Von Barbara Hennermann

So schlechte Laune hatte Rüdiger schon lange nicht mehr gehabt!

Er hatte sich die Nacht vor dem Fernseher um die Ohren geschlagen, immer in der Hoffnung, die Vorhersagen mögen sich nicht erfüllen … Leider kam es noch weitaus schlimmer als befürchtet. 

Die Präsidentenwahl erfüllte sämtliche schlimmen Vorahnungen, ja übertraf diese sogar: Haushohe Überlegenheit des Orangefarbenen! Ungeachtet krimineller Vergehen, gesellschaftlicher Schieflage, angekündigten Abbaus der Demokratie und dergleichen mehr in der gruseligen Liste … 

Kein deutsches Problem? Wohl doch. Womöglich ein weltweites. 

Und dann kam auch noch der lustvolle Zusammenbruch der eigenen Ampelregierung dazu – was für ein Tag!

Rüdiger reichte es. 

Er strebte nach Ablenkung und Wiedergutmachung seiner persönlichen Vorstellung von  globaler Harmonie.

Er musste umgehend etwas für sich selbst tun!

 

Zum Glück hatte der Dauerflohmarkt am Kaltenhof in Mainberg Mittwochnachmittag  geöffnet.

Flohmärkte waren Rüdigers liebste Freizeitbeschäftigung.

Dort würde er gewiss auf Freude spendende Gedanken kommen …

 

– – – 

 

Schwungvoll stellte Rüdiger die Pappschachtel ab.  

Er holte drei Figuren aus dem Karton und legte sie auf den Wohnzimmertisch.

Im Dämmerlicht der Kellergewölbe am Kaltenhof hatte er sie nicht genau begutachten können.

Es sollten wohl Frösche sein. Oder Unken? Kröten? Rüdigers zoologische Kenntnisse erwiesen sich als dünn.

Aber eigentlich war das egal.

Rüdiger nahm die größte der Hartplastikfiguren in die Hand. 

Diese stellte eindeutig eine weibliche Person in Froschnatur dar. Eine Krankenschwester oder Sanitäterin, dem Haarschmuck nach zu schließen? Oder gar eine Ärztin mit dem Stethoskop ? 

Die Dame sah jedenfalls nicht gerade glücklich aus mit ihren verdrehten Augen, keine Spur von Frohnatur! 

„Du siehst aus, als hättest du schwere Zeiten hinter dir“, grinste Rüdiger.  „Drum deutest du wahrscheinlich mit deinem golden lackierten Zeigefinger Hilfe heischend auf dich selbst.“

Schmunzelnd stellte er die Figur auf den Tisch zurück und nahm sich die nächste vor.

 

„Oho, mein Freund!“ Rüdiger drehte den Unkenkrötenfrosch in der Hand. „Du bist ja ein ganz Gefährlicher! Willst wohl Angst und Schrecken verbreiten?“ Ein breitbeiniges Kerlchen mit Panamahut und Flinte war das. Nach Hasenjäger sah der allerdings nicht aus! Schon eher wie ein Mafioso. 

 

Der Dritte im Bunde war dagegen offenbar eine arme Kreatur. Nix Großes, nix Besonderes, nix Gefährliches. Im Gegenteil. Ein kleiner Alter, der sich am Rollator festklammerte und nur gerne in Ruhe seine Rente eingefahren hätte.

 

– –

 

Jetzt, daheim und bei Licht betrachtet, war Rüdiger froh, dass er nicht viel für das Konvolut bezahlt hatte. Irgendwie war das eine Gurkentruppe, ohne Zweck und Ziel. Lange nicht so interessant, wie er beim Trödler gedacht hatte, wenn auch irgendwie ungewöhnlich!

 

 

Aber bis Weihnachten war ja nicht mehr so lange hin. 

Und sein Onkel Georg hatte einen gewissen  Sinn für Abstruses. Dem könnte die Gruppe gefallen.

„Aber jetzt lass ich euch erst einmal hier, ihr Froschlurche.“

Rüdiger schob am großen Wohnzimmerfenster den Philodendron zur Seite.

Dann platzierte er die Gummimännchen als interaktive Gruppe zwischen die langen Luftwurzeln: Mafioso bedroht Rentner mit Gewehr, Nachtschwester bittet angstvoll um Hilfe für sich selbst …

Eigentlich sah die Truppe so doch recht lustig aus!

Lachend löschte Rüdiger das Licht im Wohnzimmer und ging ins Bett. 

 

* * *

 

O mein Gott!

Was für eine Zeit!

Alles habe ich gegeben, alles.

Unkenrufe, haben sie gesagt.

Un-ken-ru-fe!

Hör auf damit, Pamela.

Was wird kommen? haben sie gefragt.

Er. 

Er wird alles zerstören, habe ich gesagt. Ihr dürft das nicht zulassen.

Überall war ich, euch zu begegnen. 

Sogar der Heilsarmee bin ich beigetreten, um näher bei euch zu sein.

Euren Herzschlag habe ich gehört – also, immerhin habe ich mich ehrlich darum bemüht.

Ich habe gerockt, getanzt, gefeiert, bin über mich hinausgewachsen. 

