Von Jochen Ruscheweyh

„Das lief doch recht porno bis jetzt“, bemerkt Steffi, als ich den Finger auf Melitta Seifferts Klingel leg. „Vier von sechs, und keine zehn Minuten gebraucht.“

 

Was Steffi meint, is‘ Nachbarn-Vorwarne, denn Freitag Abend hab ich meine Band plus Zubehör zum Chili-Essen zu uns eingeladen. Eigentlich hat Steffi absolute Minusböcke drauf, aber weil mein bester Freund und Basser Teschke letzten Monat mit Flaamse Fritten für alle bei ihm und Babsi zuhause vorgelegt hat, interpretiert Steffi, das wär ‘ne Kampfansage erster Kajüte, die wir uns nich’ bieten lassen könnten und Chili wär ’ne Septillion mal kulinarischer als schwule frittierte Börde-Knollen. Was ich an der Sache nich‘ kapier, is‘, dass Steffi genauso heftig mit Babsi befreundet is‘, wie ich mit Teschke, wir Jungs uns aber nich‘ alle Nase lang batteln müssen. Aber vielleicht is‘ das so ‘n Frauen-Ding, das man nich‘ hinterfragen sollte.

 

Da Steffi noch nich‘ solange bei mir wohnt‘, weiß sie nich‘, welche illustre Freundschaft mich mit der BestAgerin M.Seiffert verbindet.

„Ah, Sie sind also die zugezogene Verlobte von Herrn Wuttke, kommen Sie rein, ich habe Reibekuchen gemacht.“

 

Vierzig Minuten später hab ich akutes Sodbrennen und Steffi winkt zweckloser Weise ab, als Melitta bestimmt: „Einen können Sie noch!“

Und das sechste Doppelgedeck aus Frühstückskorn und Reibekuchen auftischt.

Logo hat Melitta kein Problem damit, wenn‘s ‘n bissi lauter wird, verbalisiert das jedoch erst nach Gedeck Nummer sieben. Gibt uns aber immerhin noch den Tipp, wir sollen aufpassen, wenn wir bei den verschrobenen Hallhubers schellen, weil, die wären nämlich in letzter Zeit nich‘ ganz richtig im Kopf.

Was ich persönlich nich’ so richtig einschätzen kann, weil ich bisher außer Tach und Auf Wiedersehen noch nie was mit denen gequakt hab und die bisher bei jeder meiner Partys beide im Krankenhaus waren.

Na, jedenfalls könnt Steffi jederzeit mal auf ’n Mariacron bei Melitta vorbeischauen und dann würd sie ihr die Geschichte erzählen, wie ich damals bei Melitta meinen Moralischen gekriegt hab, als Steffi mit mir Schluss gemacht hat.

 

Im Hausflur entscheiden wir uns spontan gegen den noch offenen Hallhuber-Besuch und pro Bett, Wärmflaschen und Nahrungskarenz bis zum Morgengrauen.

 

„Was meinte sie eigentlich mit dieser Story, als ich mit dir Schluss gemacht hab?“, fragt Steffi im Bett.

„Tausch die Reibekuchen mit Apfelpfannkuchen und den Korn gegen Weinbrand, dann weißt du‘s“, sag ich.

Im Halbdunkel seh ich Steffi ’n Moment überlegen, ehe sie mir die Hand auf den Bauch legt und voll zudrückt.

Ich kann grad verhindern, dass mir die Kartoffelpampe den Hals hochschießt und frag: „Ey, wieso das denn jetzt?“

Steffi dreht sich um und gähnt: „Keine Ahnung, aber irgendwie hab ich das Gefühl, dass wir jetzt quitt sind.“

 

 

Es gibt kaum was Geileres, als wenn die komplette Hütte nach Paprika, Bohnen und Tabasco mieft. Chili is‘ Metal. Echt jetzt.

