Von Ingo Pietsch
Ich schälte mich aus meinem Schlafsack.
Das Zelt hatte die nächtliche Kälte gut zurückgehalten und ich war auch entsprechend ausgerüstet.
Ich hatte den August gezielt zum Wandern in Kanada, genauer gesagt in Saskatchewan, gewählt, weil man frühestes im September mit Schnee und wirklich kalten Temperaturen zu rechnen hatte.
Doch das unbeständige Wetter hatte mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Nachdem ich mich mit dem eiskalten Wasser am Fluss gewaschen hatte, blickte ich mich um.
Hinter meinem Zelt begann ein Nadelwald und auf der anderen Seite des Flusses die Prärie.
Auf dem Weg zurück zum Zelt sah ich Spuren auf dem Boden. Hundeähnlich, also wahrscheinlich Coyoten oder kleine Wölfe. Nichts, was mir Sorgen bereitete.
Nur für den Fall, dass ich in Gefahr geraten sollte, hatte ich außer einem Schweizermesser noch eine Signalpistole und ein GPS-Notsignalgeber dabei, dass von einer Kontaktperson überwacht wurde.
Ich hatte mir einen Plan erstellt, wieviel Kilometer ich jeden Tag zurücklegen wollte. Und das klappte auch ganz gut.
Schnell kam der nächste Abend und das Lager war ebenso schnell wieder errichtet. Und kurz nach dem Abendessen war ich auch schon eingeschlafen.
Mitten in der Nacht wurde ich durch tiefe Brumm- und Schnüffelgeräusche geweckt. Ich vermied es Licht zu machen oder auf mein Handy zu schauen, das hier keinen oder kaum Empfang hatte. Ich blieb ruhig liegen und atmete ganz flach. Im Mondlicht und durch die Zeltplane konnte ich erkennen, dass etwas Großes sich an meinem Schlafplatz zu schaffen machte. Nylonschnüre surrten und die Zeltdecke wurde von einer großen Pranke eingedrückt.
Jetzt bekam ich doch Panik. Das konnte nur ein Schwarzbär sein. Und gegen den war ich ganz sicher nicht gewappnet.
Ich hatte die Luft angehalten. Wahrscheinlich länger als ein Perlentaucher; und irgendwann war der Bär wieder verschwunden.
Mit dem Schweizertaschenmesser in den Händen war ich dann mehr oder weniger beruhigt wieder eingeschlafen.
Am nächsten Morgen zog ich ganz leise den Reißverschluss meines Zeltes auf und streckte unter aller Vorsicht meinen Kopf heraus.
Mein Atem kondensierte und es war wieder alles wie mit einem weißen Tuch überzogen.
Ich krabbelte auf allen Vieren zum nächsten Baum, zog mich hoch und lauschte. Außer den üblichen Tierlauten und dem Fluss gab es nichts, was mir gefährlich werden könnte, so hoffte ich. Ich beruhigte mich langsam wieder und machte mich fertig, um weiterzuziehen. Wenn ich das Revier des Bären zügig verlassen könnte, wäre ich in Sicherheit.
Um das Zelt waren tatsächlich Bärenspuren zu sehen. Ein Ballenabdruck und die Krallen an einer Seite.
Allerdings gab es auch eine zweite Spur, die mein Herz so schnell und doll schlagen ließ, dass ich es bis in den Kopf spürte.
Sie war eindeutig menschlich. Oder fest menschlich. Keine Schuhabdrücke, sondern von nackten Füßen. Ich stellte meinen Fuß hinein und dieser verschwand darin.
Ich machte ein paar Fotos und spekulierte wild vor mich hin. Bigfoot oder Sasquatsch, wie er hier hieß, gab es nicht wirklich. Eine Legende, eine Erfindung, um den Tourismus anzukurbeln.
Ich überlegte, ob ich den Notsender aktivieren und mich abholen lassen sollte.
Wahrscheinlich waren die Fußabdrücke nur eine optische Täuschung, weil die Ränder durch die Körperwärme des Bären verlaufen waren. Dennoch wirkten sie auf mich sehr echt.
Ein Knacken im Unterholz ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Ich packte so schnell ich konnte alles zusammen und machte mich, ohne gefrühstückt zu haben, auf zu meinem nächsten Etappenziel.
Alle paar Meter drehte ich mich um. Meine Angst spielte mir Streiche in Form von Schatten, die zwischen den Bäumen umherstreiften, die ich aber nicht genau ausmachen konnte.
Am Abend hatte ich mein Lager an einer Felswand aufgebaut, damit es geschützter war.
Ich tat die halbe Nacht kein Auge zu. Coyoten heulten den Vollmond an und im Baum über mir brachte eine Eule ihren Gesang zum Besten.
Irgendwann war ich vor Erschöpfung dann doch eingeschlafen.
Alles um mein Zelt war unberührt und meine Panik legte sich langsam wieder.
Routine spielte sich bei den Handgriffen ein und ich ging froheren Mutes wieder meines Weges.
Mit einem Mal brach etwas zwischen einem Gebüsch hervor.
Auf vier Pfoten kam es auf mich zu. Ein Bär und doch ein wenig anders. Rotbraunes, viel zu zotteliges Fell. Die Pfoten nackt und hinten hatte es richtige, riesige Füße. Es stellte sich auf die Hinterbeine und überragte mich um drei Köpfe. Also maß es mindestens 2,50 Meter. Am gruseligsten aber war das Gesicht. Intelligente Augen und eine zu flache Nase für einen Bären. Eigentlich gar keine Schnauze. Das Zottelhaar hing dem Ding ins Gesicht. Das war kein Bär, das war der Sasquatch!
