Von Bernd Kleber

„Und, wie wars? Habt ihr das Interview im Kasten?“

„Ja, aber frag’ nicht wie; es war sehr überraschend! Du, unseren Artikel müssen wir ein wenig umschreiben.“

„Wieso? Was ist passiert?“

„Also, wir fuhren zur vereinbarten Zeit in die Villa der Schröder-Vinius. Was für ein Kasten. Du glaubst es nicht. Deren Hausdame nahm uns in Empfang. Sie brachte dann eine Karaffe Leitungswasser und zwei Gläser und wir saßen da.“

„Ja, und dann?“

 

„Eine Dreiviertelstunde nachdem wir alles aufgebaut hatten, Fotokamera stand auf dem Stativ, Diktiergerät lag bereit, kamen die Herrschaften endlich. Beide steinerne Mienen, als gingen sie zum Lächeln in den Keller. Hatten sich richtig in Schale geworfen. Sie, Valentina Schröder-Vinius, fragte, ob wir erst Fotos machen wollen. Sie empfehle das! Ehemaliges Kinderzimmer, Musikzimmer und Küche würde sie sich vorstellen können. Wir dürften aber auch den Salon mit dem Flügel des Genies fotografieren. Wir sahen uns bedröppelt an, fühlten uns bisschen auf dem Holzweg, aber stimmten sicherheitshalber zu. Was man hat, das hat man, war die Devise. Er, Karl Maria Schröder-Vinius setzte sich an den Rauchtisch in einen riesigen Klubsessel und zündete sich wortlos eine Zigarre an.

Hier sind die Fotos. Das ist sie und da er, hier die Räume. In seinem Kinderzimmer hat sich seit seinem Auszug rein gar nichts verändert, versicherte die Alte. Und guck dir ihre Robe an, sie kam tatsächlich in glitzerndem Gold zum Interview…

Dann saßen wir in diesem Raum, der inzwischen von ekligem Zigarrennebel eingeräuchert war. Ich hustete einmal, da sah mich der Hausherr streng an. Ich traute mich kaum noch zu atmen.

Ich fragte endlich nach Hubert und was sie denn von seiner Karriere hielten.

Er räusperte sich und meinte, dass sich eben nur harte Arbeit und die notwendige Disziplin bezahlt machen würden und daher hatte Hubert jeden Tag seine Stunden. Nach der Schule kam ein Privatlehrer, der mit ihm Etüden paukte. Vor allem das ‚Wohltemperierte Klavier‘ sollte sitzen und die Goldberg-Variationen sollten zu Referenzeinspielung gedeihen. Als Vorbild diente Glenn Gould. Der Junge übte jeden Tag bis er todmüde ins Bett fiel. Seine Eltern haben abwechselnd den Übungen zur Kontrolle einige Minuten beigewohnt. Jenem Lehrer statteten wir später ebenfalls einen Besuch ab. Aber eins nach dem anderen.

Die Alte war wohl selbst eine begnadete und gefeierte Konzertpianistin in Sankt Petersburg, bevor sie auf einer Tournee durch Deutschland ihren jetzigen Mann kennenlernte und die beiden heirateten.

Er war Violinist bei den Stuttgartern, hat da wohl fünfunddreißig Jahre im Staatsorchester gefiedelt. Und nun seien sie so stolz auf ihren Virtuosen, die Tourneen, die Erfolge, die Plattenaufnahmen. Wir waren noch unsicher, aber sind ja nicht umsonst Investigative, dass wir nicht genau gefragt hätten. Also bohrte ich nach, welchen Erfolg ihres Sohnes sie denn am meisten bewunderten und war sehr gespannt, hat er doch mittlerweile vier goldene Scheiben und eine Platin.

