Von Karin Endler

Die Umleitung schleicht sich des Nachts in eine Stadt, ein Dorf oder eine Landschaft. An Kreuzungen verteilt sie ihre gelben Visitenkarten, die in schwarzer Schrift ihren Namen künden, nur den Namen, keinen Vornamen, keinen Titel, keine Anrede. Fixe Adresse hat sie nicht, ein Pfeil weist die Richtung. Anrufen kann man sie auch nicht – weder mobil, was bei ihr sinnvoll wäre, noch Festnetz, unmöglich ohne festen Wohnsitz. In den digitalen Medien ist sie sowieso nicht präsent – obwohl – E-Mail-Umleitungen werden immer häufiger. 

 

Meist legt sich die Umleitung wie ein schützender Mantel um eine Baustelle. Damit die Bauarbeiter ungestört in der Erde buddeln können, weist sie die Autofahrer auf den rechten Weg:

Na danke, eine Umleitung.

„Bitte, in hundert Metern links abbiegen.“

Das Schild weist doch nach rechts?

„Bitte, jetzt nach links abbiegen.“

Na, das Navi wird‘s schon wissen – hoffentlich.

Wer jedoch auf fremde Stimmen hört, kann der Umleitung keine Schuld geben, wenn sein Umweg länger als nötig wird. 

 

Manchmal hat die Umleitung zu wenige Visitenkarten mitgebracht, dann braucht es den Spürsinn Winnetous:

„Wie geht‘s jetzt weiter?“

„Wenn kein Umleitungspfeil da ist, musst du der Hauptstraße folgen.“

„Und welcher der beiden Feldwege ist die Hauptstraße?“

„Weiß auch nicht, nimm halt den rechten.“

Wenn dann der linke Weg der rechte Weg wäre, kann das recht ärgerlich werden – nicht für die Umleitung, aber für die Umgeleiteten.

 

Als städtische Fremdenführerin arbeitet die Umleitung besonders gerne. Menschen, die nie mutig genug waren, eingefahrene Pfade zu verlassen, finden sich plötzlich in Stadtvierteln wieder, von denen sie nicht einmal ahnten, dass sie existieren:

„Bitte, schalte die Türverriegelung ein. Wer weiß, ob nicht einer den Stau ausnützt und die hintere Tür aufreißt. Mein Laptop, mit der ganzen Präsentation drauf, liegt auf der Rückbank. Wenn der weg ist, ist ein Jahr Arbeit pfutsch und den Lohn dafür kann ich mir aufmalen.“

 

Aber die Umleitung kann noch ganz andere Kunststücke. Wenn sie von der zwischen Lärm- und Sichtschutzwänden eingezwängten Autobahn weg weist und ihre Follower in die saftig grüne Natur, die über sanfte Hügel hingestreckt ist, entführt, kann das schon die Phantasie anregen:

„Schau Papa, so viele Bäume!“

„Das ist ein Wald.“

„Gibt es im Wald Drachen?“

„Ich glaub‘ nicht.“

„Schade, wäre toll, wenn einer heraus käme.“

„Es wäre schon toll, wenn sich der Tatzelwurm vor uns etwas flotter bewegen könnte.“

 

Mit besonderer Vorliebe führt die Umleitung hektische Raser in eine ländliche Umgebung, damit sie Gelassenheit lernen. Kaum fahren sie missmutig die Autobahnabfahrt hinunter, startet beim nächsten Feld ein fröhlicher Landwirt seinen Traktor mit Anhänger, um die Ernte nach Hause zu transportieren. Da die Straße kurvenreich und wegen der Umleitung stark befahren ist, nützen auch viele PS nichts, um aus der Kolonne, die sich schnell bildet, auszubrechen:

Das ist aber jetzt nicht wahr! Hätte der nicht warten können, bis ich vorbei bin, bevor er vom Feld herunterfährt? … Und warum fährt er nicht an den Rand? Der hält ja alle auf! … Das Flugzeug wird noch ohne mich starten, wenn der weiter so langsam dahinzockelt. … Wer braucht schon Erdäpfel? Heute kocht doch keiner mehr. Die Pommes gibt‘s fertig beim Drive-in und Erdäpfelpüree als Packerl im Supermarkt. … Kaum will ich einmal, eh nur zwei Tage, nach New York jetten, um meine Garderobe zu erneuern, schon werde ich von so jemanden aufgehalten. Es ist zum Verrückt werden! … So, jetzt reicht‘s mir! Da wird schon keiner entgegen kommen, mit meinem Porsche bin ich ja in Null-Komma-Nix vorne.

– ein Motor heult auf – Bremsen quietschen – Blech scheppert – Stille –

 

Bei Festen wird die Umleitung schnell zum Kreisverkehr rund um das Dorf. Je später der Abend, umso länger die Schlange der Parkplatzsucher:

„Dort vorn, dort ist eine Lücke!“

„Ja, für einen Mini. Warum hast du auch unbedingt einen SUV kaufen müssen? Jetzt könnten wir zwar rechtswidrig querfeldein fahren, aber einen legalen Parkplatz finden wir nicht.“

„Doch, da, der ist groß genug. Schnell fahr rein, bevor sich ein anderer reindrängt!“

„Groß genug ist er schon, aber genau vor der Feuerwehrausfahrt.“

 

Könnte der Herbststurm die Buchstaben ihres Namens durcheinander wirbeln, entstünde aus der Umleitung Igelunmut. Aber sie erzeugt diesen auch, wenn sie den Autoverkehr durch einen Wald schickt, in dem die kleinen Stachler in hohen Laubhaufen ihre Winterquartiere herrichten. Durch das erhöhte Fahraufkommen fühlen sie sich bei ihren Vorbereitungen gestört und müssen außerdem um ihr Leben bangen:

– Bremsen quietschen – Blech scheppert – eine Autotür wird aufgerissen –

„Sind Sie wahnsinnig, ohne Grund zu bremsen?“

„Ich bremse auch für Tiere. Steht übrigens am Heck meines Autos. Sie haben das doch sicher gelesen? Warum wären Sie mir sonst so knapp hinterher gefahren?“

„Was für Tiere? Da sind keine Tiere!“

„Doch, der Igel, der gerade die Straße quert.“

„Wo?“

„Jetzt ist er schon unter dem Laub am Straßenrand verschwunden.“

 

Eines Tages, keiner weiß genau wann, wird die Umleitung ihren wohlverdienten Urlaub antreten. Wenn sie dann alle ihre gelben Visitenkarten eingesammelt hat, ringelt sie sich in der hintersten Ecke der Straßenmeisterei zusammen und träumt davon, ein Stern zu sein, der in alle Richtungen gleichzeitig strahlt.

 

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