Von Maria Lehner  

(Sprecherin aus dem Off, Kameraschwenk über ein Festgelände:)

„18.7.2020, Johannesburg:  Auch heuer sind sie wieder da an seinem Geburtstag. Im Vorort Houghton, in dem er gewohnt hatte, versammeln sie sich beim Rainbow-Memorial.“ 

 

(Kameraeinstellung: Ein überdimensionales auf Stoff gedrucktes Foto von Nelson Mandela flattert im Wind. Es scheint sich stellenweise von seiner Fixierung zu lösen.)

 

(Sprecherin aus dem Off, Schwenk und Zoom auf Blechstücke):

„Sieben Jahre nach seinem Tod hat alles seinen Glanz verloren. Der überdimensionale bunte Regenbogen, das Wahrzeichen des Rainbow-Memorials, ist zu Boden gestürzt. Da liegt er nun im Staub. Zerbrochen. Ein Stück plattgedrücktes buntes Metall, das wohl bald die Müllsammler abtransportieren werden. So kann er noch einige hungrige Mägen satt machen. Das ist das Ende des Regenbogens.“

 

(Kurzer Schwenk: Im Hintergrund mehrere Kinder, die in Richtung Kamera drängen. Sie gestikulieren. Sie rufen etwas, das man nicht versteht und machen Gesten der Verneinung. Von mehreren Seiten kommen Kinder, sie tragen Kübel mit unzähligen Stummeln bunter Kreide. Sie kauern sich auf den Boden und zeichnen.)

 

(Journalistin mit Mikrophon, geht durch die Menge. Ein Mann mittleren Alters vor der Kamera):

„Als er starb, haben wir getanzt, gebetet und gesungen. Jetzt ist die Regenbogennation, die er im Frieden mit sich selbst gesehen hat, weit weg. Die Begeisterung hat sich ins Gegenteil gekehrt“.

 

(Die Kinder, es werden immer mehr, kommen wieder kurz ins Bild, emsig nebeneinander weiterzeichnend.)

 

(Einblendung Sprecherin aus dem Off)

„Bei der heuer virtuell abgehaltenen 18.  Nelson Mandela Annual Lecture hat UN-Generalsekretär António Guterres über die Ungleichheitspandemie und einen neuen Gesellschaftsvertrag gesprochen: 

 

(Einblendung Originalbeitrag Guterres):

„Es ist ein Mythos, dass wir alle im selben Boot sitzen, denn während wir alle auf demselben Meer schwimmen, ist es klar, dass einige von uns in Superyachten sitzen, während andere sich an den schwimmenden Trümmern festhalten, sodass schließlich die Ungleichheit alle Boote versenkt.“

 

(Links im Bild erscheint eines der Kinder: Es zeigt in der rechten Hand ein Stück grüne Kreide. Man hört nicht, was es sagt).

 

(Schwenk ins Publikum, Zoom auf die Reporterin, die einem jungen Mann das Mikrophon entgegenhält. Er sagt):

„Wir sollten die Regenbogennation werden, ungeachtet unserer Hautfarben, Herkunft und politischer Standpunkte. Ich kenne das alles nur vom Hörensagen. Sie erzählen sich, wie alle an den Lippen von Desmond Tutu gehangen haben, der Mandela als den sah, der unsere gemeinsame Größe verkörpert.“ 

 

(Der Nebenmann beugt sich in Richtung Mikrophon, die Reporterin schwenkt es zu ihm):

 „1996 konnte ich zur Schule gehen – wissen Sie warum? Weil Madiba für kostenlose Schuluniformen und Essen gesorgt hat!“

 

(Noch immer arbeiten die Kinder kauernd, manchmal feixen ein paar in Richtung Kamera.)

