Von Ingo Pietsch
Es war ein ungemütlicher Oktoberabend, den sich Jared und Fiona ausgesucht hatten.
Den abschließenden Sparziergang, den sie wie jedes Jahr zu ihrem Hochzeitstag geplant hatten, würde wahrscheinlich ins Wasser fallen.
Um ihre Kinder brauchten sie sich keine Sorgen machen, denn es wohnten nur noch zwei von dreien Zuhause und das jüngste war schon sechszehn.
Deswegen würde es ein völlig entspanntes Dinner zu zweit im griechischen Restaurant werden.
Jared hielt seiner Frau die Tür auf und so entkamen sie dem stürmisch verregneten Draußen in ein entspanntes Ladenlokal.
Die Wärme eines offenen Kamins schlug ihnen entgegen und ließ ihre Wangen erröten.
Jared nahm Fiona den Mantel ab und hängte ihn an die Garderobe.
Fiona lächelte ihn an, da sie es nicht mehr gewohnt war, auf Händen getragen zu werden.
Sie trug ein schlichtes, aber trotzdem aufreizendes Kleid und er ein Hemd mit dunklen Streifen und dazu eine helle Jeans.
Jared vermisste dieses leicht provokante, das in den Ehejahren ein wenig gelitten hatte.
Fiona fragte nach dem Tisch, den reserviert hatten. Er lag in der Nähe des Kamins, aber es war dort nicht zu heiß.
Fiona stand einen Moment da, bis Jared die Einladung, ihr den Stuhl zurechtzurücken verstanden hatte.
Sogleich kam die Kellnerin mit zwei Ouzo und den Speisekarten heran.
Jared winkte ab: „Danke, kein Alkohol.“ Wohlwissend, dass der Abend nach dem Essen zuhause noch weitergehen würde und er schon oft schlechte Erfahrungen damit gemacht hatte.
„Stopp, ich nehme beide. Mein Mann muss noch fahren“, sagte sie und blickte ihm dabei tief in die Augen.
Jareds Augenbrauen zuckten hoch, als glaubte er, Blitze in ihren Augen zucken zu sehen. So kannte er sie gar nicht.
„Was darf es zu trinken sein?“, fragte die Kellnerin, die Jared einen Hauch zu freundlich anlächelte, wie Fiona fand.
Jared erwiderte das Lächeln.
„Für mich bitte eine Fanta.“
„Und für mich eine Traubenschorle.“ Leicht aufgebracht begann Fiona in ihrer Karte zu blättern.
Sie schauten sich die Gerichte an und legten die Karten beiseite.
Einen Moment lang schwiegen sie und lauschten der instrumentalen griechischen Musik im Hintergrund.
„Und, was hast du gewählt?“, wollte Jared wissen.
„Ich nehme den Lachssalat und du?“
„Die Geflügelplatte. Das Schweineschnitzel vertrage ich nicht so gut, obwohl ich es gerne esse.“
„Das sage ich doch andauert, dass Schwein auch nicht gut für die Leber ist.“
„Ja, vermutlich hast du Recht. Wie immer.“
„Was heißt, wie immer?“, Fiona merkte, wie ihr Herz bis zum Hals schlug.
Jared versuchte ihrem Blick Stand zu halten, aber er konnte es nicht.
„Weil du mich ständig mit Gesundheitstipps bombardierst.“
„Du hast doch selbst gesagt, dass du mehr Fitness machen und abnehmen willst.“ Fiona schaute auf seinen Bauch. Jared war zwar nicht übergewichtig, aber seine Muskeln waren einfach nur falsch verteilt.
„Und du jammerst andauernd rum, wie alt und faltig du geworden bist, obwohl du immer noch wahnsinnig attraktiv bist“, den zweiten Teil des Satzes hatte mehr geflüstert, um ihm mehr Ausdruck zu verleihen.
„Du schmeichelst mir nur, damit ich nachher mit dir schlafe.“
Beleidigt lehnte sich Jared zurück und nippte dabei an seiner Fanta. „So, wie du es gesagt hast, ist es eher eine Strafe für dich.“
„Das sollte jetzt nicht falsch rüberkommen“, sagte sie beschwichtigend, „aber ich habe meine Tage gestern bekommen. Wenn dir ein bisschen Blut nichts ausmacht, ist es kein Problem.“ Auch sie sehnte sich nach Zweisamkeit.
