Von Sabine Rickert                       

Lieber Erklärbär,

ich habe das ungute Gefühl, dass du auf mich aufpasst, obwohl ich schon groß bin. Du hast den Part der Eltern übernommen, die die Erziehung rechtzeitig vor dem 18. Geburtstag eingestellt hatten. Na ja, meine Mutter wurde oft rückfällig. 

Ich bin nicht nur volljährig, sondern habe jahrzehntelange Lebenserfahrung. In den ersten Jahrzehnten wurde mein Erfahrungsschatz von mir selber angelegt. Hauptsächlich durch `learning by doing´. In der letzten Zeit werden mir Weisheiten übergriffig von dir, lieber Erklärbär, aufgedrängt. Es ist eine Zwangsinformation, die mir suggeriert, dass ich nicht in der Lage bin, ohne dein Management, meinen Alltag zu bewältigen. Wie habe ich nur die letzten vierzig Jahre überlebt?

Es macht teilweise faul! Mittlerweile warte ich schon auf neue Anweisungen für meinen Alltag. Aber noch denk ich mit und merke sofort, wenn etwas in die falsche Richtung läuft.

Du bist nicht der `Stein der Weisen´. Wir haben alle unsere Talente.

Ich behaupte selbstbewusst, dass ich in der Pandemie ein hohes Level an Lebenserfahrung erreicht habe. In der Coronakrise wurde ich unfreiwillig zum Virologen. Es reicht nicht, um ein eigenes Labor aufzumachen, aber ich kenne den Unterschied zwischen einem mRNA- und Vektor-Impfstoffen. Ich bin in der Lage zu erklären, wie ein Spikeprotein funktioniert. Ist auf keinen Fall mein Wunsch. Ich gehe davon aus, dass meine Mitmenschen ebenfalls fähig sind, sich mit der Problematik zu befassen. Ich habe gelernt, Tests auf das Virus an mir selbst zu vollziehen, ohne mich dabei zu verletzen. Ich setze meine Maske korrekt auf. Ich bin digital ausgestattet mit Apps, die mir das Leben erleichtern, indem sie mich ausweisen, damit ich überall rein- oder hinkomme. Andere Apps warnen mich, um mich rechtzeitig in die Quarantäne zu stecken.

Damit wir alle mitmachten, war diese Krise eine große pädagogische Herausforderung für dich.

Aber das Leben ist kein Ponyhof und somit wird uns keine Lernpause gegönnt. Wie aus heiterem Himmel ist die Welt verschmutzt und das Auto ist schuld. Erklärung gab es genügend mit Unterstützung durch Zwangsmaßnahmen.

Alternativen sind gewünscht und werden hoch gehandelt. E-Auto, E-Fahrrad, E-Roller und die allseits beliebten öffentlichen Verkehrsmittel. Was kostet die Welt? Wir tauschen alles  aus, außer die Öffentlichen. Schade!

Zuschuss beim Kauf eines E-Autos oder Lastenfahrrads, nicht zu vergessen das 9-Euro-Ticket. Die Stimulierung zum Tauschgeschäft ist der teure Sprit, der sich trotz Steuersenkung nicht in den Griff bekommen ließ. Oder war das 9-Euro-Ticket die Dämpfung, weil die Stimulierung zu doll war? Hm! Da recherchiere ich nochmal intensiver. 

Im nächsten Lebensschulfach `Steuern´ setzt du doch einiges voraus. Es gab nur ein Briefchen vom Finanzamt, kurz bevor unser kleines Zeitfenster von vier Monaten anfing. Hattest du Sommerurlaub oder war es lästig diese spontane Zwangsmaßnahme aller Haus und Grundbesitzer zu erklären? Dabei heißt sie doch Grundsteuererklärung. Die Deadline ist 2025. Wir, die Bevölkerung bekommen vier Monate. Das Finanzamt macht dann 2 Jahre lang was genau? Das habe ich nicht verstanden.