Da sagte der Alte, dieser Karl Maria … ‚Nachtigall ick hör dir trapsen, wer da bei der Namensfindung an den alten Weber gedacht hat‘ … das sei nicht einfach zu benennen. Und man betonte, dass die Häuser Schröder und Vinius nur so vor Musiktradition strotzen würden. Da müssen wir noch den Stammbaum nachrecherchieren, aber da ist die Elfi schon dran… Jedenfalls sagte der Karl Maria mit spitzer Zunge, dass natürlich die Neueinspielung von Schumanns ‚Kinderszenen‘, insbesondere die ‚Träumerei‘, die beste Einspielung ihres Sohnes sei und es nur ihm gelungen war, und nun muss ich meine Notizen vorlesen: dem Werk eine wahrhafte Strahlkraft zu injizieren. Einerseits mit einer sehr modernen Attitüde zu versetzen und trotzdem in seiner Feinheit und mit seinen Details, brillant, über jeden Zweifel an einer entstandenen Referenzaufnahme erhaben sei. Und ganz besonders freue sie natürlich, dass Hubert dafür den Echo Klassik erhalten habe, wie es ja in allen Fachgazetten geschrieben stand. Sie nannten dann Rondo, Crescendo, Das Orchester und sogar The Strad … Ja, warte, warte, sag noch nichts …

Dann bat sie uns ins Musikzimmer und stellte eine absolut exquisite Highend-Anlage an, legte eine CD ein und wir hörten Klaviermusik, keine Ahnung von wem und was, jedenfalls zog es sich ziemlich hin. Ich sah immer wieder zu Paul hinüber und hob meine Augenbrauen, doch der drückte mit der ausgestreckten Hand nur Luft zu Boden, ich solle mal abwarten. Die beiden Alten hielten ihre Augen geschlossen und schaukelten ihre Körper.

 

Dann geschah Merkwürdiges.   Die Schwester von Hubert, Katharina, kam herein und äußerte, wir sollten nun zum Ende kommen, würde es ihre Eltern doch zu sehr anstrengen.

Daraufhin wischte Karl Maria die junge Frau mit nur einer einzigen Handbewegung aus dem Zimmer. Es sah wirklich aus, als würde die Tochter diese Bewegung körperlich spüren. So verzog sie ihr Gesicht. Er wurde laut: ‚Geh, geh, Katharina, es ist unerträglich. Immer und immer wieder neidest du deinem Bruder seinen Erfolg. Dein Bruder ist eben ein musikalisches Genie. Störe uns nicht in unserem Interview mit der Colour. Das ist schließlich eine hochangesehene Fachzeitschrift im Klassikbereich.‘

Katharina kniff die Augen zusammen und meinte beim Hinausgehen: ‚Ihr seht nur, was Ihr sehen wollt!‘“

„Aha, sehr interessant!“

„Valentina bat uns, diese Bemerkung zu überhören und davon nichts in unserem Beitrag zu erwähnen. Das Kind sei lediglich eifersüchtig.

Ich fragte dann, ob sie Hubert schon einmal auf einer Tournee begleitet oder eines seiner Konzerte besucht hätten und wartete gespannt ihre Reaktion ab.

Sie verwiesen auf eigene Verpflichtungen und darauf, dass ihr Sohn unter einer angeborenen „Performance Anxiety“ leide und keine Anwesenheit von Verwandten und Bekannten dulde. Das respektierten sie natürlich.“

 

„Das klingt ja alles sehr merkwürdig! Und nun? Was habt ihr dann gemacht, gesagt, getan?“

 

„Wir trauten uns kaum … wir waren beide ratlos. Ich versuchte ein zweites Mal… ‚Wir sind natürlich sehr froh, hier sein zu dürfen und wissen um die grenzenlosen Erfolge ihres Sprosses. Eben darum sei es ja so wichtig, einen entsprechenden Artikel zu veröffentlichen. Haben Sie denn der Auszeichnung beim Echo beigewohnt?‘

‚Nein, auch da nicht. Da musste Hubert ja eine Dankesrede halten … aber wir erhielten ein Foto, auf dem er den Echo, also diese Trophäe, vor der Presse in die Luft hielt. Er trug ein goldglitzerndes Jackett, ähnlich dem Stoff meines heutigen Kleides hier, ihm zu Ehren … das habe ich mir nach dem Echo anfertigen lassen. Werden ihre Fotoaufnahmen dem exquisiten Material gerecht?‘

‚Sie sehen hervorragend aus auf den Fotos. Wir lassen ihnen gerne einige Abzüge zukommen.‘

Wir fragten dann Huberts Eltern, wie oft dieser denn sein Elternhaus besuche, ob er denn heute zufällig käme, weil wir ihn leider nicht für ein persönliches Statement erreichen konnten.

