Von Bernd Rumpler
Eigentlich war es nur eine wilde Wiese, oder noch nicht einmal das. Es war ein Brachgrundstück mitten in der Stadt und ein Brachgrundstück war nicht mehr zeitgemäß in einer Zeit in der es in den Innenstadt immer enger wurde.
Entgegen vielerorts gelebter Praxis hatte die Stadt beschlossen, hier keinen weiteren Wohnkomplex zu erstellen, obwohl Wohnraum dringend nötig wurde. Hier sollte eine Freifläche mit Erholungscharakter entstehen, sprich eine Grünanlage.
Ich war damit beauftragt, diese Grünanlage zu planen. Ich hatte Landschaftsplaner gelernt. Obwohl ich den Begriff Landschaftsplaner irreführend finde. Ich plane keine Landschaft, die Landschaft ist schon da. Das was ich plane, ist eigentlich die Schnittmenge, die die vorhandene Landschaft mit der erwünschten Nutzungsmöglichkeit durch den Menschen ergibt.
Für mich war es nicht irgendein Auftrag. Für mich war es die Chance, zu zeigen, was ich in meinem Beruf zu leisten im Stande war. Am Ende meines Tuns würde es eine Eröffnungsfeier geben. Der Bürgermeister würde anwesend sein und etliche andere wichtige Leute dieser Stadt. Es würde ein Artikel in der lokalen Presse erscheinen, mit Fotos von mir und einigen dieser wichtigen Menschen. Ich würde meine Spuren hinterlassen in dieser, meiner Heimatstadt. Vielleicht gäbe es sogar eine Gedenktafel am Eingang der Grünanlage auf der mein Name eingraviert sein würde. Vielleicht würde es sogar schick werden, seinen Garten durch mich gestalten zu lassen.
Doch vor all dem Ruhm und der Spuren, die ich hinterlassen würde, galt es erst einmal, diese Aufgabe bestmöglich zu erfüllen. Alles Wissen, was ich mir in meiner Berufslaufbahn angeeignet hatte, würde zum Tragen kommen, wenn mir die Gestaltung dieser Fläche gelingt.
Als ich zum ersten Mal auf die Fläche schaute, sah ich eine ungepflegte Wiese die an vielen Stellen nicht mehr vorhanden war. Ich sah einen Schutthaufen, ich sah jede Menge Gestrüpp und ich sah Sperrmüll und Unrat, der sich zwischen den Sträuchern angesammelt hatte. Aber ich sah vor meinem geistigen Auge auch gepflegten Rasen und die Natur genießende Menschen.
Von einer Seite wurde die Brachfläche durch eine vierspurige Straße begrenzt, über die eine Fußgängerbrücke führte. Von dieser Brücke aus hatte ich einen phantastischen Überblick über die gesamte Fläche. Lange und oft stand ich da oben und schaute auf meine Grünanlage, die dort unten entstehen würde.
Für eine optimale Ausführung brauchte es einen oder mehrere Bereiche an denen man relaxen konnte, das heißt, eine Anzahl von Parkbänken oder anderen Sitzgelegenheiten. Außerdem sollte es einen Bereich geben, an dem Kinder ausgelassen spielen können. Beide Bereiche sollte möglichst weit voneinander entfernt sein. So hübsch hell klingende Kinderstimmen auch sein mögen, wenn jemand die Stille der ruhigen Natur genießen möchte, sind diese hellen Kinderstimmen doch eher störend. Wenn man sich auch kaum traut, sie störend zu nennen.
Durch entsprechende Vegetation könnte ich noch eine zusätzliche Trennung zwischen beiden Nutzungsbereichen erschaffen.
Im Allgemeinen wird auch ein Biotop als sehr angenehm empfunden. Früher nannte man das einfach nur einen Teich. Für einen Teich oder einen Biotop war die Fläche allerdings nicht groß genug. Also musste ich in meiner Planung darauf verzichten.
Was ich noch einplanen musste, war ein Bereich, in dem auch die Altersgruppe der Halbwüchsigen gerne seine Zeit verbringen würde. Dort wäre ein Bolzplatz oder eine Skaterbahn sinnvoll.
Ab jetzt ging ich täglich zu meiner Brachfläche. Manchmal, wenn ich nicht auf der Brücke stand, saß ich stundenlang auf einem der wenigen Wiesenstücke, manchmal schritt ich die Dimensionen der Fläche ab, die auf den Plänen viel leichter zu erfassen gewesen wären. Es machte mir einfach Spaß hier zu sein, zu denken zu planen, zu verwerfen und neu zu planen.