Sie konnte erkennen, dass in seinem Kopf arbeitete, da beide wussten, dass jetzt Intimitäten ausfallen würden, die sie beide gerne mochten.
Die attraktive Kellnerin holte die Karten wieder ab und nahm die Bestellung auf.
Jared versuchte ihr nicht hinterherzusehen.
„Das junge Ding sieht gut aus. Glatte Haut, keinen Hängebusen, keine Schwangerschaftsstreifen.“
„Ich bin ja nicht blind, aber ich liebe nur dich.“ Jared merkte sofort, dass das die falsche Antwort gewesen war.
Fiona hatte sich auf diesen Abend gefreut und gleichzeitig Angst davor gehabt, dass so verlaufen würde.
In den letzten Monaten, wenn nicht sogar Jahren, hatte sich Jared immer mehr zurückgezogen und völlig unnötige Überstunden gemacht, denn er verdiente ziemlich gut.
Das Gleiche empfand Jared. Fiona war mit einem Coaching-Kurs und Selbstfindungstrip so in ihr Leben verstrickt, dass sie ihn gar nicht mehr bemerkte und er sich nur noch wie Haushaltshilfe fühlte, die als Belohnung ein Mal im Monat Sex bekam. Wenn Fiona nicht Kopfschmerzen hatte oder der Tag anstrengend oder Vollmond war.
Sie meinte auch, sie könnte nur in Stimmung kommen, wenn sie vorher redeten und sie sich dann entspannen konnte.
Das mochte ja alles sein. Er erwartete auch nicht, dass sie auf Knopfsprung Lust hatte. Aber mal ein flüchtiger Kuss und einfaches Berühren waren auch nicht mehr drin.
Er kam ihr so gut es ging entgegen und entlastete sie mit den Kindern und dem Haushalt, damit sie alle Freiheiten hatte, die sie brauchte.
Aber es schien insgeheim, was beide nicht wahr haben wollten, dass sie sich auseinander gelebt hatten.
Fiona sehnte sich nach einem Mann, der nicht nur zuhörte, sondern auch seine Gefühle mit ihr teilte. Nur so konnte sie sich öffnen. Sie hatte eine schwere Kindheit und Jugend gehabt, die sie jetzt nach und nach verarbeiten musste und wollte.
Die Bestellung kam und sie aßen schweigend, da sie wussten, dass der Abend gelaufen war.
„Hast du eine Affäre?“, fragte Fiona ohne zu zögern, nachdem sie fertig war und die Traubenschorle geleert hatte.
Jared wartete einen Augenblick zu lang und äußerte sich ausweichend: „Wie kommst du darauf?“
„Warum bist du immer länger im Büro? Und wo bist du? Ich habe dich abends einmal besuchen wollen und du warst nicht da.“
„Ja, das stimmt, ich bin nicht immer länger geblieben, weil ich noch anderweitig zu tun hatte.“
„Weil du ein Verhältnis mit deiner Sekretärin hast. Die ist genauso ein Flittchen, wie diese Kellnerin, der du immer so hinterherstarrst.“ Fionas Stimme hatte eine Tonlage erreicht, dass alle zu ihr hinschauen würden. „Ich habe das Parfüm deiner Liebessklavin an deinem Hemd gerochen, bevor ich deine widerwärtige Dreckwäsche gewaschen habe.“
Jared war eigentlich zum Lachen zumute, hatte sie ihn also erwischt, obwohl er dieses Versteckspiel schon über ein Jahr durchzog. Was sie konnte, konnte er auch.
So, als hätte die Kellnerin gehört, dass sie gemeint gewesen wäre, kam sie zum Tisch und räumte ab.
„Wir möchten zahlen“, herrschte Fiona die junge Frau mit einer Grimasse an, die sie irritiert wieder verschwinden ließ.