 

(Sprecherin aus dem Off, Schwenk auf die Grüppchen, die herumstehen):

„Madiba“ und „Tata“ – das bedeutet Vater – sind Ehrennamen Nelson Mandelas. Man nannte ihn auch Dalibunga, was so viel bedeutet wie „Gründer des Rats“. Was war das Besondere an dem Mann mit den vielen Namen? Er wollte die Nation – bunt wie ein Regenbogen – von einem rassisch getrennten System in ein gemeinsames politisches System führen, unabhängig von Glauben oder Hautfarbe. Die Hoffnung, dass die verschiedenen Rassen aufeinander zugehen werden, um das neue Südafrika aufzubauen ging nicht auf: Seine Nachfolger teilen die Idee nicht.

Und während hier gesungen und gefeiert wird, arbeitet der Stab der Expertin für öffentliche Gesundheit daran, das Notaufnahmelager für Covid-19-Patienten einzurichten; die Rede ist von 600 aber bald bis zu 2000 Infizierten. Nicht mitgezählt jene leichteren Fälle, die sich auch zu Hause auskurieren könnten, wenn sie ein Zuhause hätten und nicht bloß mit der ganzen Familie in einem Raum oder einer Hütte leben würden“.

 

*

 

(Ortswechsel, Untertitelung „Quartier Maboneng, Johannesburg“, Schwenk auf ein 40 Meter hohes Mural; Sprecherin aus dem Off):

„Ricky Lee Gordon, wir kennen ihn auch als Freddy Sam, malte Madiba zu Ehren das Bild nach einem Foto. Er nannte es: „Ich bin, weil wir sind“, denn der Abgebildete hatte nach dem Motto Politik gemacht „Du kannst nicht alleine ein Mensch sein“. Wir befinden uns hier in jenem Stadtteil, der „Ort des Lichts“ heißt und tatsächlich befindet sich hier, am Rande der City von Jo´burg ein Stück Paradies: Unter schattigen Bäumen verkaufen Straßenkünstler handgefertigten Schmuck. Alles leuchtet in kräftigen Farben. Man sitzt, schwatzt und lauscht der Musik aus den Clubs.“

 

(Auch hier sind Kinder zu sehen, die einen Moment lang ins Bild kommen. Dies wird nicht kommentiert. Immer arbeiten sie konzentriert, beginnen an unterschiedlichen Stellen und treffen dann aufeinander).

 

(Schwenk zum Nachbartisch, ein Mann):

„Ja: Mandela hat gekämpft. Aber nicht genug. Er hat sein Ziel nicht erreicht. Er war umgeben von Menschen, die seinen Traum nicht teilen wollten. Er war Übermensch, ein Heiliger. Ein Mensch, der es allen recht machen wollte.“

 

(Schwenk auf seine Nachbarin, eine junge Frau):

„Er war und ist unser Held. Aber er war keine gute Führungspersönlichkeit. Er hat seine Nachfolge nicht so aufstellen können, dass seine Visionen erfüllt wurden. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.“

 

(Schwenk auf Menschengrüppchen und einen Schriftzug „Maboneng“; im Hintergrund Musik; Sprecherin aus dem Off):

„Sie hören im Hintergrund Stand Together – die afrikanische Hymne zur Solidarität gegen COVID-19. Mit diesem Song rufen zehn afrikanische Musikerinnen und Musiker aus sieben Ländern die Regierungen Afrikas auf, im Kampf gegen die Pandemie an der Seite ihrer Bevölkerungen zu stehen. Sie kommen aus Nigeria, Tansania, Südafrika, Kamerun, Angola, Äthiopien und Marokko.“

 

*

 

(Fade-Out der Musik; Schwenk ins Innere eines Busses, dann auf die vorbeiziehende Landschaft; Sprecherin aus dem Off):

„Johannesburg, Heidelberg, Villiers, Harrismith, Ladysmith, Estcort, Howick, Pietermaritzburg … und kurz vor Durban. Immer wieder auf dieser Fahrt bietet sich mir ein Bild wie gerade eben jetzt…“

 

(Schwenk aus dem Fenster, Kindergruppen – teilweise dem Bus zuwinkend – kauern malend am Straßenrand. Es scheint eine Art buntes Band zu werden, wohl zusammenwachsende Fragmente, die auf etwas Gemeinsames hinzielen. Close-Up auf die Sprecherin:)

