Von Jochen Ruscheweyh

Ich komm in unsern Proberaum und irgendwie hängen alle um die große versiffte Couch rum, auf der Pavarotti liegt. Ich sag: „Ey, Alter, was is‘ passiert? Alles senkrecht?“

Schröder legt mir die Hand auf ‘n Arm und glotzt mich mit so ‘nem Pietätsblick an: „Ihm geht‘s wirklich dreckig, er hat sich Slayer leidgehört.“

Ich nick und heuchel Verständnis, obwohl mich die Pisse null interessiert, weil Slayer ‘ne überbewertete Kack-Band is‘ und sich sofort nach Reign in Blood hätte auflösen sollen. Außerdem, wenn man sich ‘ne Kapelle leidgehört hat, legt man halt ‘ne andere auf. Is‘ ja nich‘ so, dass es nur eine Metal-Band gibt.

 

Ich spiel mich etwas warm, während von der Couch noch ‘n paar Seufzer und Was soll ich denn jetzt machen – Gezeter kommen. Am liebsten würd ich rübergehen und Pavarotti eine reinhaun, damit Schicht is‘ und wir endlich anfangen können zu Proben, aber dazu bin ich irgendwie doch zu sehr Ex-Zivi.

Andererseits erhört der liebe Gott kleine Gebete sofort, weil just in dem Moment die Tür auffliegt und Helen, alias Die deutsche Helga, alias Pavarottis Ex-Ische reingeprescht kommt.

Uns beide verbindet immer noch das saure Band von Erbrochenem, seit ich ihr bei unserem Band-Trip nach GrecoLand ‘ne komplette Nacht beim Kotzen geholfen hab, als sie auf dem Höhepunkt ihrer Emesis gravidarum, wie wir Hebammen zu sagen pflegen, gewesen is‘ – ey, manchmal musste nur beim Doc ins Goldene Blatt reinlesen und schon lernste die geilsten Fremdworte, wenn’s auch nur für Kotzen is‘. Daher fühl ich mich zumindest verpflichtet, sie einmal kurz zu umarmquetschen.

Ich lass meine Charvel rockstar-like nach hinten rotieren – kann man mit kaum ‘ner anderen Klampfe machen, ohne dass der Gurt abflutscht – und streck die Arme aus. Aber Helen hat nur ‘n Jetzt nicht, Wuttke für mich übrig und marschiert straight zur Couch durch. Ich hör sie noch „Ich darf ma kurz?“ sagen, während sie Beckmann und Schrö zur Seite schubst und gleichzeitig zur heftigsten Schelle ever ausholt, die den Pave-Man beinah von der Couch fegt.

„Ey, wat … ?“, fasst er seine Fassungslosigkeit in Worte.

„Wenn du nicht langsam mit der Kohle für Lonna-Lindsey rüberkommst, scheiß ich dich beim Jugendamt an, is’ das klar?“

Schrö macht den Fehler, auf Pavarottis Slayer – Problem hinzuweisen: „Komm, lass ihn, er macht grad was Schweres durch.“

Darauf Helen, schon wieder beim Abmarsch: „Was willst du Antifa-Schwuchtel von mir? Mich anbumsen is’ keine Kunst, für seine Tochter zahlen aber schon?!“

Helens zugrundeliegende Gleichung is‘ zwar nich‘ grad romantisch, aber auch nich‘ so verkehrt, hat aber natürlich null mit der Antifa zu tun. Der passende Soundtrack zu ihrem Überfall: Ramones – Blitzkrieg Bop.