„Also, wir holen unser Gehacktes grundsätzlich nur bei Zander“, provoziert Babsi mit Erwähnung des Edel-Metzgers, nachdem sie ihren Gumpen in den Chili-Bottich gehalten hat.  Ich will grad was kontern, als es klingelt. Ich geh aufdrücken, hör aber gleichzeitig durch die Sprechanlage die genervte Stimme von meinem Gitarren-Sidekick Schröder: „Wir pressen uns hier unten ‘n Wolf, will der Herr Graf nicht mal runterkommen und die Tür aufschließen?“

Ich spontan-realisier, dass Sommer is‘ und hell, es also keinen Grund gibt, dass jemand Fort Knox mäßig auf Schließer macht. Egal. Ich also inne Küche, Steffi Bescheid sagen, dass ich runter, aufschließen geh, und krieg noch mit einem Ohr mit, wie Babsi zu Steffi sagt, dass sie‘s echt überlebensgroß finden tut, dass Steffi kein Prob damit hat, dass Schrö Keisha mitbringt, so von wegen, weil ich ja damals mit Keisha gepoppt hätte. Steffi sieht mich und feedbackt Babsi – offensichtlich extralaut -, dass wir unser Chili ausschließlich mit vegetarischem Sojahack pimpen. Ich denk, hmm, o.k., bring meinen Türöffner-Spruch an und verpiesel mich nach unten.

 

„Haste Schiss, dass dir einer deinen Trethobel klaut?“, schiebt sich Schrö an mir vorbei, was bewirkt, dass Keisha und ich uns von Null auf Hundert gegenüberstehen.

Wuttke, the Frost und Keisha, die Schokoleichentorte. Wobei Steffis Kosename für Keisha heute mehr als 150 Pro passt, weil Letztere so gothic evil gestyled is’, als wollt sie den Papst, Gott und sämtliche Erzbischöfe gleichzeitig beerdigen.

Ich will grad was sagen, als sich die Wohnungstür Parterre links öffnet und Hallhuber himself auf uns zu geoberförstert kommt und gleich losspotzt, was uns einfallen tät. Wobei mir tatsächlich was einfällt: nämlich, dass wir nich‘ mehr bei H-hubers Bescheid gesagt haben, dass es heute lauter werden könnt. Was ich aber auch für vernachlässigenswert halt, weil das einzige, was bis jetzt laut is‘, is‘ er selbst.

Seine Frau klärt uns auf: „Wir kommen aus Münster …“

Schrö unterbricht von einer halben Treppe höher: „Oh, wirklich? Das tut mir leid!“

Misses Hallhuber vollendet ihr Credo: „Und wir sind Katholiken und das, was Sie da“ – sie zeigt auf Keish – „tragen, das ist eine impertinente Gotteslästerung.“

Ich guck meine Hausbewohnerin an und denk dasselbe von ihrem fettriefenden Fünfziger Jahre Hausfrauenkittel. Was mich an der Sache aber penetrant nervt, is’ dieses verfickte Klischee von Jugend als Antichristen, und dass die meisten meiner Metal-Kumpels und Kumpelinen das auch noch erfüllen, obwohl meist nix dahintersteckt außer postpubertärer Provoziere. Als angehender Pädagoge FH weiß ich jedoch um den entwaffnenden Charme einer gekonnt gesteuerten Deeskalation und UN-botschafte: „Ich kann Ihre Sorge nachvollziehen, aber ich habe einen Grundsatz, ich lasse nur praktizierende Christen über meine Türschwelle, daher können Sie versichert sein, dass alle meine Gäste heute abend koscher … äh … ich meine reinen Gewissens sind.“

Hallhuber the Man scheint nachzudenken.

Hallhuber the Misses beobachtet ihn dabei.

Hallhuber the Dackel kommt latent knurrend und bauchmäßig extrem tiefergelegt aus der kalt-knoblauchig ausdünstenden Exorzisten-Bude gerobbt.

Hallhuber the Misses piekst ihrem Gatten in die Seite: „Hans, so sag doch was!“

Hallhuber the Man sagt: „Ich muss nachdenken.“

Die eigentlich kaum steigerbare Groteskerie der Situation wird jäh getoppt, als mein Shouter Pavarotti nebst On/Off Frau Helen alias die deutsche Helga in den Hausflur kommen, beide ’n Stifts inner Hand – logo, wir würden nie mit ’nem anderen Pils vorglühen – er im „Hörde ist satanisch“-Shirt (in Anlehnung an das alte Hoeschianer-Quartiers-Motto Hörde ist symphatisch), sie im “Welcome to hell“-Longsleeve mit Pentagramm und Ziegenschädel drauf. Und Pavarotti: „Na, ihr Fotzer? Allet greti poppeti?“

You never get a second chance to make a first impression.

