Von Martina Annecke

Ich wohnte noch kein Jahr in meiner Wohnung, als ich das Gefühl bekam, dass ich dort nicht mehr allein lebte. Es fing mit Kleinigkeiten an. Die Tasse, die auf dem Tisch stand, wenn ich abends von der Arbeit nach Hause kam. Oder verrückte Möbel. Anfangs schob ich mir die Schuld zu. Hielt mich für schusselig oder überreizt. Aber die Flasche Wein, die ich eines Sonntagmorgens geöffnet neben einem Glas auf meinem Wohnzimmertisch fand, wurde mir doch zu viel.  Sofort kontrollierte ich Haustür und Fenster. Alles verschlossen. Sollte ich die Polizei rufen? Ich entschied mich dann doch lieber für einen Anruf bei meiner besten Freundin Lea.

„Tanja, was gibt es denn?“, erleichtert vernahm ich ihre müde Stimme. Aufgeregt erklärte ich ihr, was ich in meinem Wohnzimmer vorgefunden hatte. Aber sie reagierte eher verärgert als mitfühlend. „Und deshalb weckst du mich. Nur weil du dich nicht erinnern kannst, dass du gestern einsam und allein eine Flasche Wein gezecht hast? Du, ich bin wirklich hundemüde. Wir reden später, ja?“ Und sie legte auf. Eine Zeitlang starrte ich auf das Display meines Smartphones und dachte über Leas Worte nach. Hatte sie recht, und war das ich selbst gewesen, die den Wein getrunken hatte? Ich konnte mich an nichts erinnern, räumte das Geschirr weg und legte mich wieder ins Bett. Dort verbrachte ich den Rest des Tages mit grübeln, versuchte mich mit fernsehen und essen abzulenken. Abends wartete ich vergeblich auf Schlaf. Während ich im Dunklen die Decke anstarrte, hörte ich auf einmal den Holzfußboden knarzen. Jemand lief durch mein Wohnzimmer. Erst machte ich mich klein unter der Decke, dann aber siegte die Neugier. Ich schlich durch den dunklen Flur, erstarrte, als meine Füße ebenfalls das alte Holz knarrend bogen. Aber nichts passierte. Als ich um die Ecke in mein Wohnzimmer spähte, war nichts zu erkennen. Das Mondlicht leuchtete durch die Scheiben und zeichnete ein helles Viereck auf den Boden. Aber das Zimmer war leer. Und doch, ich könnte schwören, dass der Sessel anders stand. Schaudernd lief ich zurück in mein Bett und zog mir die Decke über den Kopf. Wartete, dass der Schlaf mich erlöste. Irgendwann tat er mir den Gefallen, aber der Wecker klingelte mich ungnädig wieder heraus. Wie ein Schlafwandler erlebte ich den Tag im Büro, der schneller umging, als mir lieb war. Gespannt schloss ich meine Wohnungstür auf und blickte mich vorsichtig um. Nachdem ich alle Räume kontrolliert hatte, ließ ich mich erleichtert in den Sessel fallen. Es schien alles unverändert. Das Klingeln meines Telefons schreckte mich auf. Lea entschuldigte sich für ihr Benehmen und hatte jetzt Zeit mir zuzuhören. Sie schien interessiert zu sein, aber ich spürte, dass sie mich nicht ernst nahm.

„Wahrscheinlich bist du nur überspannt. Du arbeitest zu viel“, versuchte Lea mich zu trösten und lenkte mich mit Scherzen ab, erzählte von sämtlichen Geistergeschichten, die ihr einfielen.

„Solange du keinen mysteriösen Blutfleck auf deinem Parkett hast, ist alles gut“, beendete sie ihren Vortrag. Erst lachte ich mit, dann blieb es mir im Halse stecken. Ich hatte einen merkwürdigen Fleck auf meinem Wohnzimmerboden. Während Lea mir von ihrem Wochenende erzählte, musterte ich reglos den kleinen Teppich, der den Fleck verbarg. Ich erinnerte mich an meine Wohnungsbesichtigung, bei der mir die Verschmutzung auf dem Holzboden aufgefallen war. Mein Vermieter hatte mir beteuert, dass sie schon dort war, als er das Haus übernommen hatte und mir geraten, einfach etwas darüber zu legen. Was ich damals auch tat. Ich beendete das Telefongespräch, legte das Smartphone beiseite, riss den bunten Stoff hoch und starrte auf den undefinierbaren dunklen Umriss auf den Holzbohlen. Konnte das Blut gewesen sein?

„Mach dich nicht verrückt“, schalt ich mich selbst, legte den Teppich zurück und machte mir Abendessen. Später im Bett fand ich wieder keinen Schlaf, wälzte mich hin und her. Leas Spukgeschichten wanderten durch meinen Verstand. Etwa gegen drei Uhr gab ich es auf einzuschlafen und ging wieder ins Wohnzimmer. Ich schaltete das Licht an, setzte mich mit angezogenen Knien in den Sessel und starrte auf den Teppich, ein Andenken aus einem Mexikourlaub. Er passte gar nicht zu der Einrichtung, ich wollte nur diesen Fleck nicht sehen müssen. Nach einer Weile packte es mich. Ich holte Putzzeug, nahm den Teppich beiseite und fing an zu schrubben. Ich schäumte, scheuerte und rieb bis mir die Finger schmerzten. Erschöpft und den Tränen nahe gab ich auf. In diesem Augenblick hörte ich, wie der Sessel hinter mir über den Fußboden schabte.

