Felicitas Jacobs

Abschrift vom 10.07.2019, Aktenzeichen AZ 3/626/ 2019, weitergleitet aus Patras/Griechenland an Deutschland Berlin/ Abschnitt 42, Zeugenbefragung von Gisela Krambert, geb. 15.4.1955, wohnhaft in Bln 10788, Bamberger Straße 22b.

 

Befragung am 14.07.2019, 09.00h, Berlin, Gothaer Straße 34

            Anwesend: Erster Kriminalhauptkommissar Sascha Meier

A.L.     Leiter der Befragung: Kriminalkommissar August Lindenthal                                                                            G.K.       Befragte Gisela Krambert

 

A.L.    Frau Krambert, ich fasse jetzt mal die uns vorliegenden Protokolle der Befragung von den Kollegen aus Patras zusammen, damit wir hier zügig vorankommen.

G.K.    Gerne.

A.L.    Es freut mich, dass Sie das positiv sehen. Ihr Mann ist also ein guter Schwimmer?

G.K.    Aber ja.

A.L.    Wie schön. Wobei – so recht kann ich mir da noch kein Bild machen. Es wäre fein, wenn Sie das erläutern könnten.

G.K.    Erläutern? Was gibt es denn da zu erläutern?

A.L.    Hm.

G.K.    Hm?

A.L.    Wie ausdauernd schwimmt er, macht er das regelmäßig, ist er Sportler….

G.K.    Nun ja. Wir verbringen den Sommer immer im Süden am Meer, eben damit wir jeden Tag ins Wasser können. Die Bucht der kleinen Insel, zu der wir täglich schwimmen, ist nicht weit entfernt. Aber die Strömung dort ist tückisch.

A.L.    Hm.

G.K.    Hm??

A.L.    Ich lese im Protokoll, dass Sie an diesem Tag für den Rückweg aus dieser Bucht hektisch über den Sandstrand ins Wasser gelaufen sind. Und geschrien haben.

G.K.    Bitte was? Hat das dieser junge Kerl behauptet? Das ist gelogen.

A.L.    Hm.

G.K.    Wie jetzt …. hm? Was werfen Sie mir eigentlich vor?

A.L.    Woher wussten Sie, dass die Strömung tückisch ist?

G.K.    Unser Vermieter machte uns darauf aufmerksam.

A.L.    Aha. Und dennoch schwammen sie dort?

G.K.    Ja. Schon seit 14 Tagen jeden Morgen hin und nachmittags zurück.

A.L.    Hmmmm…

G.K.    Jaaaa…?

A.L.    Tja.

G.K.    Sagen Sie, was wollen Sie eigentlich? Mein Mann ist verschwunden, kurz hinter den Klippen. Er schwamm hinter mir, und plötzlich war er weg. Als ich ihn nicht mehr sah, habe ich immer wieder laut seinen Namen gerufen. Aber es war unmöglich, ihn schwimmend zu suchen. Eben wegen dieser Strömung.

A.L.    Hm. Ich verstehe.

G.K.    Tatsächlich? Wie schön.

A.L.    Nun ist es aber so, dass der Zeuge behauptet, Sie und Ihr Mann hätten sich angeschrien, noch bevor Sie beide ins Wasser gingen. Er habe einen sehr lauten, nahezu handgreiflichen Streit zwischen Ihnen beiden gehört. Aus Sorge habe er sich eingemischt.

G.K.    Aus Sorge? Das soll wohl ein Witz sein. Der junge Mann hat uns angepöbelt. Mein Mann und ich hatten lediglich eine kleine Auseinandersetzung wegen seiner Badehose.

A.L.    Dann stimmen Sie also zu, dass Sie sich gestritten haben, bevor Sie ins zurückschwammen?

G.K.    Ja. Herrgott nochmal, das ist doch – meine Güte. Ehepaare streiten sich. Was ist dabei? Dann haben wir uns halt laut unterhalten.

A.L.    Unterhalten?

G.K.    Unterhalten, genau. Ich bin gespannt, was Ihnen daran jetzt schon wieder nicht passt…

A.L.    Hm. Zeugen – und bislang sind Sie eine Zeugin – also, Zeugen sind sich meistens nicht bewusst, wie selektiv Beobachtungen von unserem Gehirn abgespeichert werden.

