Renate Müller

Es ist still im Gang. Ich treffe die längst fällige Entscheidung und öffne die Tür.

Der Mann im Abteil schaut verblüfft von seiner Lektüre auf, als ich eintrete. Der Mann im Abteil sieht aus wie …

George Clooney!

Ich werde knallrot. Gott, wie peinlich.

„Entschuldigung. Ich wollte nicht…“ Ich bringe kaum ein Wort raus.

Da lächelt er mich an. George Clooney lächelt und die Welt wird schöner.

Mein Puls beschleunigt sich um den Faktor 10 und die Luft im Abteil wird plötzlich knapp. Meine Umhängetasche rutscht mir von der Schulter, die Zeitschrift, die Bernhard mir am Bahnhof gekauft hat, fällt mir aus den Händen. Und zu allem Überfluss fährt der Zug nun mit einem Ruck an und ich lande … auf dem Schoß von George Clooney.

Wo ist das nächste Mauseloch?

Ich weiß nicht wohin ich schauen soll und verstecke mein Gesicht hinter meinen Händen.

George Clooney bewegt sich: „Es ist mir zwar eine große Ehre, als Ihr Sitzkissen zu dienen, aber meinen Sie nicht, wir hätten es beide auf getrennten Sitzen bequemer?“

Ich schieße von seinem Schoß und lasse mich auf die gegenüberliegende Bank fallen. Ich japse: „Entschuldigung. Bitte entschuldigen Sie.“ Zu mehr reicht mein Atem nicht. Vor Scham bricht mir der Schweiß aus allen Poren, mein Gesicht glüht wie eine 200-Watt-Birne.

Dabei wäre Verdunkelung jetzt vorteilhafter für mich. Oder ein Ganzkörperschleier.

Ich sitze mit George Clooney bzw. seinem jüngeren Double im Abteil. Und meine Augenbrauen sind nicht gezupft, meine Beine nicht rasiert und meine Fußnägel nicht lackiert. Ich verstecke die Unlackierten unter der Sitzbank und versuche, meinen form- und farblosen Rock über die Unrasierten zu ziehen.

Meine Fußnägel biegen sich nach oben, als mir klar wird, wie ich aussehe. Meine Brille war im vorigen Jahrhundert modern, meine Jacke noch 100 Jahre früher und meine Bluse… reden wir nicht drüber.

George hebt den Blick von seiner Zeitschrift und lächelt mich an. Ehrlich! Er fragt:

„Vielleicht darf ich mich erstmal vorstellen. Ich heiße Georg Clunert.“  

Das glaub ich jetzt nicht.

„Ich bin Elli Furcht. Äh Frucht. Frucht. Eleonore Frucht. Das ist mein Name.“

„Das ist doch mal ein gesunder Name“, erwidert George und zwinkert. Sein Zwinkern bringt meine Haut zum Kribbeln. In meinem Magen schlägt irgendetwas Purzelbäume und mein Hirn stellt alle Funktionen ein.

Er fragt: „Und wohin fahren Sie?“

„Nach Flugfurt zum Frankhafen.“

„Nach … zum …?“ George zieht die Augenbrauen hoch und legt seinen Kopf schief. „Sind Sie sicher?“

Natürlich bin ich sicher, ich weiß doch, wohin ich fahre. Oder etwa nicht? Warum glauben Männer, Frauen wüssten nicht, was sie reden? Oder tun.

Da ertönt ein schriller Sirenenton, so plötzlich und so laut, dass ich alles von mir werfe, mir die Ohren zuhalte und auf die Sitzbank hüpfe. Leider habe ich so keine Hand mehr frei, um mich festzuhalten und falle deswegen prompt wieder runter und lande …  auf Georges Schoß. Derweil heult die Sirene immer weiter.

„Da..  om..I ..sche.“  Erst als er es wiederholt verstehe ich, was er sagt: „Das kommt aus Ihrer Tasche.“

Aus meiner Tasche? Ich schüttele den Kopf und klammere mich an Georges Hemdbrust. Den verlässt seine Höflichkeit, er schubst mich von seinen Knien, hebt meine Tasche auf und greift hinein. In dem Moment, als er die Sirene herauszieht, wird mir klar, woher der Alarm kommt.

