von Alexander Amelkin

 

 

       Am Abend war’n die Lichter schwach.

       Die Reflexionen wurden blasser und schwächer…

       Die Winterreifen rauschten wach.

       Die fernen bleichen Sterne glänzten und glänzten…

      

       Ich hörte das Signal,

       das um die Ecke kam.

       Die Tram voll froher Menschen hetzte!

       Die Dunkelheit verschwand!

       Mein Kopf, der wurde klar.

       Die Tram war weg. Es war die letzte…

      

       Dieses traurige Lied kam mir plötzlich in den Kopf, als ich an einem Dezemberabend auf meinem alten Fahrrad die Agnes-Bernauer-Straße entlangfuhr und an Agnes‘ Schicksal wie auch an meines dachte. Was wissen wir über das Schicksal, und können wir es aus freiem Willen kontrollieren?

      

       Die letzten 20 Jahre versuchte ich vergeblich, mich in diesem Leben als freiberuflicher Künstler zu positionieren. Meine Gemälde wurden längst nicht mehr gekauft, die Arbeit als Straßenkünstler brachte kaum Einkommen, und ich beschränkte mich nur noch auf reine Auftragsarbeit.

      

       Mit der Zeit verwandelte ich mich so von einer ehemals kreativen Person in einen Yuppie. Und eines Tages schrieb ich in einem Ausbruch von Selbstironie den Yuppie-Blues über mich selbst:

      

       Täglich. Rund um die Uhr.

       Jahrelang. Und wofür?

       Business-Plan. Plan-Prospekt.

       Atelier. Kunstprojekt.

      

       Telefon. Telefax.

       Wenig Schlaf wegen DAX!

       Krise kommt! Dann Progress.

       Atemnot! Ewig Stress!

      

       Das ist der Yuppie-Blues,

       mein Yuppie-Blues.

       Wie mache ich mit meinem

       alten Leben Schluss?

      

       Das ist der Yuppie-Blues,

       mein Yuppie-Blues.

       Na, schön, dann sag ich gern

       dem alten Leben Tschüss.

      

       In dieser Zeit stieß ich auf einen Ausspruch des amerikanischen Genetikers Bruce Lipton, wonach unsere Gedanken, unsere Haltung und unser Lebensstil einen entscheidenden Einfluss auf unsere innere und äußere Wirklichkeit haben und die Gene steuern können.

      

       Da beschloss ich mein Schicksal zu ändern. Ich versammelte alle meine Kräfte, innere Haltung und Gedanken und… plötzlich passierte mir eine ganz unglaubliche Geschichte!

      

       Mitte Dezember 2015 bekam ich den Auftrag, anhand eines Fotos das Portrait zu zeichnen. Noch am selben Tag begann ich mit der Arbeit, während im Hintergrund der Fernseher lief. Zufällig hörte ich die Nachricht von dem vor kurzem entzifferten Voynich-Manuskript, und es stellte sich heraus, dass das Manuskript von Phytophysiotherapeut, Diplomat, Hofdichter und Schriftsteller Johannes Hartlieb (1402 – 1468) im Schloss Blutenburg (und teilweise in Ingolstadt und in München) verfasst wurde. In dem Manuskript beschrieb er die Geschichte des Schlosses, einschließlich der geheimen Heiltechnologien, die er dort verwendete. Doktor Johannes Hartlieb wurde als Leibarzt, gelehrter Rat und damit Diplomat Herzog Albrechts III. von Bayern-München aufgenommen. Augsburger Arzt, Schriftsteller und Antiquar Karl Widemann (1555 – 1637) kaufte das Voynich-Manuskript von der Familie Hartlieb und verkaufte diese Handschrift neben anderen seltenen Büchern 1599 an Kaiser Rudolf II.

      

       Auf der Suche nach einer Inspiration beschloss ich, das Schloss Blutenburg zu besuchen. Dort fand ich mich unerwartet in einer Ausstellung wieder, die das Voynich-Manuskript mit Übersetzung präsentierte.

      

       Im Folgenden erzähle ich Ihnen jetzt eine kurze Zusammenfassung des entschlüsselten Manuskripts.