G.K.    Ach ja, ist das so?

A.L.    Ja. Interessant, nicht wahr? Nochmals: Sie stritten sich, bevor Sie ins Wasser gingen?

G.K.    Kann sein. Weil dieser verrückte Irre meinen Mann plötzlich beschimpfte, anspuckte, zum Schluss sogar handgreiflich wurde.

A.L.    Wie genau wurde er handgreiflich?

G.K.    Er schubste Gerd, stieß ihn gegen die Brust.

A.L.    Können Sie sich erklären, warum er schimpfte, spuckte, handgreiflich wurde?

G.K.    Nein. Das kam aus heiterem Himmel.

A.L.    Hm.

G.K.    Ja?

A.L.    Tja…

G.K.    Oh bitte!! Ihr dauerndes Hm und Tja…was missfällt Ihnen denn jetzt schon wieder?

A.L.    Der junge Mann sagt, ihr Mann sei zu einem der kleinen Bäume gegangen, um sich zu erleichtern. Und dort habe er ihn, wie soll ich sagen, angepinkelt…

G.K.    Angepinkelt? Das sagt er?

A.L.    Hm.

G.K.    Das – ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das ist so absurd…

A.L.    Haben Sie eine Idee, wie der Zeuge darauf kommt?

G.K.    Wie bitte? Aber nein! Und selbst wenn – ich betone, wenn – mein Mann das getan haben sollte, dann geschah das aus Versehen. Verstehen Sie? Aus Versehen…

A.L.    Der junge Mann behauptet, Sie auf die Unsitte des öffentlichen Verrichtens von Notdurft hingewiesen zu haben. Es handle sich um Umweltverschmutzung.

G.K.    Pah! Wir haben lediglich erwähnt, dass der Begriff Umweltverschmutzung wohl stark übertrieben ist…

A.L.    Daraufhin hätten Sie beide zusammen ihn, warten Sie, hier im Protokoll ist es so formuliert: Sie hätten ihn einen lausigen Vertreter seiner Altersgruppe genannt, ohne Sinn für Verhältnismäßigkeit. Einen durchgeknallten, selbstgerechten Öko-Freak.

G.K.    Ach ja?? Nun, wir haben ihn drauf aufmerksam gemacht, dass seine Haschzigarette, die weithin zu riechen war, ihn stärker mit der dortigen Polizei in Schwierigkeiten bringen könnte, als wenn da jemand mal an einen Baum pinkelt. Das war eine gute gemeinte Warnung. Drogenmissbrauch wird dort streng geahndet. Das müssten Sie als Polizist doch am besten wissen.

A.L.    Hm.

G.K.    Oh mein Gott. Sie machen mich noch völlig verrückt mit Ihrem…Hm.

A.L.    Hm. Tatsächlich….

G.K.    Ja, tatsächlich. Kann ich jetzt gehen?

A.L.    …tatsächlich gibt es noch einen Punkt, den ich gerne mit Ihnen besprechen möchte.

G.K.    Nur zu. Sie haben ja scheinbar sonst nichts zu tun. Zum Beispiel die Suche nach meinem Mann fortsetzen…?

A.L.    In Ihrem Urlaubsgepäck wurden starke Beruhigungsmittel gefunden. Verschreibungspflichtig.

G.K.    Ja. Nichts Neues unter der Sonne. Die gehören meinem Mann.

A.L.    Aha.

G.K.    Er schläft oft nicht gut. Dann nimmt er sowas im Notfall. Das ist alles.

A.L.    Aha.

G.K.    Mein Gott…

A.L.    Etwas macht mich allerdings stutzig.

G.K.    ??…??

A.L.    Laut Laborbericht befinden sich nur Ihre Fingerabdrücke auf der Schachtel und auf dem Tablettenstreifen selber. Von dem nur ein angebrochener übrig ist, von insgesamt zwei Streifen. In dem sich lediglich zwei Tabletten befinden. Haben Sie eine Ahnung, warum das so ist?

G.K.    …….

A.L.    Das dachte ich mir. Haben Sie einen Anwalt? Ich glaube, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, ihn anzurufen. Oder sollen wir Ihnen einen besorgen?

