Von Ingrid Frank

Der Johannisbeerkuchen ist vegan und selbst gebacken. Nicht von ihm . Er backt keinen Kuchen, schon gar keinen veganen.

Vermutlich hat Conni den gebacken. Conni ist seine neue Freundin.

 

Sie würde den veganen Kuchen gerne an die Wand werfen, und wenn schon nicht an die Wand, dann in die Mülltonne. Das tut man nicht. Brave Mädchen schon gar nicht. Stattdessen isst sie ihn. Der Kuchen schmeckt fad, er ist von beiger Konsistenz, gallertartig; die Beeren darin sind gezählt. Man wirft nichts weg. Immerhin hat er ihr Kuchen gebracht. Immerhin … sie kann doch dankbar sein. Sie spürt nichts. Sie spürt nicht mehr, dass sie Conni hasst und ihn hasst wegen Conni und sich selbst, die es so weit gebracht hat, dass es Conni gibt.

Letztendlich hat sie selbst Schuld – das ist das Schlimmste.

 

Er hätte mehr Dankbarkeit verdient. 

Der Gedanke führt zu unmittelbarem Kopfschmerz und verengt den Hals.  An dem Kuchen kann sie sich nicht mehr verschlucken. Der liegt schwer verdaulich in ihren Eingeweiden neben dem Hass auf Conni, auf sich selbst… und darauf dass alles so ist wie es ist.

Johannisbeerzeit.

Sommer.

Wie sehr hatte sie sich einen Sommersonntagsausflug gewünscht. Als er sie dann irgendwann mit einer ganz besonderen Idee, einem Leihauto für den Ausflug und einer Informationsbroschüre über das besondere Museum, das er anvisierte, überraschte, bekam sie einen Schreck: vier Stunden Fahrzeit einfach, 2 Stunden Museum … Die Kritik sollte nur klitzeklein sein, sie fiel zu groß aus.

Sie war müde und ein Tag am See wäre gerade recht mit ihm, der sie verwöhnt. Ihre Bilder von einem Ausflugstag sahen anders aus als seine. Sie sprachen nicht darüber. 

Bereits der Aufbruch war freudlos – die Luft im Auto schwül, die Stimmung angespannt. Er stellte das Radio ein. Die Popmusik auf dem Verkehrssender war laut. Sie schwiegen. 

Irgendwann hielt er an; ein üppig tragender Kirschbaum am Straßenrand, die Zweige bogen sich. Er musste ernten, was das Zeug hielt, vergaß Zeit und Raum und Ärger. „Herzkirschen“ rief er. „Ganz reif. Probier mal!“ 

Sie saß auf einem Baumstamm, beobachtete ihn. ‚Die Zeit und das Museum und die Rückfahrt…‘ Sie fühlte sich verantwortlich, und die Verantwortlichkeit drückte und die Menge an Kirschen auch. Sie strengte sich an, nicht ärgerlich zu werden. Das verdoppelte den Ärger, was er nicht verstand. Sie fühlte sich schuldig. Man macht aus einer Mücke keinen Elefanten. Warum gelang ihr das nicht? 

„Schmecken gut!“ sagte er und spuckte den Kern weit von sich.

Als der Karton im Kofferraum gefüllt mit Kirschen war, füllte er noch zusätzlich die Plastiktüte, in der ihr Proviant eingepackt war. Der lag jetzt auf dem Rücksitz. Die warme Luft roch jetzt nach Käse und Tomate.

Die Weiterfahrt verlief doppelt angestrengt, der Museumsbesuch gehetzt. Sie konnte sich schwer konzentrieren; Menschen, Bilder, Beschreibungen glitten an ihr ab. Sie sehnte sich nach seiner Hand. Er stand am anderen Ende des Raumes. Sie ging nicht zu ihm hin.

„Hab ich einen Hunger“, sagte er anschließend und las ihr etwas aus dem Katalog des Museums vor. Die Brote aß er direkt neben dem Auto. „Ich mag jetzt nicht“ sagte sie und kämpfte mit den Tränen und dem diffusen Gefühl etwas anders zu brauchen. Etwas lief schief, und sie war irgendwie daran Schuld. Alles könnte doch viel lockerer sein. Sie meinte sich entschuldigen zu müssen. 

 

Zuhause widmete er sich den Kirschen. Sie wünschte sich, dass er sich ihr widmet und dass die Anspannung abfällt und der schale Nachgeschmack dieser Fahrt. Irgendwas sollte er dafür tun. Was genau wusste sie auch nicht.