 

Keisha steht ziemlich unsouverän da. Irgendwie so unbeteiligt, als wär sie eine von ihren Tuschezeichnungen, obwohl‘s ja auch um sie geht.

Möglicherweise gehört das zu ’nem bizarren Gesamtplan, genauso wie was mit Schrö anzufangen und mir vorher die gefakte Story von ihrem Schwangerschaftsabbruch aufzutischen. Falls ja, dann kapier ich weder die Motivation, noch was für ‘n Ergebnis sie sich davon erhofft. Erinnert mich aber spontan dran, wie die unerreichbare Granaten-Perle meiner Schulzeit damals im Pflichtfach-Volleyball aus sportlicher Inkompetenz ‘n Nervenzusammenbruch mitten im Unterricht gekriegt hat und damit sieben Stufen im meiner Gunst gesunken is‘. Klar, is’ das oberflächlich von mir gewesen, aber hey, ich war ’n Kiddy.

Hallhuber the Misses piekst ihrem Gatten jetzt mit gesteigerter Frequenz in die Seite.

Der sich daraufhin den Van Helsingeresken Satz rauspresst: „Früher“ – er drohwedelt mit seinem Finger – „hätte man euch alle auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“

 

Für ‘n Mikromoment nehm ich’s wörtlich und seh Keish an ’n Pfahl gebunden, züngelnde Flammen unter ihr. Aber wie ich so drüber nachdenk, muss Pavarotti daneben, der Helen in verstrahlter Rübe tatsächlich ‘n Kind gemacht hat, und Schrö, weil er im Prinzip immer ‘n egoistisches Blag geblieben is‘ und sich ’n Scheiß um seine Narcolepsie-Medikation kümmert. ’n Platz is’ auch für Teschke reserviert und seine bepisste Allwissenheit, Beckmann, weil er der arroganteste Drum-Arsch von Dortmund is’, Steffi und Babsi, wegen ihrer Girlie-Battles und einer inner Mitte für mich, Wuttke, weil ich ständig für mich reklamier, allzeit Ober-Durchblick zu haben.

Wir sind alle so gottverdammt unvollkommen und statt zu unsern Fehlern zu stehn, leugnen wir sie und machen einfach weiter business as usual.

Wie schon der gute alte Ronnie James festgestellt hat:

It goes on and on and on, heaven and hell.

Vielleicht wär das heute ‘n guter Zeitpunkt, alles auf Null zu stellen.

Verantwortung für seine eigene Scheiße zu übernehmen.

 

Während ich noch so am Reflektieren bin, zückt Hallhuber the Misses ‘n schäbiges Konfirmationskreuz und latscht damit auf Keisha zu.

Das ist der Moment, wo die weltbeste Steffi auf der Bildfläche erscheint, sich vor Keish stellt und ‘ne Ansage Richtung Hallhubers macht: „Gute Frau, ich möchte nicht, dass Sie meine Gäste beleidigen.“

Aber die so Belehrte gibt sich weniger belehrt, sondern fuchtelt weiter mit ihrem Konfi-Fix in der Luft rum. Worauf Steffi sich ihre knochige Senioren-Hand grabscht, sich das Kreuz an ihre eigene Stirn drückt und sie aufklärt: „Sie sind so verdammt naiv, Kreuze wirken nich‘ bei Vampiren der 2.Generation, kann man easy bei John Sinclair nachlesen.“

Zeit für ’n gepflegten Auftritt von Hallhuber the Psychodackel, der an Steffi hochspringt und loskläfft wie Sau.

Sie beugt sich runter und zischt ihm was entgegen, das wie Shake my banta hoe! klingt.

Was bewirkt, dass die Töle den Schwanz einzieht und sich winselnd in die Knoblauch-Butze zurückzieht.

Steffi ihrerseits legt gönnerhaft as gönnerhaft can den Arm um Keishas Schulter, dirigiert sie die Treppe hoch und sagt so herzerwärmend, dass ich‘s ihr fast abnehmen könnt: „Prima, dass ihr da seid, ich freu mich.“