„Den Taschenalarm hat mein Bruder mir aufgezwungen, Bernhard. Wenn ich in Gefahr geriete, müsse ich sofort an dem Ring ziehen und den Alarm auslösen. Der würde jeden Schurken vertreiben.“

George hört mir fasziniert zu: „Nicht nur die Schurken,“ meint er. „Reisen mit Ihnen ist jedenfalls nicht langweilig.“ Er grinst mich an, als hätte ich ihm ein lang ersehntes Geschenk gemacht.

Mir wird heiß, ich muss sofort das Fenster öffnen. Hektisch springe ich auf, bleibe mit dem Fuß in meiner Tasche hängen, stolpere, drehe mich um meine Achse und … finde mich in Georges Armen wieder. Er hält mich fest. Sehr fest. Ich möchte eigentlich nicht, dass er mich wieder loslässt. Tut er auch nicht, er schaut mir stattdessen in die Augen und lächelt. 

Er hat sogar die gleiche Augenfarbe. Tiefbraun. So dunkel wie Bitterschokolade. Und ein winziges Fältchen unter seinem Zwinkerauge.

Ich kralle meine Finger in seine Jacke.

Meine Knie sind aus Gelee, mein Herz schlägt alle Geschwindigkeitsrekorde und ich kann mich nicht entscheiden: möchte ich im Erdboden versinken oder lieber noch ein bisschen in seinen Armen bleiben.

Er riecht gut. Er riecht, wie frau sich vorstellt, dass Georg Clooney riechen muss. Nach Mann und Abenteuer. Bernhard riecht nach Apfelshampoo und 3-Wetter-Taft. Solide und haltbar.

George stellt mich ganz vorsichtig auf meine eigenen Füße, hilft mir, mein Hab und Gut, das im ganzen Abteil verstreut ist, zusammen zu suchen und setzt sich erst, als auch ich wieder fest auf meinem Platz installiert bin.

Ganz langsam normalisieren sich mein Puls und mein Atem. Auch ohne ihn anzusehen, spüre ich, dass George mich beobachtet. Wahrscheinlich fürchtet er, dass ich gleich wieder durchdrehe.

„Wissen Sie, dass George Clooney einen eigenen Asteroiden hat?“ platze ich heraus.

„Einen eigenen Asteroiden?“ wiederholt George. „Und was tut er damit?“ Er zwinkert dabei (schon wieder, immer mit dem linken Auge – es sieht schrecklich nett aus).

„Na, eigentlich hat er ihn nicht. Der Asteroid ist bloß nach ihm benannt. Das muss doch ein schönes Gefühl sein, zu wissen, dass dort oben ein Asteroid rumsaust, der so heißt wie man selbst,“ sage ich.

„Hätten Sie gerne einen Frucht-Stern, Frau Frucht?“ fragt George und kann sein Lachen kaum verbergen.

Ich muss selbst lachen: „Warum nicht, wenn er wie eine Erdbeere aussieht.“

Ich habe das Gefühl, als würde ich ihn schon ewig kennen.

„Wohin waren Sie nochmal unterwegs, sagten Sie?“

Ich konzentriere mich auf die Beherrschung meiner Sprechmuskeln und schaffe es tatsächlich, ihm in ganzen deutschen Sätzen zu antworten: „Ja, also, das ist so. Ich habe eine Reise gewonnen. Einen Flug nach New York und 3 Übernachtungen. Können Sie sich das vorstellen?“

George nickt. Leider zwinkert er jetzt nicht, sein Zwinkern gefällt mir ziemlich gut.

„Wo oder wie haben Sie diese Reise denn gewonnen? In einem Wettbewerb?“

„Nein, in einem Preisausschreiben. Stellen Sie sich das vor. Ich mache nämlich jedes Preisausschreiben mit, das ich irgendwo sehe. Schon seit Jahren. Aber außer einer Flasche Sebamed Duschgel und einem Jahresvorrat an Schnürsenkeln habe ich bisher noch nie etwas gewonnen. Und jetzt das. Diese Reise. Na ja, nur den Flug und das Hotel. Bis zum Flughafen muss ich allein kommen.“

Ich kann die Stopptaste für meinen Mund nicht finden und quassele immer weiter: „Und ich war nämlich noch nie irgendwo. Und schon gar niemals in New York.“

George schafft es, mich zu unterbrechen: „Da ergeht es Ihnen ja wie Udo Jürgens“, meint er und netterweise zwinkert er wieder.

