Von Andreas Schröter

Als die Geschichte begann, die ich Ihnen hier erzählen will, hatte ich meine Philip-Marlowe-Phase. Sie wissen schon, Humphrey Bogart in dem Film „Tote schlafen fest“, den kein Aas verstanden hat. Egal, ich saß also ständig in meinem auf 30er-Jahre gemachten Büro, trank Whisky und rauchte Zigarre.

Meine Frau Heike fand das blöd: „Warum musst du es immer so übertreiben mit deinen Ticks? Vor einem Jahr bist du nur mit Lichtschwert rumgerannt und hast salbungsvoll ,Die Macht sei mir dir‘ geraunt, und jetzt das. Hättest Du nicht wenigstens das Schild an der Milchglastür weglassen können? ,Philip Marlowe, Privatdetektiv‘. Was ist, wenn irgendein Spinner das sieht, reinkommt und dir einen Auftrag gibt?“

„Dann hätten sich zwei Spinner gefunden“, sagte ich genauso beiläufig und melancholisch, wie mein Freund Humphrey es getan hätte und nippte an meinem Whisky. Ich bin nicht sicher, dass das bei Heike irgendeinen Eindruck hinterließ.

Natürlich gab es nie die perfekte Illusion. Immer störte irgendwas: das Techno-Gehämmer von dem Pubertierer über uns, Heikes Frage, wo die verdammte Fernsehbedienung sei, oder das Plink der Push-Nachricht von spiegel.de, dass das Baukindergeld erhöht wird. Fuck!

Und dann kam er doch, der eine Moment. Nichts störte, ich nippte wieder an meinem Whisky, und der Rauch meiner letzten Havanna hing noch angenehm duftend in der Luft, als es an der Tür klopfte. „Ja, bitte“, sagte ich betont cool. Sicher war es wieder Heike.

Doch eine Gestalt mit dunkler Kleidung und einem so tief in die Stirn gezogenen Hut, dass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte, trat ein.

„Ja, bitte“, sagte ich überflüssigerweise noch einmal.

„Ich habe einen Auftrag für Sie.“

„Ääh“ – meine Coolness geriet etwas ins Wanken.

„Sehr guten Freunden von mir ist etwas Wichtiges gestohlen worden. Finden Sie es wieder!“ Der Titel eines Groschenromans, den ich neulich gelesen hatte, fiel mir unpassenderweise ein: „Die Stimme aus der Gruft.“

„Ääh …“, begann ich erneut.

„Meine Freunde hatten ihren Schatz, 100 Barren pures Gold, am Ende eines Regenbogens versteckt. In einer Gegend, die Wesenheiten wie Sie wohl Irland nennen. Finden Sie es wieder!“ Mit diesen Worten beförderte seine behandschuhte rechte Hand ein kleines Säckchen aus den verborgenen Tiefen seines Mantels und legte es auf meinen Schreibtisch. „Das ist eine Anzahlung. Bei Erfolg erhalten Sie dieselbe Menge noch einmal.“ Damit drehte er sich um und verließ mein Büro.

Ich weiß nicht, wie lange mein Mund offen stand und wie lange die Schockstarre dauerte, bis ich mich wieder bewegen konnte. Jedenfalls griff ich irgendwann nach diesem Säckchen und öffnete es. Es enthielt Goldstücke, die möglicherweise einige Tausend Euro wert waren. Mit ganz und gar nicht mehr cooler Stimme rief ich: „Heike?!“

***

Also Irland. Meine Geschichte geht in „Doyles Corner“, einem Pub an der Phibsborough Road in Dublin weiter. Ein weiteres Goldsäckchen konnte ich mir kaum entgehen lassen. Seitdem der Buchladen, in dem ich arbeitete, mir die Stunden gekürzt hatte, brauchten Heike und ich jeden Cent. Wenn man Vorurteile über Iren hatte, dann saß zwei Meter neben mir am Tresen jemand, der sie in nahezu grotesker Weise erfüllte: rote Haare, rote Bäckchen, ein freundliches Dauergrinsen im Gesicht, und die Unmengen an Whisky, die er sich einverleibte, schienen ihm rein gar nichts anzuhaben. Warum sollte ich nicht gleich hier mit meinen Recherchen beginnen?!