 

       Anfang des 15. Jahrhunderts lebte in Augsburg ein Phytobalneologe, Chirurg und Astrologe Kaspar Bernauer mit seiner Frau. Gott gab ihnen keine Kinder, aber sie träumten sehr von einer Tochter und hofften auf ein Wunder.

      

       In der Familie von Kaspar wurde von Generation zu Generation eine Sage weitergegeben, wonach die Wünsche auf der magischen Würminsel „Plüdenberg“ in Menzing bei München wahr werden konnten. Der Wunsch sollte jedoch außergewöhnlich stark sein. Es sollte reichen, einfach auf die Insel zu kommen, am Ufer des magischen Menzinger Sees zu sitzen, sich etwas zu wünschen und sich mit Wasser aus dem See zu bespritzen.

      

       So nahm Kaspar im Jahre 1404 seine Frau, kam auf die Insel und tat alles nach alter Sitte. Und bereits nach einem Jahr hatten sie ein blondes Mädchen namens Agnes.

      

       18 Jahre später entspannte sich Albrecht, der einzige Sohn des Herzogs Ernst, in den Augsburger Bädern nach seiner Teilnahme an einem Ritterturnier. Dort lernte er die schöne Baderstochter Agnes Bernauer kennen und verliebte sich in sie.

      

       Er widmete der Bernauerin das folgende Liebeslied:

      

       Als eine alte Seele

       trieb mich beständig um

       nur Dunkelheit, nur Leere.

       Ich war so taub, so stumm…

      

       Man schenkte mir ein Leben,

       die Träume im Fluss der Zeit,

       die Freude an der Freiheit.

       Damit kam ich so weit.

      

       Dem Jubel meiner Seele

       fehlte noch ein Stück,

       bis ich Dich getroffen hab.

       Du bist mein wahres Glück!

      

       Agnes erzählte Albrecht die mystische Geschichte ihrer Geburt, und Albrecht war so fasziniert, dass er auf dieser magischen Würminsel in Menzing für seine Gemahlin das Schloss Blutenburg baute, wo sie glücklich zusammenlebten. Albrecht und Agnes hatten eine Tochter, Sibylla, die 1444 Doktor Hartlieb heiratete.

      

       1433 ernannte Herzog Ernst seinen Sohn zum Regenten in Straubing, weshalb Albrecht und Agnes sich fast gänzlich in Straubing und nur selten im Schloss Blutenburg aufhielten.

      

       Die nicht standesgemäße Liaison missfiel Herzog Ernst, und nachdem Albrecht sich nicht von der Bernauerin trennen wollte, sah sein Vater keine andere Möglichkeit, als Agnes unter dem Vorwurf der Hexerei anzuklagen und zum Tode verurteilen zu lassen.

      

       Nachdem man Albrecht auf Erlass seines Vaters nach Landshut entführt hatte, wurde Agnes Bernauer am 12. Oktober 1435 von einer Brücke in die Donau gestoßen. Agnes‘ Leiche wurde aber nie gefunden…

      

       Sehr betrübt von Agnes‘ Tod zog sich Albrecht in das Schloss Blutenburg zurück. Völlig unerwartet kam wenig später Agnes‘ Vater Kaspar Bernauer zu ihm, und in seiner Kutsche war eine erstaunliche Überraschung versteckt.

      

       Bevor diese mysteriöse Geschichte fortgesetzt werden kann, ist es notwendig, etwas über den besonderen Umständen der Hinrichtung zu erzählen…

      

       Kurz vor Agnes‘ Verhaftung war Kaspar Bernauer nach Straubing gekommen, um seine Tochter zu besuchen. Darüber hinaus traf er seinen alten Freund Jacob, der als lokaler Henker in Straubing arbeitete. In seinen alten Tagen war Jacob oft bei den Bernauers zu Besuch, und er kannte Agnes schon seit ihrer Kindheit.