Ich kann ihm erst nicht folgen, doch dann fällt der Euro centweise. „Ja, wie in dem Lied, nicht wahr?“ Ich summe die Melodie und George stimmt ein. Es klingt vielleicht nicht wirklich wie Udo, aber es macht fröhlich. Und beruhigt.

 

Die Abteiltür geht auf und der Schaffner schaut herein.

„Guten Tag, jemand zugestiegen? Die Fahrkarten bitte.“

Oh Gott, wo habe ich meine Fahrkarte? Vorhin hatte ich sie noch, wo habe ich sie bloß hingesteckt? Mein Herz rast wie ein Ferrari unter Michael Schumacher, während George mich beobachtet und wahrscheinlich die Schweißtropfen auf meiner Stirn zählt.

„Ich habe eine, ganz gewiss habe ich eine. Das glauben Sie mir doch“, beginne ich mit dem Kontrolleur zu verhandeln, während ich immer tiefer in meiner Tasche wühle. Durch den Sturz vorhin ist alles darin völlig durcheinandergewirbelt worden und ich kann die Fahrkarte einfach nicht finden.

„Könnte das hier Ihr Ticket sein?“ George wedelt mit einem Stück Papier vor meiner Nase. „Hier unter Ihrem Sitz lag sie, ist wahrscheinlich aus Ihrer Tasche gefallen.“ Er reicht dem Schaffner meine Fahrkarte. Der guckt streng und zückt den Stempel. Ich hebe die Hand, um die Karte wieder entgegen zu nehmen, doch der Schaffner hält inne, liest nochmal, was auf meiner Fahrkarte steht. Er schaut mich an, schaut die Karte an und schaut wieder zu mir.

„Tja, gute Frau, da hätten Sie wohl besser mal aufgepasst beim Einsteigen,“ sein Blick ist wirklich ziemlich streng. Ich würde am liebsten wieder auf Georges Schoß Zuflucht suchen.

„Der Zug hier fährt nach Frankfurt.“

„Da will die Dame ja auch hin, Herr Schaffner.“ George mischt sich ein.

Die Dame, das bin ich. Und ich fühl mich wirklich sehr dämlich, als der Schaffner sagt: „Ja, das kann schon sein. Aber die Fahrkarte gilt für eine Fahrt nach Hamburg.“

Ich starre ihn an wie die Maus die Katze, bevor die endgültig zuschnappt. George blickt vom Schaffner zu mir und bricht in schallendes Gelächter aus. Dabei zwinkert er in Höchstgeschwindigkeit. Währenddessen sind alle meine Sprechwerkzeuge endgültig in unbefristeten Streik getreten, ich öffne und schließe meinen Mund, aber es kommt nichts heraus.

Der Schaffner tappt ungeduldig mit dem Fuß: „Was nun? Die Fahrkarte gilt nicht, Sie fahren also ohne gültigen Fahrausweis, gute Frau.“

Die „gute Frau“ ist den Tränen nahe. Georges Gelächter macht die Sache auch nicht besser. Der Schaffner schaut uns an und wird immer grimmiger. Vermutlich ruft er gleich die schwarzen Sheriffs.

George hat sich wieder so weit gefasst, dass er verständlich sprechen kann: „Lassen Sie die Dame doch die richtige Fahrkarte nachlösen, bitte. Sie sehen doch, es war ein Versehen. Die Fahrt nach Hamburg holt sie demnächst nach.“ Er wendet sich an mich: „Und diese Fahrt machen wir wieder gemeinsam. Dann lade ich Sie in Hamburg ins Musical ein, in eine Vorstellung von ‚Ich war noch niemals in New York.‘ “

Ich wünschte, er würde wieder zwinkern.

Ich fahre nach New York.

Und ich habe ein Date mit George Clooney.

Zum Teufel mit dem Mausloch.