Also: Entsteinen und Einmachen, Gläser füllen, Rezepte suchen.

Es war schon spät. Sie trank ein Glas Wein,  schenkte auch ihm ein. „Na denn zum Wohl“, sagte er, und sie nickte, aber der dumpfe Geschmack des Tages fiel nicht ab, auch nicht, als er am Abend neben ihr einschlief. Sie blieb wach und lauschte  seinem Schnarchen. Es störte sie ebenso wie das Schweigen zuvor und wie die Selbstverständlichkeit am Morgen, mit der er sie zu sich zog.

Sommerzeit.

 

Er würde jetzt mit Conni in den Urlaub fahren statt mit ihr. Der Gedanke sticht und die Phantasien wie leicht und unbeschwert es Conni vermeintlich ist, bereiten ihr Bauchschmerzen. Übelkeit.

 

Sie waren miteinander im Süden: Italien, Griechenland, Andalusien, Sardinien – weiter nördlich auch: Norwegen, Schweden, Großbritannien. Oder nebenan: Nord- und Ostsee; Wien und Prag … 

Die Bilder im Innern sind andere als die mitgebrachten Fotos, unscharfe Bilder getränkt mit merkwürdiger Schwere. Schuldschwere. Sie hätte anders sein müssen in diesen Urlauben: weniger erlebnishungrig, weniger austauschbedürftig, weniger gelangweilt …

Ob Conni die langen schweigenden Mahlzeiten erträgt oder es schafft sie zu verändern? Ob Conni ihr eigenes Programm mit seinen Plänen zu vereinbaren weiß.- Ob er ihr sagt, welche Pläne er hat? Oder lässt sie sich gerne auf die seinen ein, auch wenn die gerne verborgen bleiben… Vielleicht ist alles anders bei Conni und nur ihr gegenüber musste er so verschlossen und unzugänglich oder völlig abgetaucht in seine Welt sein. Sie fühlt sich schuldig nicht so zu sein wie Conni

Sie könnte von Conni lernen wie man es besser macht mit der Liebe und dem Zusammensein. All das.

Sie hasst Conni.

Conni backt veganen Johannisbeerkuchen, den er ihr bringt. Das ist respektlos. Er merkt das nicht, deshalb isst sie ihn. Das bekommt ihr aber nicht, selbst wenn er unschuldig unsensibel ist bekommt ihr das nicht.

Es bekommt ihr nicht wenn sie schluckt, was ihr nicht schmeckt. Das bekommt niemanden.

Sie hat seine Ideen geschluckt: die Veränderung in der Wohnung: Wand raus, Anstrich so, Rohrverlegen so… Schrank hierhin, Bild dorthin…. Wer zahlt bestimmt, dachte sie und sagte leise ‚Ich will auch gefragt werden.‘ Das kränkte ihn und sie fühlte sich falsch.  ‚Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul‘ Er war so großzügig und sie undankbar. Schuldschuldschuld… Er hat nicht verstanden was sie meinte und wurde traurig und ärgerlich und machte erst recht sein Ding:

Blumenbestellungen für den Garten. Die Kühlschrankfüllung für die Woche. Alltägliche Gepflogenheiten … Sie fand ihren Platz daneben, eigentlich okay, eigentlich reichte nicht. Es fühlte sich immer ein bisschen fremd an. Fremd und traurig. Sie spürten es beide und fanden keine Sprache dafür. 

Er kochte. Er schlief. Er arbeitete. Er kochte. Er zerstreute sich. ER arbeitete. Er schlief. Er kaufte ein. Er kochte.

Sie weinte. Sie arbeitete. Sie marterte sich. Sie arbeitete. Sie zerstreute sich. 

Sie ärgerten sich. Sie liebten sich. ES fühlte sich traurig an.

So ging es nicht weiter, fanden sie und wussten nicht wie anders.

Sprechen sagte sie und er schwieg. Machen dachte er, aber wie?

 

Jetzt geht jeder seinen Weg. Wenn sie  sich treffen, dann und wann, dann reden sie mehr denn je und ihre Gesichter freuen sich; danach bleibt Trauer im Kopf und im Herz und etwas nagt in den Eingeweiden: den Johannisbeerkuchen hat Conni gebacken schreit sie in den Wald. 

Der bleibt stumm.