„Ääh …“, begann ich. Das schien sich zu meinem meistgebrauchten Wortfetzen zu entwickeln.

„Yep?“ – der Ire rückte sofort etwas näher heran und prostete mir zu.

„Ich, äh, bin ein Detektiv, Philip mein Name.“ Mist, das klang lächerlich, aber mein Gegenüber ließ sich nichts anmerken.

„Hi, ich bin Dave.“ Er hielt mir seine große Hand hin, und ich ergriff sie.

Ich beschloss, nicht lange um den heißen Brei herumzureden. „Was wissen Sie über das Ende des Regenbogens?“

Jetzt sah er mich doch etwas seltsam an, fand ich. Klar, die Frage war ja auch mehr als sonderbar. Doch er sagte: „Hast du kein Google, Bruder? Am Ende des Regenbogens verstecken die Leprechauns ihre Schätze, das weiß doch jedes Kind.“ Er lachte freundlich, nickte dem Barmann zu, hob zwei Finger und deutete auf mich und sich selbst. Na gut, dann würde ich heute eben in einer irischen Bar versacken. Es gibt Schlimmeres.

***

Leprechauns, Kobolde, in was für einen Blödsinn war ich da hineingeraten? Als ich am nächsten Tag um kurz nach fünf Uhr nachmittags wieder halbwegs klar denken konnte, beschloss ich, nun doch mal dieses „Google“ zu benutzen, wie es mir mein neuer Freund Dave empfohlen hatte. Eigentlich war es ja ein Stilbruch. Hatte Philip Marlowe etwa Google gehabt? Ich fand dies: „Leprechaun [ˈlɛprəkɔːn] (irisch leipreachán, luprachán, lucharpán, lucharmán, lucharachán etc.), im deutschen Sprachgebrauch oft auch einfach Kobold, ist ein Wesen der irischen Mythologie und gehört zu den Naturgeistern, die oft in Verbindung mit dem verborgenen Gold am Ende des Regenbogens gebracht werden. Der Leprechaun gilt neben der Harfe als Wahrzeichen Irlands.“

Dann gab ich „Forscher Leprechaun“ ein.

***

Inishmore ist eine Insel, die zu den Aran Islands gehört und von Dublin aus gesehen am anderen Ende Irlands liegt. Nach einer angenehmen Zugfahrt stieg ich in Doolin auf die Fähre, und mein ganz persönliches Waterloo begann: Die Wellentäler des an diesem Tag recht wilden Atlantiks waren definitiv nichts für meinen Magen. Ich war wohl der einzige Passagier, der gleich mehrere der angebotenen Kotztütchen brauchte. Meine Philip-Marlowe-Coolness war zwischenzeitlich komplett im Eimer – oder im Tütchen, ganz wie Sie wollen.

***

Der Koboldforscher Shane Kavanagh hauste in einer windschiefen Hütte weitab von jeglicher Zivilisation. Ich fragte mich, wie man in einer solchen Einöde leben konnte. Am Telefon war er kurz angebunden gewesen und hatte nicht besonders freundlich gewirkt. Dennoch war er schließlich einverstanden gewesen, dass ich ihn für ein paar Fragen kurz besuchen dürfe. „Aber wirklich nur kurz, höchstens eine Viertelstunde“, hatte er gesagt. Ich fragte mich, was er in dieser Wildnis nur wenige Schritte entfernt von Klippen zu tun hatte, hinter denen der Ozean geräuschvoll tobte.

Hinter der Haustür empfing mich ein modriger, nach Fäulnis riechender Gestank. Ich fragte mich, ob hier seit Jahren nicht gelüftet worden war oder ob das der ganz normale Geruch dieses abbruchreifen Hauses war.

Kavanagh hatte mich auf ein schimmelig wirkendes Sofa gebeten und mir einen Tee angeboten, von dem ich ganz sicher nicht mehr als den ersten widerwärtig schmeckenden Schluck trinken würde.