„Apropos Kunst“, wechselt mein bester Freund und Basser Teschke die Ebene, „wir können auf einem Art-Event einen Song spielen.“

„Genau einen Song?“, kommentiert Beckmann, steckt sich die Spitzen seiner Drumsticks in die Naselöcher und quakt verständlicherweise recht nasal weiter, „der explodiert dann europaweit und macht uns quasi zu sowas wie dem F.R.David des Metal?“

Pavarotti hält sich immer noch seine Schweinebacke, schafft’s aber immerhin, sich ’n „Wer is‘n dat?“ rauszupellen. Teschke darauf trocken wie ’n Großgebinde Mehl für Pizzerien: „Der hatte nur einen Hit, wenn du den verpasst hast, hast du Pech, weil er danach nie mehr in Erscheinung getreten ist.“

Pavarotti nickt und sagt nix, ’n untrügliches Zeichen dafür, dass er nich’ zugehört hat. Teschke fängt an zu berichten. Und je mehr Details ich hör, desto mehr Bock hab ich auf die Sache, genau wie damals, als Beckmann, Frankie, er und ich diesen Soundtrack zu dem Kurzfilm Die Andalusische Katze gemacht haben. 

„Keisha stellt da auch ein paar Bilder aus“, erklärt Teschke wie beiläufig, wirft mir aber gleichzeitig diesen Ich weiß, dass ihr mal zusammenwart, dass Steffi Keisha hasst und Schröder immer noch scharf auf sie ist, aber können wir bitte trotzdem da spielen?– Blick zu.

Keisha? Ich zuck mit den Schultern. Kein Prob für Wuttke the Frost.

O.k., zumindest tu ich so.

Is’ aber auch nebensächlich, weil Schrö Jack in a Box – mäßig hochplöppt und rumorakelt: „Der Mensch kann essen, aber ohne Kunst wird er nicht satt. Ich find, wir sollten es machen.“

Ich komm gar nich‘ dazu, die Grütze zu kommentieren, weil Pavarotti schon sein rosa Kack-Notizbuch, auf das ihm jemand zwei fickende Didl-Mäuse gemalt hat, rausholt und meint: „Man can eat, but only art will feed! Ey, um die Phrase bau ich ‘n 1a-Lyrik-Treppenhaus drumrum. Ohne Geländer.“

 

Zwei Stunden später hat der Pave-Man genau vier Stifts intus – logo, wir würden nie ’n anderes Pils beim Songwriting preschen – und zwei Zeilen in seinem Buch: Hironymus Mosh serves seven deadly sin cakes und censorship barbecued Dürers rabbit bloody black.

Ich klopf ihm auf ’n Rücken und sag: „Ey, Alter, barbecued bloody black, Respekt, das mit der Alliteration haste ja voll porno drauf!“ Weil ich nämlich ‘n ziemlich galaktischen Plan hab, den ich grad am Einleiten bin. Und here we go: „Was hältste davon, dir das für ‘n anderen Song aufzusparen? Ich hätte da ’ne atonale Synkopen-Folge, die du einfach als Laute shouten könntest, was prima mit ‘nem Riff harmonieren tät, was mir schon lange in der Rübe hängt.“

„Top Job, bin Diamanten Raub in Rio – mäßig volle Kanne dabei“, grinst der Pave-Man, wahrscheinlich lucky wie hulle, dass er sein Treppenhausversprechen nich’ einlösen muss.

Als Nächster kriegt Schrö seine Packung, als ich ihm das Riff präsentier, das aus gescratchten 32er Triolen besteht, bei denen zwischen der Zwei und Drei im Beat ‘ne sinnlose 8tel Pause liegt. Schrö kackt natürlich total ab, da ich selbst ‘n halbes Jahr gebraucht hab, um mir die Scheiße draufzupacken.

„Das is‘ ziemlich progressiv, Wuttke, da brauch ich noch ‘n Moment.“

Ich zuck nochmal mit den Schultern und erklär: „Ich hab die Frequenz von pulsierendem Polarlicht aufgegriffen und mit ’ner Sinus-Kurve geschnittmengt und in ’ne Tabulatur gepackt.“ Was natürlich kompletter Dünn-Fuck is‘, aber inflationär nach Intellekt klingt.

Beckmann legt seinen Graslümmel zur Seite und meint: „Loop das mal, damit ich ein Gespür für den Puls krieg.“

Der Pave-Man mumpft sich durch die Ahs und Ohs, die ich ihm skizziert hab, während Teschke das Ganze mit ‘ner gephaseten Mörder-Line nachzieht.