Alles für euch, für euer Wohlergehen, eure Zukunft.

Aber die Zeit hat nicht gereicht, euch zu erreichen, euch zu überzeugen.

Ich bin am Ende.

Wisst ihr was?

Rutscht mir doch alle den Buckel runter!

Ihr habt die Chance nicht wahrgenommen.

Jetzt schaut, wo ihr bleibt!

 

* *

Ha!

Was für eine Zeit!

Natürlich war immer klar, dass ich das Rennen machen werde.

Ich bin einfach der Beste. In allem.

Egal, was ich sage. Egal, was ich tue.

Ihr liebt mich dafür.

Denn ich bin einer von euch.

Ihr spürt das. Ihr riecht das.  Ihr schmeckt das.

Ich bin wie ihr.

Nicht ehrlich. Nicht anständig. Nicht großmütig oder liebevoll. 

Aber immer authentisch.

Ich schieße mir den Weg frei.

Weg mit dem Gesindel, Ronald!

Ich pfeife auf Werte, auf Gerechtigkeit, auf Recht und Ordnung.

Ich lebe, wie ihr gern leben würdet.

Ich zeige euch den Weg.

 

Make Ronald great again! Don´t be a frog!

 

*

 

Achgottachgott.

Achgottachgottachgott!

Was für eine Zeit!

Mein Lebtag lang hab ich gearbeitet, geschuftet, gebuckelt.

Und was hat´s mir gebracht?

Zahlen hab ich müssen, immer nur zahlen. Draufzahlen.

Es hat doch nie einen interessiert, wie´s mir geht.

Aber zahlen lassen haben sie mich.

Da Steuern, dort Steuern, Abgaben, Zwangsversicherungen … ein Fass ohne Boden. 

Gebuckelt hab ich, geschuftet, aber was ist mir geblieben?

Leere Worte. „Du schaffst da schon … Streng dich mal ein bisschen an … Das wird schon werden …“

Die da oben haben leicht reden. Die baden im Geld, im Überfluss. Die haben keine Sorgen.

Aber ich, ich hab nichts als wie meinen Rollator und ein leeres Rentenversprechen. 

 

Ja, ich weiß, der Kerl ist ein Verbrecher, ein Lügner, ein Krimineller. 

Ich seh ja, wie er auf mich zielt. Er will mich in Schach halten mit seiner Knarre. So wie alle anderen „kleinen Leute“ auch. Pamela hat garantiert Recht. Ronald ist eine Gefahr für uns alle.

Aber, haha, ich bin kein Angsthase. 

Die Frechen siegen, das war schon immer so.

Seit der Steinzeit. Faustrecht.

Hat doch funktioniert, oder?

Ich häng mich jetzt einfach in dem seinen Windschatten. Schlimmer kann´s ja nicht mehr werden.

Oder?

Dann brennt der Globus …

 

  – – –

 

Meine Güte!

Was war denn das für eine Nacht gewesen?

Rüdiger schob verquollenen Auges die Bettdecke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett.

So einen Stuss wie diese Nacht hatte er schon lange nicht mehr geträumt:

Sein Flohmarktfund hatte ein Eigenleben entwickelt …

 

Kopfschüttelnd schlorchte er zum Wohnzimmer. 

Im Flur riss er vom Wandkalender im Vorbeigehen den gestrigen Wochentag ab – Mittwoch, 6. November 2024. 

Vage dachte Rüdiger: „Für die Welt war das kein guter Tag.“ 

Er zerkrümpfelte das Kalenderblatt und schnippste es in den Papierkorb.

 

Als er die Wohnzimmertür öffnete, schlug ihm ein seltsamer Geruch entgegen.

Rüdiger schnupperte.

Es roch …. nach Hochmut … nach Tränen … nach Angst …  nach Panik ? 

Vor allem aber … verbrannt?

Rüdiger begriff das nicht.

Es sah doch alles aus wie gestern Abend!

Jetzt erst schweifte sein Blick zum Fenster.

Da stand die grüne Gurkentruppe, wie er sie gestern arrangiert hatte.

Oder doch nicht ganz?

Seltsam.

Die Dame mit der Schwesternhaube sah irgendwie verheult  aus.

Der Mafioso mit dem Gewehr schien um etliche Zentimeter gewachsen zu sein.

Und der Kleine hing komplett verschrumpelt an seinem Rollator. 

Am übelsten aber hatte es den Philodendron erwischt – gestern noch eine satt grüne, gesunde Pflanze hatte er sich über Nacht in eine vertrocknete, braune Missgeburt verwandelt.

Rüdiger wurde es ein wenig unheimlich. Er spürte ein unangenehmes Kribbeln am Rücken und hatte das Gefühl, als stellten sich seine Nackenhaare auf …

 

Warum eigentlich mit dem Geschenk bis Weihnachten warten?

 

Er packte das Konvolut wieder in den Karton.

Es schien ihm, als zucke der Mafioso widerspenstig in seiner Hand. 

Einbildung? 

 

Weg damit!

 

Morgen würde er Onkel Georg einen Besuch abstatten und ihm ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk bringen … Onkel Georg mochte Kuriositäten und hielt zum Glück nichts von  Parapsychologie.

 

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