Wir haben eine schwer lösbare, mit überdurchschnittlicher Eigenrecherche verbundene Aufgabe vor uns. Erwerb und Kenntnisse von einem Computerprogramm mit einem Vogelnamen, das Finden von Flurstücken im Internet und letztlich die genaue Vermessung von Wohnungen, Grundstücken und Häusern. In manchen Bundesländern bekamen die Bürger Vorgaben vom Finanzamt, in anderen nur den Hinweis, wo man diese findet. Ein Suchspiel für die, die in der Schulklasse schon etwas unterfordert sind? Oder ist es ein Test? Ich war bei den Probanden mit den Vorgaben. Im Brief lag ein beigefügter Zettel, den ich nur abzuschreiben brauchte. Da stand die Gemarkung, Gemarkungsnummer, Grundbuchblatt, Flur, Flurstück, Zähler, Nenner, Bodenrichtwert …. Begriffe die man so im Alltag nicht benutzt. Was wünscht man sich mehr? Entweder war es Glück, oder ich kenne jetzt meinen Platz in der Klasse.

Schon folgt die nächste Krise. Du glaubst diesmal wieder nicht, dass wir diese ohne deine Ratschläge überstehen.

Ich habe das Bedürfnis, dir zu beweisen, dass es nicht so ist. Du, lieber Erklärbär, hast dich dieses Mal verlaufen, denn du bist davon überzeugt, du befindest dich in der Anfängerklasse. Ich bin mittlerweile Virologe, Experte für Elektromobilität, und durch die Grundsteuererklärung habe ich schon meinen >Master Finance< erlangt.

Du hast den Wunsch, mich unbedingt auf die Strom-und Gaskrise im Winter vorzubereiten.

Dein Rat, ich zitiere aus einem Zeitungsartikel:

„Wir empfehlen, den Gefrierschrank nur aufzumachen, um etwas herauszuholen, und dann nur kurz. Das spart Strom!“

Was befürchtest du? Ich vollziehe eine stundenlange Inventur an meinen Gefriervorräten? Oder dass ich vorhabe Pinguine anzulocken? 

Ich werde dir mal berichten, wie ich den Winter meistern werde, und dann würde ich mich freuen, wenn du eine Abhandlung über die Plausibilität dazu veröffentlichst.

Ich habe vor, im Winter meine Gefriertruhe abzustellen, dass spart reichlich Strom. Ich gehe ohne ÖPNV und ohne E-Auto, zu Fuß jeden Tag zum Supermarkt und hol mir dort alles, was ich für den Tag brauche. Das nimmt eine Menge Zeit in Anspruch, dadurch sitze ich nicht so lange in meiner kalten Wohnung auf dem Flurstück 44 in der Gemarke …. Außerdem lass ich mich boostern, dann verbringe ich mindestens eine Stunde in der warmen Arztpraxis. Bei den Nebenwirkungen in den ersten drei Tagen erhoffe ich mir etwas Fieber.

Es ist ja nicht so, als würde ich förmlich auf deine Ratschläge warten. Ich beschäftige mich freiwillig mit aktuellen Themen. Und zwar mit dem Thema gasfreies Heizen mit Pellets und Stromversorgung durch Solarenergie, alternativ ein Winter in der Karibik. Was ist günstiger?

Weiterhin würde ich gerne promovieren mit dem Thema:

„Fortbewegungsmittel im Mittelalter, sind sie wieder zeitgemäß?“ 

Die ersten Recherchen dazu laufen schon.

  1. Lassen sich Autobahnraststätten zu flächendeckenden Futterstationen für die Pferde der Fuhrwerke ausstatten, und brauchen sie zusätzlich einen Hufschmied und Tierarzt?
  2. Ist dann die Einführung eines Tempolimits noch zeitgemäß?

Ich such dringend einen Doktorvater, wenn du Interesse hast, dann würde ich mich sehr freuen.

 

Liebe Grüße

Dein Betreuungsopfer

 

                                                 V2