Was mir in meiner Planung ein wenig schwerer fiel, war die Anordnung der so genannten Verkehrsflächen, sprich Wege. Die Brachfläche lag mitten in der Stadt, zu jeder Seite gab es Unmengen von Anbindungen. Da waren andere Straßen, die auf diese Fläche mündeten, da waren hochfrequentierte Gebäude, wie das Rathaus oder die Stadtsparkasse. Ich stand lange und oft auf der Fußgängerbrücke aber, so sehr ich es auch versuchte, ich sah vor meinem geistigen Auge keine Wegeführung, mit der ich zufrieden war.
Ich wollte nicht riskieren, dass an meinem großen Tag, an dem der Bürgermeister diese Fläche der Öffentlichkeit übergab, die Leute da standen und sagten, „ Warum hat er keinen Weg von da nach da geplant?“ „Wäre es nicht sinnvoller gewesen, diesen Weg dahin münden zu lassen?“ „Warum muss ich jetzt hier diesen Umweg laufen? Warum kann ich nicht direkt da hinüber gehen?“
Ich kam am nächsten Tag wieder und am drauffolgenden. Aber an keinem der Tage kam ich der Wegeplanung näher. Ich schritt die Fläche ab oder setzt mich irgendwohin, in der Hoffnung die Inspiration zu erhalten. Aber keine Inspiration stellte sich ein. Ich beobachtete die Leute, aber alles schien mir ein ungeordnetes Gewusel zu sein.
Es schien keine Lösung für mein Problem zu geben und meine Euphorie schwand dahin mit jedem Tag und machte mehr und mehr einer wachsenden Verzweiflung Platz. Bis mir, für die Lösung meines Problems, die Natur zu Hilfe kam. Als ich eines Morgens wieder einmal über die Fußgängerbrücke zu meinem Projekt ging, hatte es geschneit. Von der Brücke aus blickte ich auf die Fläche und sah eine Vielzahl von Spuren in dem frisch gefallenen Schnee.
Zwar war es noch früh am Morgen, aber es waren schon einige Leute unterwegs gewesen. Man sah deutlich die Spuren, die sie im frisch gefallenen Schnee hinterlassen hatten. Man konnte nicht nur die Spuren erkennen. Daraus, wie viel Schnee weggetreten worden war, konnte man auch darauf schließen, welche Strecken stärker und welche weniger stark frequentiert wurden. Deutlich zeichneten sich die Wege ab, die die Menschen nahmen, die diese Fläche überquerten.
Jetzt war ich mir meines Triumpfes sicher. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich stand auf der Brücke und betrachtete die Spuren wieder und wieder.
Irgendwann drängte es mich aber nach Hause, zurück an meinen Schreibtisch. Ich wollte diese phantastischen neuen Erkenntnisse auf die Pläne übertragen und damit die ganze Planung zum Abschluss bringen.
Mir war klar, dass ich es geschafft hatte. Ich stellte mir vor, wie die Menschen auf der Eröffnungsfeier beeindruckt die Köpfe zusammenstecken würden und diskutieren würden, wie ich wohl auf diese grandiose Lösung gekommen sei. Aber ich beschloss, den Schlüssel für meine grandiose Planung für mich zu behalten. Ich freute mich heimlich darauf in die verdutzten Gesichter zu schauen, aber mein Geheimnis nicht zu offenbaren
Zu Hause angekommen nahm ich im Treppenhaus routinemäßig die Post aus dem Briefkasten. Meine Gedanken waren schon oben am Schreibtisch und bei meinen Plänen. Auf der Treppe fächerte ich schon einmal die drei Briefe in meiner Hand auseinander, um mir einen Überblick über die Absender zu verschaffen.
Einer der Briefe war von der Stadtverwaltung. Ich zog das Schreiben aus dem Umschlag. „Wir teilen Ihnen mit, dass wir den Auftrag zurückziehen. Es wurde nun doch entschieden, hier eine Wohnanlage zu errichten. Selbstverständlich kommen wir für Ihre bisherigen Aufwendungen auf. Bitte schicken Sie uns Ihre abschließende Rechnung. Gerne kommen wir bei einem späteren Projekt noch einmal auf Sie zurück.“