Sch …. Was jetzt? Handy zücken und filmen? Weglaufen? Kämpfen?
Das Ding kam auf zwei Beinen angerannt, wie ein Marathonläufer.
Ich warf meinen Rucksack weg und begann ebenfalls zu laufen.
Ich lief um mein Leben, versuchte irgendeinen Ort zu finden, wo ich sicher war.
Ein Baum, eine Höhle, völlig egal.
Beim Laufen stolperte ich und knickte um. Ich fiel der Länge nach hin und wurde halb bewusstlos.
Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Als der Sasquatch sich zu mir herunterbeugte, konnte ich seinen widerlichen Atem riechen. Das ganze Vieh roch nach verschmortem Kunststoff, was mich in dem Moment irritierte. Seine Augen funkelten mich an, dann hob es eine Pranke und alles um mich herum wurde dunkel.
Als ich wieder erwachte, war alles in ein neonleuchtendes Grün eingehüllt.
Ich befand mich in einer Höhle und lag auf der Seite. Mein Fuß schmerzte und mein Kiefer schmerzten.
Zum Glück befand sich meine Notfallausrüstung in meinem Parka, den ich anhatte und nicht in meinem Rucksack. Ich nestelte darin herum und aktivierte den Sender.
Es war ruhig in der Höhle, bis auf leise Schnarchgeräusche.
Der Schein der Taschenlampe offenbarte mir, dass ich mich in einem Nest befand. Und dort lagen ein paar Bärenjungen. Sie waren völlig deformiert und mutiert. Es war ein furchtbar trauriger Anblick.
Ich blickte nach unten und erkannte einen Rinnsal mit einer leuchtenden Flüssigkeit. Da ich nicht wusste, wo es nach draußen ging, folgte ich dem Leuchten. Weiter hinten in der Höhle standen und lagen halb ausgelaufene Fässer. Es roch beißend nach Chemie. Das hier war ein Endlager für Giftmüll. Mit meiner Taschenlampe leuchtete ich die riesige Grotte aus. Auf den Tonnen befand sich kein Firmenlogo und gewiss was das hier illegal.
Ich musste husten und mir tat das Atmen weh. Mir schwante Böses und ich musste diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.
Ich humpelte in die andere Richtung und gelangte an ein halb verwittertes Gitter, dessen Tür aus den Angeln gerissen worden war.
Der Bär hatte sich gewaltsam Zutritt verschafft, ohne sich der Gefahr bewusst gewesen zu sein.
Draußen war es immer noch hell.
Ein großer Schatten fiel in die Höhle. Der mutierte Bär war wieder da. Er wollte sicherlich nach seinen Jungen schauen.
Er bäumte sich auf und wirkte in der untergehenden Sonne noch bedrohlicher.
Ich hatte nichts, mit dem ich mich wehren konnte.
Dann fiel mir die Signalpistole ein.
Ich hatte genau drei Schuss.
Ich zielte in die Luft, um den Bären zu verschrecken. Denn eigentlich wollte ich ihn nicht verletzen.
Doch das beeindruckte den Bären kein bisschen.
Also doch zum Angriff, denn mein Leben hing davon ab.
Der zweite Schuss streifte den Kopf und der Bär heulte auf.
Ich lief hinkend an dem Tier vorbei und drückte dabei zum letzten Mal ab. Die Leuchtkugel schlug in den rechten Arm der Kreatur und steckte das Fell in Brand. Wie eine riesige Fackel wälzte sich der Bär am Boden, schaffte es aber nicht, das Feuer zu ersticken. Es stellte sich ein letztes Mal auf die Hinterbeine und rannte im Wahn in die Höhle zu seinen Jungen.
Eine gewaltige Explosion, gefolgt von einem Flammenwall warf mich gegen einen Baum, wo ich wieder bewusstlos wurde.
Als ich wieder erwachte, lag ich in einem Krankenzimmer.
„Ah, Sie sind wach!“, statt einer reizender Krankenschwester stand neben meinem Bett ein allglatter Typ im Anzug.
Ich musste mich erst einmal orientieren. An mir schien noch alles dran sein. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, redete der Mann auch schon weiter: „Sie haben ziemliches Glück gehabt. Ihr Camping-Gaskocher hätte durch ihren leichtfertigen Umgang weitaus mehr Schaden anrichten können.“
Ich verstand zunächst nicht, was er damit meinte. Aber dann dämmerte es mir.
Er hielt mir ein Formular unter die Nase: „In dieser Erklärung steht, dass wir Sie als Rechtbeistand vertreten. Wir übernehmen jegliche Verantwortung für den Vorfall, was immer passiert und was auch immer Sie gesehen oder gehört haben wollen. Außerdem erhalten Sie von uns eine angemessene Entschädigung, wenn Sie über alles Stillschweigen bewahren. Es liegt natürlich bei Ihnen, ob Sie unterschreiben. Aber eines sei Ihnen gesagt: Mit meinen Arbeitgebern möchten Sie sich sicherlich nicht anlegen.“
Wie konnte ich diesem charmanten Angebot widerstehen?
Also blieb mir nach kurzem Überlegen nichts anderes übrig, als zu unterschreiben.
Und mein nächster Ausflug würde zur Mecklenburgischen Seenplatte führen.
Da war es bestimmt bedeutend ruhiger …
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