„Nun“, antwortete er jetzt mit hoher Fistelstimme auf eine meiner Fragen, „Leprechauns, oder Kobolde, wie Sie sie nennen, sind äußerst verschlagene Wesen. Man sollte ihnen mit äußerster Härte begegnen.“ Ich glaubte nun, ein bösartiges Grinsen auf seinem zerfurchten Gesicht zu erkennen. „Ein Normalsterblicher“, fuhr er fort, „hat keine Chance, das Ende des Regenbogens zu finden, wo sie ihre Goldschätze verstecken. Da müssten Sie schon eines dieser Biester fangen …“

In diesem Moment vernahm ich ein undefinierbares Geräusch – wie ein leises Pochen, das aber zu regelmäßig erklang, als dass es von einem Tier oder gegen die Hauswand schlagenden Ast hätte stammen können.

Shane Kavanagh erstarrte.

„Wohnt hier noch jemand?“, fragte ich.

„Nein, wieso?“, entgegnete Kavanagh und goss sich dabei mit fahrigen Bewegungen eine weitere Tasse Tee ein.

„Woher stammt dann dieses Geräusch?“

„Ich höre nichts“ – der Möchtegern-Koboldforscher war aufgestanden und rumorte an einer Anrichte herum. Für mich wirkte es so, als wollte er nun seinerseits Geräusche produzieren, die das Pochen übertönten.

Und das war der Moment, der ihn mir nun endgültig verdächtig machte. Wie Sie wissen, besitzt jemand wie Philip Marlowe eine Waffe. Ich hatte keine, aber immerhin eine Spielzeugpistole, die ich mir in Dublin besorgt hatte und die ich vor dem Rückflug ganz sicher irgendwo entsorgen würde. Ich hatte keine Lust auf Diskussionen mit dem Sicherheitspersonal am Flughafen. Jetzt war sie allerdings äußerst hilfreich. Shane Kavanagh blickte mit listigen Augen darauf, und ich konnte förmlich sehen, wie er nach einem Ausweg suchte. Sein Problem war: Er fand keinen.

„So, Freundchen, wir werden uns jetzt auf die Suche nach diesem Geräusch machen“, sagte ich und dirigierte ihn mit der Waffe in die Richtung, aus der ich glaubte, es gehört zu haben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Kavanagh vergeblich versuchte, mich weg von dem Pochen zu locken, standen wir endlich im Keller vor einer schweren Eichentür.

„Aufmachen“, befahl ich. Kavanagh wand sich und gab vor, keinen Schlüssel für diese Tür zu haben. Es dauerte weitere zehn Minuten, bis meine vermeintliche Pistole ihn endlich doch überredet hatte. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf einen leeren Raum frei. Das heißt, er war nicht ganz leer. In einer Ecke hockte ein Männchen, das vielleicht so groß war wie ein fünfjähriges Kind. Es trug Zipfelmütze, Vollbart und einen grünen Wams.

***

Ein paar Wochen nach den Ereignisse auf Inishmore hatte ich das zweite Säckchen Gold in den Wind geschrieben. Der ominöse Fremde würde nicht mehr kommen. Sehr ärgerlich. Meine Philip-Marlowe-Phase war inzwischen in die Star-Trek-Phase übergegangen. Ich hatte mein Büro so umgebaut, dass es wie die Brücke der Enterprise wirkte, und saß in der typischen, einteiligen Kluft der Besatzungs-Mitglieder und mit angeklebten Mister-Spock-Ohren an meinem Schreibtisch, als es klopfte.

„Herein“, sagte ich und weiter – ohne mich umzudrehen: „Heike, ich hab dir schon tausendmal gesagt, dass ich nicht gestört werden will.“

Doch es war nicht Heike. Es war eine düstere Gestalt mit tief ins Gesicht gezogenem Schlapphut, die mir wortlos ein Säckchen auf den Tisch legte und genauso wortlos wieder verschwand. Falls dieser Gast sich über meine Veränderung gewundert hatte, hatte er das gut verborgen.

In dem Säckchen befand sich eine Handvoll pures Gold.