Sie echauffierten sich darauf ein wenig, ob wir denn so uninformiert seien, dass wir nicht wüssten, wie beschäftigt ihr Virtuose wäre.

Ich fragte, was sie von Unterhaltungsmusik hielten. Nach Luft schnappend, erwiderte sie, das sei nur was für einfache Menschen.

Jedenfalls wagten wir uns nicht mehr zu fragen und packten ein.“

„Was? Und dann?“

„Dann sind wir zu besagtem Klavierlehrer gefahren. Die Adresse hat uns Valentina freimütig gegeben.“

„Und?“

„Na, das war eine Sensation! Der war auch zuhause. Schon nach wenigen Sätzen machte er klar, Hubert konnte nie Klavier spielen. Immer, wenn die Eltern in den Raum kamen, spielte er das Wenige, was halbwegs makellos klang und selbst dabei fühlte er sich unwohl. Die Eltern seien die reinsten Tyrannen gewesen und noch heute. Grundkenntnisse in Musik hatte Hubert umfangreichere als andere Kinder und er besuchte ja auch das Konservatorium, jedoch haben seine Wurstfinger nie zum Pianisten gereicht. Beide beschlossen heimlich, also Lehrer und Sohnemann, den Jungen auf den Percussions mit Spezialisierung Triangel zu schulen. Weiß nicht, ob das mit der Spezialisierung hinkommt, denn dieser Lehrer lachte auch, als er das erwähnte. Jedenfalls gefiel das Hubert sehr und so wurden sie Freunde bis heute. Hubert gaukelte seinen Eltern etwas vor, fälschte Berichte und Zeitungsausschnitte, die gerahmt im elterlichen Musikzimmer prangen. Papa und Mama wüssten gar nichts von seiner tatsächlichen Karriere. Nur seine Schwester wisse Bescheid, die sei ja schließlich seine Managerin und mache die ganze Kohle mit ihm. Ich fragte noch nach Schumann und der CD, die wir bei den Alten gehört hatten. Da meinte der Lehrer, dies sei eine Raubkopie der Aufnahmen von Alfred Brendel. Er habe die Kopie für die Eltern Huberts erstellt und mit Label versehen. Und man solle den Jungen doch endlich zur Ruhe kommen lassen, ihm seinen Erfolg gönnen.

Na wir wieder zurück zu den Eltern, die ließen uns auch nochmals rein und fragten uns, ob wir etwas Wichtiges vergessen hätten.

Dann startete ich vorsichtig, ob sie schon mal von Marianne Rosenberg und ihrer Marlene gehört hätten? Nein. Ob sie von dem jungen Mann aus dem Les Humphries Chor mit seinem Bett in der Natur, genauer gesagt im Kornfeld wüssten. Nein. Ob sie wüssten, dass Christians Zug nach Nirgendwo führe. Nein.

Und dann fragte ich, ob sie je den Song mit dem Titel ‚Bumswallera‘ gehört hätten, von Hubert Sonnenschein, mit den Zeilen:

‚Meine Triangel, meine Triangel, die kann so schön lange, auch in dir, auch in dir.‘  Da schmissen sie uns raus.“

„Wie? Schmissen Euch raus?“

„Na sie schrie, warum wir so vulgär seien und der Alte verschwand in einem Nachbarraum. Als wir die Polizeisirenen hörten, sind wir eilig davon.“

„Und was wollt ihr nun über unseren Goldjungen schreiben?“

„Na, genau das … „

„Ehrlich?“

„Ja: Als Hubert am Bett im Kornfeld vorbeikam, in den Zug nach Nirgendwo mit Marlene einstieg und seinen Superhit ‚Bumswallera, meine Triangel‘ kreierte, den Malle-Feten Hit des Jahres. So ungefähr.“

„Und was, wenn die Eltern Euren Beitrag lesen?“

„Das überlassen wir Hubert …“

V2/9946