Von Maria Monte

Es ist ein herrlicher Morgen, hier im Wald am See. Die Vögel singen schon etwas lauter, die Sonne steigt hinter den alten Kiefern empor. Wie immer an solchen Tagen schaue ich hinter unser Wohnwagendomizil zur Waldhütte von Regina und Manne. Beide sind schon auf den Beinen und winken: „Guten Morgen.“ Ich winke zurück und rufe ebenfalls einen fröhlichen Gruß hinüber.

„Geh schon mal runter zum See, wir kommen gleich nach dem Zähneputzen nach“, rufen sie mir zu.

Ich trotte noch etwas schlafbenommen den Waldweg entlang und freue mich auf das morgendliche Bad im Zeesener See. Die Badestelle liegt friedlich und ebenfalls noch verschlafen da. Nur einige Enten fühlen sich gestört und schnattern beim Wegfliegen empört. Ich schwimme meine Bahnen, genieße das Nass an meinem Körper. Nach dem Duschen und Abtrocknen tauchen andere Morgenbader auf.

„Guten Morgen, gut geschlafen?“, begrüßen wir uns. Heute ist sogar noch ein Schwätzchen drin.

„Habt ihr gestern noch lange am Feuer gesessen?“ 

„Ach, es war ja der erste warme Abend mit einem herrlichen Sternenhimmel, da wurde es schon ein bisschen später“, erhalte ich Auskunft.

„Wo hast du denn Regina und Manne gelassen?“, werde ich gefragt.

„Eigentlich wollten sie gleich nachkommen, aber es scheint etwas dazwischen gekommen zu sein. Ich werde gleich nach dem Rechten sehen, wenn ich wieder oben ankomme,“ antworte ich.

Gesagt, getan. Regina und Manne gehören inzwischen zu unseren Senioren, die, obwohl sie noch relativ rüstig sind, auf unsere Hilfe und Unterstützung zählen können.

Fünf Schritte von der Hütte entfernt, mache ich mich bemerkbar. „Klopf, klopf, was ist passiert? Habt ihr es euch anders überlegt und macht heute Katzenwäsche?“ Beide wuseln um ihr Domizil und schauen gebannt auf den Waldboden. Manne winkt ab, Regina hält sich ein Taschentuch an den Mund und winkt ebenfalls nur ab.

„Na, dann will ich euch nicht stören, Jürgen wartet schon mit dem Frühstück auf mich“, spreche ich in Richtung Wald beim Weggehen. Ein herrlicher Kaffeeduft strömt mir entgegen, es riecht nach frischen Brötchen und Frühling. Heute wird ein wunderschöner Tag werden. Endlich können wir nach dem langen Winter wieder hier auf unserem Naturcampingplatz mit Sport und Spaß unser Seniorendasein genießen.

Nach dem ausgiebigen und genussvollen Frühstück räumen wir unser Geschirr in die Abwaschschüssel. Hier draußen leben wir recht spartanisch, das Wasser holen wir von den Wasserstellen. Das Gebrauchswasser verspritzen wir im hohen Bogen in die Natur um uns. Das Moos und das Unterholz danken es uns.

Inzwischen bemerke ich etwas Unruhe bei unseren Sportfreunden hinter uns. Marina läuft nun auch mit gesenktem Kopf bei ihnen herum.

„Habt ihr etwas verloren, darf ich euch beim Suchen helfen?“, biete ich mich an.

Regina sitzt am Kaffeetisch und weint. Sie scheint schon gefrühstückt zu haben, hält sich aber noch immer ihr Taschentuch vor den Mund. Stattdessen klärt mich Marina auf.

„Stell dir vor, Regina hat mit dem Waschwasser ihr Gebiss in den Wald entsorgt. Und obwohl der Radius ja nicht so groß sein kann, ist es nicht zu finden.“

Inzwischen beläuft sich die Suche auf zwei Stunden, das Ding ist weg. Wie verhext. Vom Waldboden verschluckt.

Ein Verlust, der nicht einfach so hinzunehmen ist. Natürlich grinsen wir uns inzwischen an.

„Die Zähne könnten ja mal Hier rufen“, „Vorsicht, bissiges Moos“, „Habt ihr gehört, der Kuckuck ruft bereits Kukident“ und noch allerhand anderer Unsinn fällt uns ein. 

Regina würde sicher auch gerne lachen, verzieht aber nur ängstlich ihr tränennasses Gesicht. Was mag ihr nun alles durch den Kopf gehen? Ein Termin und der Weg zum Zahnarzt, viel Zeit für neue Abdrücke und viel Geld für die Dritten, beziehungsweise sind es ja dann bereits die Vierten.

„Wir geben nicht auf, wir suchen weiter. Irgendwo muss es ja liegen.“

Weitere Helfer, die sich anbieten, schicken wir zu Manne auf die Terrasse. Wenn hier mehrere Leute auf dem Waldboden herumtrampeln, verbuddelt sich der Zahnersatz noch tiefer. Manne bewirtet die hilfsbereiten Freunde mit einem Gläschen Holunderblütenschnaps. Selbst gepflückt und hergestellt natürlich. Inzwischen ist es schon Mittag. Normalerweise verziehen sich alle für die eine vorgegebene Ruhestunde in ihre Hängematten oder auf ihre Liegen. Heute halten wir zusammen, lautet die Devise. 

Plötzlich jauchzt Marina auf. „Hier, hier, ich hab`s.“

Tief in einer Moossenke leuchtet ihr etwas Silbriges entgegen. Als sie danach greift und daran zieht, hält sie das ganze Gebiss in der Hand. Endlich! Reginas Gesichtsfarbe wechselt von Weiß auf Rot, sie schämt sich trotz oder wegen ihres Alters immer noch. Manne gibt noch eine Lage Holunderschnaps aus, nun gibt es etwas zu feiern.