„He, Wuttke, das ist Herzfrequenz, 88 bpm“, attestiert Beckmann. „Das ist extrem vivid, gefällt mir.“

Ich genieß noch ‘n bissi, wie Schrö sich an dem Riff rumquält, bevor ich ihm den Break ins nächste vorstell. „Kriegste bis zu dem Event hin, oder?“, erkundige ich mich.

„Ja sia, Wuttke, logan!“

 

„Liebst du mich eigentlich auch noch, wenn ich so richtig scheiße zu Schrö bin?“, frag ich die beste Steffi der Welt, als ich später at home zu ihr in die Pofe krabbel.

Ihr Wrrrgrrfst , weil sie schon durch Dreamcounty reitet, interpretier ich mal als Ja, fühl mich aber trotzdem etwas mies, weil ich Keisha als Adressatin von Schrös Versagen ins Auge gefasst hab und das Steffi verschweig.

Eben.

Keisha.

Die mich nicht mehr interessiert.

 

Schrö hat’s auch bis zur letzten Probe nicht gepackt, sich mein Avantgarde-Riffing draufzuschaffen. aber ziemlich selbstbewusst verkündet, beim Gig ‘n Durchgang als Intro solomäßig vorspielen zu wollen. Jetzt hängt er wie ‘n kastrierter Monchhichi in der Location rum, is‘ aber zu stolz, mich zu fragen, ob ich anfangen kann.

Ich steh vor einem von Keishas Bildern, das ’ne realistische Darstellung von ’ner Armee Hamstern mit Flying V’s zeigt.

„Erinnerst du dich noch, Wuttke? Dein Covervorschlag, danach hatten wir Streit und dann Sex.“

Ich dreh mich um und es kostet mich echt Überwindung, aber ich frag: „Du bist nie schwanger von mir gewesen, oder?“

Und dann passiert was Seltsames.

Keisha zögert ‘ne Mikrosekunde zu lange mit der Antwort, will dann was sagen, sagt‘s aber doch nicht und mit jedem ihrer plötzlich hektischen Wimpernschläge wird der Fake greifbarer. Ich wunder mich selbst, dass ich nich‘ detonier, sondern stattdessen wieder mein Alter Ego Wuttke the Frost rauskrempel: „Dann, Keish, wären wir jetzt sowas wie quitt, wenn es was gäbe, was ich verkackt hätte. Such dir von mir aus, was.“

Ich lass sie stehen, um mir die erste Kunstinstallation des Abends zu geben: Beuys‘ Boys‘ Bingo Bounce. Siebzehn Typen mit Hut im offenen Trenchcoat mit nix drunter hüpfen um ‘ne Badewanne, während einer von denen siebenstellige Zahlen – also irgendwas im Mio-Bereich – brüllt und der Rest der Truppe nach jeder Zahl BINGO! feedbackt. Is‘ sicher wie Jazz, muss man verstehen oder man is’ außen vor.

 

Ich bin echt gallig auf Zocken, als wir endlich dran sind. Pavarotti, der schon seit ’ner guten Stunde ’ne amtliche Stifts-Fettung hat, schnappt sich sein Micro und fängt an zu labern: „Ey, unsere Combo kommt vielleicht nich‘ mit wehenden Bananen auffe Stage wie dat Nudisten-Ensemble vorhin, aber mein Axe-Man, der Wuttke hier, kennt die Sinus-Kurve vom Polarbär-Puls.“

 

Ey, in ‘ner Band spielen is‘ sowas wie ‘ne verfickte Bipolare Störung, mal könnste alle killen und dann wieder knutschen, wie Pavarotti jetzt grad für seine Hommage an mich. Und vielleicht is’ die wahre Kunst, irgendwie damit klarzukommen. Ich seufz einmal tief, sperr Wuttke the Frost kellermäßig weg, latsch zu Schrö rüber und raun ihm zu: „Ey Alter, mach dir keinen Kopp, ich spiel das Riff zweimal vor, dann steigst du mit ein, o.k.?“