 

Ende der Befragung am 14.07.2019, 09.30h

 

Der Erste Kriminalhauptkommissar Sascha Meier schob das Formular der Befragung von Gisela Krambert auf dem Tisch seinem Mitarbeiter August Lindenthal zu.

„Nicht schlecht,“ sagte er lächelnd. „Weiter so.“

Kriminalkommissar Lindenthal atmete auf. Doch das Druckgefühl in der Brust hielt die aufkommende Erleichterung in Schach. Er schwieg und sah seinem Vorgesetzten in die Augen. Standhalten war eine von Sascha Meiers vielen Maximen. „Wie wollen Sie ihrem Verdächtigen bei der Vernehmung in die Augen schauen, wenn Sie das noch nicht einmal bei mir schaffen?“ hatte er gestern erst eine junge Kriminalmeisterin angeblafft. Wie immer lächelnd. Lindenthal schaute in Meiers eisblaue Augen und versuchte nicht zu blinzeln. Plötzlich wandte sein Chef sich ab und sah wie angelegentlich nach draußen.

„Die Fragen waren gut gesetzt. Auf jeden Fall,“ sagte er nachdenklich zu der Kastanie vor dem Fenster. „Viele offene Fragestellungen, die eine lockere Atmosphäre schufen. Und die Befragte zunehmend irritierten.“

Lindenthal begann erneut zu schwitzen, sein Herz hämmerte. Statt zu weichen, schraubte der Druck sich wieder fester um seinen Brustkorb. Schon klar, was jetzt folgen würde. Allerdings wusste man nie genau, an welcher Stelle der Suppe der Erste Kriminalhauptkommissar Meier das Haar finden und mit spitzen Fingern herausziehen würde. „Natürlich wären solche Vorhaltfragen mit vorausgesetzten Fakten oder implizierten Erwartungen öfters sinnvoll gewesen. Viel öfter. Können Sie mir folgen?“ Lindenthal nickte. „Fein. Hätten Sie auch eine Idee, warum das so ist?“  Meier lächelte ihn ermunternd an. „Nur zu. Faktengestützte Vorhaltfragen sind einzusetzen, um…?“

 „…die Befragung voranzutreiben,“ antwortete Lindenthal und unterdrückte ein Seufzen. Doch auf einmal stieg ein ungewohntes Gefühl in ihm hoch. War das etwa Wut? Er zählte bis drei und atmete ruhig. „Mit Verlaub, Herr Kriminalhauptkommissar. Ich habe die entscheidende Vorhaltfrage am Ende bewusst angepeilt. Sie wissen schon, die Frage nach den Tablettenstreifen mit den nachgewiesenen Fingerabdrücken…“

Meier sah ihn lächelnd an. „Na klar haben Sie das. Hätten Sie schon viel früher machen können, mit dem gleichen Ergebnis.“ Er trommelte kurz und rhythmisch mit den Fingern auf der Tischplatte.

„Glauben Sie, ich wüsste nicht, dass alle mich Chief Suppenhaar nennen? Es ehrt mich. Denn genau das macht unseren Job aus: Wir finden das Detail, den heruntergefallenen Ohrring, das einzige Haar des Täters auf dem Mantel des Toten. Wir finden Beweise. Wir finden Vergessenes. Übersehenes. Wir finden das Haar in der Suppe.“

Er stand auf und musterte Lindenthal jetzt von oben herab. Sein Blick hat etwas von einem Krokodil, dachte Lindenthal und wich unwillkürlich ein paar Zentimeter zurück.

„Zusammen mit den ebenso wie wir akribisch arbeitenden Archäologen machen wir den Haaren in Suppen alle Ehre,“ sagte Meier und schob seinen drahtigen, schlanken Körper an Lindenthal vorbei. An der Tür drehte er sich nochmal um.

„Apropos“, sagte er, „Diese Zeugin war dem Druck wohl nicht mehr gewachsen und hat sich gerade eben als Täterin geoutet. Hatte ihrem Mann tatsächlich die starken Tabletten in seinen süßen Energydrink gemischt. Den trank er immer kurz vor der morgendlichen Schwimmtour. Ob er das überlebt hat und irgendwo auftaucht oder leblos an Land gespült wird, bleibt abzuwarten. Gute Arbeit, Lindenthal. Man sieht sich…“

 

Die Tür fiel ins Schloss.

 

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