht nichts anhaben zu können. Wie schön sie doch war, dachte ich, während ich mich ein Stück zurückfallen und meinen Blick haarabwärts zu ihrem – wie ich finde – wundervoll drall wohlgeformten Hintern wandern ließ.

Und zuckte zusammen, als plötzlich ihre Hosennaht aufplatzte und sich ein nixenähnlicher Schwanzfortsatz durch den Stoff schälte und auf gut ein Meter Länge anwuchs.

„Herrgott, Kim, musst du mich so erschrecken?“

Aber sie lachte nur und warf das schuppige Etwas eidechsengleich wieder ab.

„Willst du das jetzt hier auf der Straße liegen lassen?“

Kimberley zuckte mich den Schultern. „Der alte Peter Sandman wird es einsammeln und sich zu einem Pie in der Pfanne braten.“

 

 

Nach einer heißen Dusche saßen wir um die üppig gedeckte Tafel und Colin ließ keinen Zweifel daran aufkommen, wie gern er seinen German Schwiegersohn hatte, scherzte er doch ständig mit mir, schenkte Pale Ale nach oder legte kumpelhaft den Arm um meine Schulter.

„Darling, ich glaube, du kennst meine Cousine Claudia noch nicht. Und weißt du was amazing ist? Sie hat ebenfalls einen German Hubby. Du wirst ihn morgen kennenlernen, weil ihr fahrt zusammen.“

„Äh, wie jetzt zusammen?“

„Come on, honey. Du weißt schon, Pilot und Co-Pilot.“

Mein Herzschlag beschleunigte sich.

„Kim, ich dachte du fährst! Mich überfordert schon der Rechtsverkehr in Deutschland, wie also kommst du darauf, dass der Mann deiner Cousine und ich ein Team bilden sollten?“

„Trust in me, Darling, Claudia ist eine Streckenelfe, sie kann Menschen mit Verkehrsproblemen heilen. Sie hat es bei ihrem Hubby geschafft, also schafft sie es auch bei dir.“

„Ich vertrau dir immer, Kimberley, aber das ist vergebene Mühe, ich bin einfach zu abgelenkt zum Autofahren. Ich hab ständig tausend Dinge im Kopf, und die gedoppelten Kreisverkehre hier, die machen mich schon als Fußgänger fertig.“

„Hallo, John!“, streckte mir Claudia ihre Hand hin. Als ich sie ergriff, legte sich ein angenehm leichter Schleier über meine Gedanken. Vielleicht lag es aber auch am Pale Ale.

 

 

Robert und ich verstanden uns auf Anhieb. Er hatte Kommunikationsdesign studiert, konnte ebenso ein Gespräch in Gang halten wie zuhören und gab mir das Gefühl, an mir als Mensch interessiert zu sein.

„Claudia hat mir sehr geholfen“, beschrieb er ihre Beziehung. „Ich hatte mein Kontingent an Kilometern verbraucht, die jeder Mensch zurücklegen kann, aber inzwischen bin ich angekommen. Bei ihr. Wenn du verstehst, was ich meine.“

Ich nickte. „Wollt ihr in Deutschland bleiben?“

Robert legte die Stirn in Falten und sagte: „Das ist das, was mir Sorgen macht, Claudia möchte hierhin zurückkehren, aber ich habe Angst, dass alles von vorne beginnt, wenn ich meinen geografischen Bezugspunkt ändere, das Herzrasen, der Schwindel.“

„Hast du eigentlich mal mit irgend jemand darüber gesprochen, dass du mit einer Strecken-Elfe zusammen bist?“

„Gott, nein!“

„Was glaubst du, haben die beiden mit uns vor?“

„Hat dir Kimberley nichts erzählt?“

„Äh, nein, sollte sie?“

Robert strich sich mit dem Daumen über sein Kinn. Dann sagte er: „Vor 250 Jahren hat das letzte Mal jemand aus diesem Dorf die Ralley gewonnen: Zwei deutsche Whiskyschmuggler.“

„Aber Kimberley und Claudia haben übernatürliche Kräfte. Sie könnten zwei x-beliebige Torfstecher fahren lassen, alle anderen behindern und dann gewinnen.“

„Die Sache ist die“, unterbrach er mich, „die Ralley ist seit jeher double bewitched, also mit einem doppelten Zauber belegt, der keine übernatürliche Einmischung zulässt.“

Ich schloss die Augen. „Ich glaube es nicht, dass wir gerade dieses Gespräch führen, Robert.“

Er rieb sich die Hände und blies in seine Handinnenflächen: „Und ich habe nicht geglaubt, dass sich Claudia einen Spaß daraus macht, Prinz Phillip auf seinen Reisen all diese verrückten Dinge sagen zu lassen. Die Menschen halten es für seinen skurillen britischen Humor, dabei steuert meine Frau ihn von unserem Sofa aus fern, weil sie eine …“

„Strecken-Elfe ist“, vervollständigte ich den Satz, „ich komme mir vor wie in Harry Potter und ich hasse Harry Potter.“

Statt einer Antwort reichte er mir den Flachmann. Der Whisky hatte Fassstärke und brannte im Hals.