      

       Nun sollte ausgerechnet Jacob das Todesurteil vollstrecken. Da Agnes für ihn immer, wie eine Schwester war, entwickelte er einen Rettungsplan. Am Ort der Hinrichtung auf der Donaubrücke ersetzte er das Seil, mit dem er Agnes die Hände band, durch ein halb verschlissenes. Bevor er sie dann von der Brücke stieß, flüsterte er Agnes ins Ohr: „Das Seil ist faul. Versuch dich zu befreien und schwimm unter Wasser zu einem Busch. Verzeih mir.“

      

       Mit diesen Worten schubste Jacob die arme Agnes von der Brücke.

      

       Die Hinrichtung war vollzogen, und die Zuschauermenge begann sich zu zerstreuen.

      

       Nachdem alle gegangen waren, tauchten Kaspar und Jacob in die Donau, um nach Agnes zu suchen. Sie fanden den bewusstlosen Körper, und zu ihrer Überraschung war Agnes noch am Leben.

      

       In einer Kutsche brachte Kaspar Agnes heimlich zum magischen Menzinger See in der Hoffnung, sie mit dessen wundersamen Wasser zu heilen.

      

       Als die Kutsche das Schloss Blutenburg erreichte, rief Kaspar sofort nach Albrecht. Der erkannte die Stimme seines Schwiegervaters, kam zu ihm hinaus und gemeinsam trugen sie Agnes zum Seeufer. Albrecht war außer sich vor Glück, weinte, lachte, umarmte und küsste seine Geliebte! Agnes lächelte in Tränen, konnte aber kein Wort sagen…

      

       Alle drei wünschten sich leidenschaftlich Agnes‘ Heilung und bestreuten sie mit dem Wunderwasser… Für eine kurze Zeit wurden sie von einem grünlichen Dunst umhüllt und ihre Sinne schwanden… Als Albrecht und Kaspar wieder zur Besinnung kamen, war Agnes verschwunden, und in Ufernähe schwamm ein schöner Schwan.

      

       Jahre vergingen und Albrecht fühlte, dass seine Tage gezählt waren. Er ging zum See und wünschte sich die Wandlung in einen Schwan, um sich endlich mit Agnes zu verbinden. Agnes schwamm auf ihn zu, winkte mit den Flügeln und bespritzte ihren Geliebten mit magischem Wasser. Wieder umhüllte sie ein grüner Nebel, und kurz darauf schwammen zwei Schwäne auf dem See! So blieben Albrecht und Agnes als Schwäne für immer zusammen.

      

       Damit endete das Manuskript.

 

       Nach mich das alte Manuskript aus der Ausstellung so beeindruckte, näherte ich mich dem Schlosssee. Ich hatte den starken Wunsch, wunderbare Porträts schaffen zu können, die positiven Einfluss auf die innere und äußere Wirklichkeit der Menschen haben würden!

      

       Es war niemand in der Nähe. Grüner Dunst verhüllte schneebedecktes Ufer… Das Geräusch von plätscherndem Wasser weckte mich auf und ich spürte ein paar Spritzer auf meiner Haut. In der Nähe im eisfreien Raum des Sees schwammen zwei Schwäne…

 

       Seit diesem Dezembertag veränderte sich meine Wahrnehmung der Welt. Ich begann, diese besondere Vision in meinen Portraits zu reflektieren, und ich bemerkte, dass meine Portraits positiv auf die Menschen wirkten. Ich nannte dieses Phänomen „Portrait der inneren Schönheit“. Seit ich die Gabe bekam, „Portraits der inneren Schönheit“ zu schaffen, füllte sich mein Leben mit neuer Bedeutung.

 

       Später erstreckte sich diese besondere Wahrnehmung auf meine Vision der ganzen Welt, und ich gab dieser meiner neuen Kunstrichtung den Namen Panpsychorealismus. Der Panpsychorealismus ist eine „proto-mentale“ Kunst, die die geistigen Eigenschaften der existenten Objekte gestaltet. Die Theorie des Panpsychorealismus behauptet, dass die kreative Entwicklung des menschlichen extrasomatischen Bewusstseins es in die Tiefen des Bewusstseins von Systemen einführt, in denen eine Person ein Subsystem ist, und es in diesen Systemen (z. B. im Schloss Blutenburg) teilweise erhalten bleibt, sogar wenn eine Person aus ihnen herausfällt.

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