 

„Diese Kinder immer wieder – auf der gesamten Route, die die Nationalstrasse N3 entlangführt. Wir machen uns in Durbans Stadtteilen Windermere, Morningside und Berea auf die Suche nach dem südafrikanischen Traum…“

 

*

 

(Stimme der Sprecherin aus dem Off):

„Der Traum von der Regenbogennation scheint hier wohl am lebendigsten“

 

(Schwenk auf eine Ausgeh- und Hipstermeile, Straßenschild „Florida-Road“):

 

(Reporterin im Café zu einer jungen Frau, die ihr ein Getränk serviert):

„Was ist das Besondere hier?“

 

(Schwenk auf die junge Frau):

„Eigentlich ist es nichts Besonderes: Die Menschen arbeiten in W-Lan-Cafés, trinken das lokale Craft Beer und essen bei uns „Bunny Chow“, Durbans Nationalgericht. Das ist ein indisches Curry mit besten afrikanischen Zutaten. Wir servieren es in einem ausgehöhlten britischen Toastbrot. Besser kann man nicht bunt sein. Ich denke mir immer: Das hätte Nelson Mandela gefallen!“

 

(Aus einer Gasse von links kommt eine Kindergruppe, malend. Auch hier entsteht ein buntes Band. Sie bewegen sich langsam nach rechts. Die Kamera folgt ihnen. Kurzer Schwenk auf die Reporterin, die die Schulter zuckt.)

 

(Ein Mann mittleren Alters kommt ins Bild und antwortet offenbar auf eine Frage der Reporterin:)

„Ja, unser Traum vom gleichberechtigten Miteinander der Kulturen lässt sich nirgends besser träumen als hier. Unsere Stadt gilt als Wiege der südafrikanischen Demokratie. The warmest Place to be. (lacht:) Wegen des Klimas und wegen unserer Warmherzigkeit“.

 

*

 

(Die Reporterin steht auf, will das Café verlassen und stolpert über ein Kind, das malend neben ihr kauert. Die Kamera schwenkt auf das Kind. Die Reporterin hält ihm das Mikrophon hin und stellt ihre Frage):

 

„Was malst du da? Das sieht sehr schön und bunt aus. Was wird es?“

 

(Mehrere Kinder durcheinanderrufend):

„Na der Regenbogen!“ „Das sieht man doch, oder?“ „Er ist riesenriesengroß“.

 

(Reporterin mit Mikrophon):

„Ja, aber das sieht eher aus wie ist eine bunte Straße, sie wächst zusammen. Eine Straße. Kein Bogen.“

 

(Sie hält einem Kind das Mikrophon hin):

„Der Regenbogen ist auch kein Bogen. Wenn du in einem Flugzeug sitzen würdest oder wenn du auf einem gaaaanz hohen Turm stehen würdest, würdest du es auch sehen können.“

 

(Ein anderes Kind kommt hinzu):

Er ist nämlich ein Ring. Das haben wir in der Schule gelernt. Der Regenbogen ist am Horizont nicht zu Ende. Aber wir können das nicht sehen, weil uns die Erde im Weg ist.“

 

(Reporterin wiederholt ungläubig staunend „… weil uns die Erde im Weg ist…“)

 

(Kameraschwenk auf ein anderes Kind vor dem Mikrophon):

„Und wir arbeiten alle daran. Von allen Seiten. In allen Ländern. Wir schicken ihn übers Meer, über die Berge, durch die Wüste. Und so wird ein riesiger Kreis entstehen auf der Erde. Ohne Ende. Nämlich: Das Ende des Regenbogens gibt es nicht.“

 

*

(Abspann. Man sieht Kinder ihre vom Malen mit den Kreiden bunt gefärbten Hände in die Luft halten. Stimme der Sprecherin aus dem Off):

„Das war es, was Mandela, Madiba, Tata, Dalibunga oder wie immer wir ihn nennen wollen, meinte als er sagte, dass eine neue globale Generation entstehen kann. Es liegt jetzt in ihren Händen.“

 

Version 2