 

„Worüber hast du dich eigentlich mit deinem Dad gestritten?“, fragte ich, während ich in das offene Triumph Coupé kletterte.

„Er meinte, er will nicht, dass die Nazis sein Car bei der Ralley fahren“, entgegnete Kimberley, während sie den Lederriemen meines Helms schloss.

Sie hatte meine Verkehrsheilung also bereits seit Längerem geplant.

„Und was hast du gesagt?“

„Er soll Churchill ausbuddeln und ihm einen …“

„Stopp, Kimberley, so genau wollte ich es nicht wissen. Aber ich dachte, er mag mich?“

„Das tut er auch. Auf seine Weise. Aber er bleibt halt auch immer ein schottischer Dickkopf.“

„So wie du …“

Kimberleys Miene verfinsterte sich für einen Moment, ehe sie mir das unglaublichste Elfenlächeln dieser Hemisphäre zuteil werden ließ: „Ich vertraue dir. Gewinn dieses Rennen für Quainnroichscallie.“

 

Der Triumph reagierte weitaus mächtiger auf Beschleunigung als Kimberleys alter Panda, also behandelte ich ihn mit entsprechendem Respekt.

„Du musst in den Kurven mehr Gas geben“, wandte Robert ein, „sonst können wir nicht zur Spitze aufschließen.“

„Wo soll diese verdammte Spitze überhaupt sein?“, rief ich. „Ich sehe nichts als eine leere Single Track Road.“

„Breeeeeems!“, schrie Robert plötzlich, woraufhin ich das Pedal durchtrat und wir nach vorne gepresst wurden.

 

Wir kamen nur wenige Meter vor der menschlichen Barriere zu stehen, die zwei in Lumpen gehüllte Mittelalter-Markt Spaßvögel mit ihren ausgebreiteten Armen bildeten.

Ich riss die Tür auf, sprang hinaus und lief auf die beiden zu, um ihnen in meinem mittelmäßigen Oxford-Englisch einen verbalen Einlauf zu verpassen.

Aber mein Gegenüber wiederholte meine Mahnung, dass es Verletzte hätte geben können.

Ebenso meine Frage, ob er das witzig fände.

„Verdammt, das sind ja wir!“, klang es stereo aus dem Triumph hinter mir wie aus dem Mund des anderen Spaßvogels.

Mein Gegenüber deutete auf das Waldstück links von uns, während ich nichts anderes konnte, als es ihm marionettenartig gleichzutun.

„Ich glaube, du willst, dass wir in den Wald fahren, John … äh … Jochen“, stellten Robert und sein Mittelalter-Lookalike gleichzeitig fest.

 

„Wir sollten das hier in Textform bringen, ausdrucken, mit Joanne K.Rowling unterschreiben und absichtlich im Bus vergessen, “, sagte ich, während ich den Triumph so abgeklärt, dass es mich selbst erstaunte, auf die eine Schneise bildenden Bäume zusteuerte.

 

 

 

Colin, Shona, Claudia und Kimberley, aber auch alle anderen jubelten uns lorbeerbekränzten German Autodrivers zu, als wir das improvisierte Strohballenpodest erklommen, denn unsere selbstgeschaffene Umleitung hatte uns gute zehn Kilometer gespart.

 

Ich fahre seitdem nicht öfter und vor allem nicht souveräner Auto, und ich glaube auch nicht, dass Colin aufgehört hat, mich insgeheim für einen Nazi zu halten, aber ich bin dankbar, im mittleren Lebensalter nochmal einen echten Freund gefunden zu haben.

Ich denke Robert geht es ebenso.

 

Wenn Kimberley und Claudia einen Plan hatten, dann vielleicht uns zu zeigen, dass jeder Magie in sich hat und nur den Zugang dazu finden muss.

 

Aber wer kann schon sagen, was eine Elfe und eine Streckenelfe tatsächlich geplant haben?