Von Miklos Muhi

»Komm doch, das macht Spaß!«, meinte Klaus vor einer Woche. Ich habe ihm vertraut und bin gekommen. Er ist nicht aufgetaucht. Ich habe sogar meinen heutigen Arzttermin vorverlegen lassen und bin aus der Praxis erst zur Apotheke, dann hierhergeeilt. Und jetzt das …

Es ist laut. Das Essen im Buffet ist miserabel. Von all diesen, auf der Party anwesenden Menschen, die ich ohne jegliche Diskriminierung, gleichermaßen, bedingungslos und abgrundtief hasse, kenne ich niemanden.

Die Bar in der Mitte des Raumes sieht teuer aus. Alles glänzt, eine raffinierte Beleuchtung hebt die edlen Etiketten hervor. Mein Jahresgehalt würde nicht ausreichen, um das ganze Gesöff hier zu kaufen.

Man unterhält sich aufgeregt. Die Blicke tasten das Jagdfeld ab. Wen abschleppen? Wie stehen die Chancen? Ob er mich bemerken wird? Alles unausgesprochene Fragen. Man sagt so etwas nicht laut. Das gehört sich nicht.

Das ist doch alles dämlich, denn es gibt immer ein Morgen. Es meldet sich mit einem Kater und der verzweifelten Suche nach einer Apotheke, die offen hat und wo man nicht unbedingt auf ein Rezept für Pille danach besteht.

In einer dunkleren Ecke steht ein Sofa, das seine besten Tage schon hinter sich hat. Dahinter sieht man stilisierte Engelsflügel aus grellweißen LED-Streifen. Allmählich entdeckt man, was für eine Gelegenheit sich da bietet. Eine weitere Schlange formt sich. Man macht Selfies und Gruppenfotos.

Die Zeit vergeht langsam. Zwischen traurigen Beobachtungen zu den Untiefen menschlicher Blödheit und Widerwärtigkeit überlege ich mir, die Party zu verlassen. Die ganze Rennerei war für heute Aufregung genug.

Draußen wird es dunkel. Die Schlangen vor dem Bartresen werden länger. Bald wird das Essen besser schmecken. Das Schöntrinken funktioniert bei Lebensmitteln genauso wie bei potenziellen Sexualpartnern.

Ich entscheide mich, vorerst zu bleiben. Habe doch alles dabei, um mir einen Abend voller bewegender Erinnerungen zu gestalten.

Da niemand mich kennt und anspricht, steht es mir frei, herumzugehen und das Lokal unter die Lupe zu nehmen. Ich fange mit der Unisex-Toilette an. Modern, glänzend und sieht teuer aus. Die Absperrungen der Kabinen haben einen Designfehler in der Technik. Perfekt.

Ich verbringe etwas Zeit in einer Kabine. Es gibt sogar Klopapier. Nachher wird gespült. Wir leben in einer Zivilisation, verdammt nochmal!

Wieder zurück zur Party mit kleinen Päckchen in den Taschen werde ich Zeuge, wie die Kellner das Buffet auffrischen. Das neue Angebot sieht genauso erbärmlich aus wie das alte.

Eins nach dem anderen inspiziere ich die Bleche mit den Appetithäppchen. Ein bisschen unauffälliges Nachwürzen schadet nie.

Die meist angeheiterten Gäste entdecken, dass es schon wieder etwas zu futtern gibt. Bis das Publikum sich an die neu aufgetischten Antipasti macht, beobachte ich, wie die Kellner am anderen Ende des Raumes neue Ladungen Hamburger und Spaghetti mit unidentifizierbarer Soße auftischen.

Ist das Personal weg und die Gäste mit den Antipasti beschäftigt, würze ich das frisch aufgetischte Essen.

Ich begebe mich zurück zur Toilette. Sie ist leer. Eine nach der anderen schließe ich die Kabinen und schlage von außen mit der Faust an die richtige Stelle der Schließmechanismen. Es knackt und schnappt jedes Mal. Die Letzte lasse ich offen, der Rest sieht belegt aus.

Ich habe fertig, wie man das so in München hin und wieder zu sagen pflegt. Die Vorstellung fängt bald an. Auf dem Zettel stand etwas von zehn bis zwanzig Minuten.

Die Tische werden zügig leergefuttert. Wie vermögen nur diese Menschen, solchen Fraß in sich hineinzustopfen?

Es wird lauter. Es wird getanzt, geflirtet und auf die Ankunft des Prinzen auf einem weißen Ross gehofft. Der sitzt an der Bar und schüttet sich zu. Später wird sich das alles klären, wie in einer naiven romantischen Komödie à la Hollywood. 

Oder eben nicht. Hin und wieder gibt es dringendere Aufgaben. Ein Blick auf die Uhr rät mir, wachsamer zu sein.

Bei den Patienten beobachten wir einen atypischen Gang zusammen mit dumpfen Schmerzen in der Bauchgegend. Partnersuche oder Komasaufen sind indiziert, aber es gelingt ihnen nicht, die volle Aufmerksamkeit auf die aktuelle Aufgabe zu lenken. Das Diagnostik-Team des Princeton–Plainsboro Universitätsklinikums lässt grüßen.

Ich bin erstaunt, wie schnell Menschen in der Lage sind zu laufen. Bald sieht die Party wie ein mangelhaft organisiertes Rennen aus.

Liebe Zuschauer, es ist kaum zu fassen! Alle Athleten verzichten auf das Aufwärmen und stürzen sich ins Rennen. Hier gibt es keinen Startschuss, nur das Endergebnis zählt. Je früher man am Ziel ist, desto weniger peinlich wird das Ganze. Die Spannung ist so dicht und hart, im Gegensatz zu anderen Materialien, die in diesem Rennen eine entscheidende Rolle spielen, dass man sie mit einem Messer zu schneiden vermag. Ein klasser Auftakt für eine Reportage. Hoffentlich wird sie nie jemand zu sehen bekommen.

Ich höre Fluchen aus der Toilette. Es klingt mit der Zeit aggressiver. Es kracht. Personal und Sicherheitsdienst rennen hinein. Der Chefkellner läuft mit einem Handy telefonierend herum.

Ist es schon so spät? Wahnsinn, wie die Zeit vergeht! Der Tag war lang. Das muss für heute reichen.

Ich stehe auf und verlasse unbeachtet das Lokal. Die Straßen sind wie leergefegt. Einige Blocks weiter rufe ich ein Taxi. In der Ferne zerreißen Einsatzhörner die hauchdünne nächtliche Stille der Innenstadt.

Morgen fahre ich wieder zur Apotheke. Das Abführmittel, das mein Arzt mir verordnet hat und das ich heute abgeholt habe, ist schon alle. Die Kapseln sind zwar in der Kanalisation gelandet, aber auf das weiße Pulver darin (in kleinen Päckchen aus Klopapier ideal zum Nachwürzen) kommt es an.

 

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