„So Enola Holmes, jetzt werde ich dir mal etwas über dich verraten: Mit deinem egoistischen Gehabe, deine Ganzheit zu finden, bringst du die Familie auseinander. Ständig malträtierst du uns mit deinen Guru-Weisheiten, die du irgendwo im Internet aufgelesen hast. Und außer reden und eine paar erzwungenen Streicheleinheiten, läuft zwischen uns auch nichts mehr. Du willst gar keine Zeit mehr mit mir verbringen, weil du sonst aus dem Gleichgewicht gerätst. Wahrscheinlich fährst du zu gar keinen Mentoring-Veranstaltungen, sondern triffst dich heimlich mit einem Yoga-Lehrer.“
Das hatte gesessen.
Eigentlich wollte Fiona aufspringen und einfach zur Tür hinausgehen. „Woher weißt du, dass ich einen Yoga-Lehrer habe?“
Jared spielte mit seinem Tisch-Set und sah verlegen auf seine Finger. „Weil ich Angst um unsere Ehe hatte und dir einmal heimlich gefolgt war.“
Fiona blieb ausnahmsweise gelassen, obwohl es in ihrer Schläfe pochte.
„Nachdem ich deine Sachen auf weitere Indizien auf einen Seitensprung durchsucht hatte, war ich voller Sorge in dein Büro gefahren. Wahrscheinlich wollte ich es nicht wahr haben und musste es selbst sehen.“ Fiona war kleinlaut geworden, obwohl beide nichts offenbart hatten.
„Da wir beide jetzt die Wahrheit über uns kennen, denke ich, dass wir das Zuhause weiter klären sollten.“
Die Kellnerin kam mit der Rechnung und Fiona zahlte. Sie überlegte, kein Trinkgeld zu geben entschied sich aber großzügig zu sein.
„Danke, Nikki“, verabschiedete Jared sich von ihr.
„Immer wieder gerne“, sagte sie und schob ihm noch einen Umschlag zu.
Fiona liefen die Tränen über die Wangen und sie war bewegungsunfähig.
„Hast du auch was mit ihr gehabt?“, brachte es in ihr Enttäuschung hervor.
„Bevor wir dies alles klären, möchte ich dir das zum Hochzeitstag schenken. Und ich bin dir eine Entschuldigung schuldig. Nach unseren Aussprachen ist es zwar eher unpassend. Öffne bitte den Umschlag“, erklärte Jared ruhig und bestimmt.
Fiona konnte kaum etwas sehen, als sie den Brief aufriss. „Sind da Scheidungspapiere drinnen?“
Ungläubig legte sie den Inhalt auf den Tisch.
Jared lächelte: „Zwei Wochen Griechenland. All inclusive. Mit Fahrten, Vollpension und Wellnesspaket. Ich habe Überstunden gemacht, damit wir uns es leisten können. Nikki arbeitet auch nebenbei in einem Reisebüro und hat mich persönlich beraten, weil sie aus Griechenland kommt. An mehreren Abenden, damit es nicht so auffällig ist. Und meiner Sekretärin habe ich deswegen früher frei gegeben, bei voller Bezahlung. Und deswegen hat sich aus Versehen mit einer Umarmung bei mir bedankt. Da läuft nichts zwischen uns.“
Fiona lachte vor Freude und Scham gleichzeitig.
„Weißt du eigentlich, warum ich Yoga mache? Weil ich für dich gelenkiger sein möchte. Du wünscht dir Dinge von mir, dich ich im Moment körperlich und geistig nicht leisten kann. Ich fühle mich in meinem Körper einfach nicht mehr wohl. Und ich habe aus meiner Vergangenheit noch einiges Aufzuarbeiten, das ich akzeptiert, aber noch nicht ganz überwunden habe. Das braucht noch seine Zeit und lässt sich nicht so einfach abhaken. Für mich ist Kommunikation etwas, dass mich vergessen und überwinden lässt. Es tut mir leid, wenn du darunter so leidest.“
Jared nahm Fionas Hände und sagte mild: „Wir gehen jetzt nach Hause, kuscheln uns ins Bett, reden über diesen völlig misslungenen Abend und lachen hoffentlich darüber.“
Fiona wischte sich die Tränen weg: „Mal schauen, was aus dem Abend noch wird.“
1