„Ist da jemand?“, rief ich ins nichts, aber es kam keine Antwort. Mit den Kräften am Ende schlich ins Bett und fiel in den ersehnten Schlaf.

Am nächsten Morgen, zeigte mir ein Blick auf den Wecker, dass ich verschlafen hatte. Aber es interessierte mich nicht sonderlich. In der Firma meldete ich mich krank, danach braute ich mir einen starken Kaffee. Genüsslich sog ich den Duft in meine Nase, während ich mit dem Becher in der Hand auf der Schwelle zu meinem Wohnzimmer stand. Fassungslos über mich selbst, betrachtete ich das Massaker, das ich auf dem Holzboden hinterlassen hatte. Der eigentliche Fleck schimmerte mir noch dunkel aus einem hell gescheuerten Oval entgegen. Was hatte ich nur getan. Wurde ich langsam verrückt? Ich wandte mich von diesem Anblick ab und setzte mich in die Küche. Ratlos starrte ich die Wand an, begleitet von dem eintönigen Ticken der Uhr. Gelegentlich hörte ich Leben im Treppenhaus. Die Familie mit den kleinen Kindern. Die einzigen mit mir hier im Haus, die noch nicht kurz vor oder in Rente waren. Da durchfuhr mich ein Gedanke. Unten im Parterre wohnte Frau Anderson, eigentlich Mrs Anderson, sie war gebürtige Schottin. Unfreundlich und wortkarg, aber sie lebte schon ewig hier im Haus. Sie kannte doch sicher alle Geschichten darüber. Obwohl ich Angst hatte mich lächerlich zu machen, war mein Entschluss gefasst. Ich richtete mich einigermaßen her, ging die zwei Stockwerke hinunter und klingelte. Nervös überlegte ich, ob ich etwas hätte mitbringen sollen, da hörte ich es schon hinter der Tür schlurfen. Der Schlüssel drehte sich im Schloss und die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet.

„Ja?“

„Hallo, ich bin Tanja Maiburg, ich wohne zwei Stockwerke über ihnen, wie sie bestimmt wissen…“ Keine Reaktion.

„Ich wollte, ich meine ich möchte sie bitten, … darf ich vielleicht hineinkommen?“

Ihre Augen verengten sich.

„Ich habe da ein paar Fragen zu dem Haus und da sie doch schon so lange hier wohnen…“

Unter ihrem strengen Blick verlor ich den Faden, fühlte mich wie bei einer mündlichen Prüfung, aber dann öffnete sie die Tür und ließ mich ein. Ich folgte Mrs Anderson durch einen vergilbten Flur in die Küche, blieb unschlüssig stehen, bis sie auf einen Stuhl zeigte, der auch aus dem Haus meiner Oma hätte sein können.

„Tee?“

„Ja, gerne.“

Wir blieben stumm, während sie Tee zubereitete. Dann setze sie sich zu mir und es wurde Zeit, dass ich mein Anliegen vortrug.

„Nun, Mrs Anderson, sie leben ja schon wirklich lange hier“, sie nickte, „und ich frage mich, ob sie mal gehört haben, ob hier jemand zu Tode gekommen ist, speziell in meiner Wohnung.“ Jetzt war es raus.  Mrs Anderson schaute mich erstaunt an, dann warf sie einen Blick auf ihren Kalender.

„Ach wirklich, geht der Oktober schon wieder zu Ende?“ Irritiert folgte ich ihrem Blick.

„Ja, übermorgen ist der 31.“

„Samhain.“ Ich starrte die Alte verständnislos an.

„In dieser Zeit ist die Verbindung zur Anderswelt geöffnet, das heißt, die Verstorbenen können leichter zu uns kommen.“

„Aber wieso sollten sie das tun?“

„Wieso nicht?“

 Diese Frage verunsicherte mich noch mehr. „Sie meinen, da könnte wirklich ein Geist in meiner Wohnung sein?“

„Möglich wäre es.“

„Aber wieso? Ist er dort vielleicht gestorben? Ich habe einen merkwürdigen Fleck…“ Jetzt fing die Alte an zu lachen und ich hatte das Gefühl einer Hexe aus Grimms Märchen gegenüber zu sitzen.

„Kindchen, Kindchen“, kopfschüttelnd sah sie mich an. „Dieses Haus ist über hundert Jahre alt. Ich bin mir sicher, dass Menschen hier gestorben sind. Auf welche Weise auch immer.“

Sie griff mit ihrer knochigen Hand nach meiner und hielt sie erstaunlich stark fest.

„Sag mir, fühlst du dich bedroht? Was tut der Geist?“

„Ich fühle mich unwohl. Manchmal stehen Möbel und Geschirr anders. Und er scheint meinen Wein zu trinken.“

„Das ist alles?“

„Bis jetzt.“

„Wo ist dann das Problem?“

Sprachlos starrte ich die Alte an. Das Problem war ein Geist in meiner Wohnung.

„Es macht mir Angst.“

„Das braucht es nicht.“ Auf einmal sprach sie fürsorglich wie meine Großmutter. „Wer auch immer in deiner Wohnung ist, er hat nichts Böses vor. Er hat dort nur gerne gelebt.“

Ich weiß nicht, wieso sie sich so sicher sein konnte, aber merkte, dass diese Unterhaltung jetzt zu Ende war. Bevor sie mich aus ihrer Tür schob, drehte ich mich noch einmal zu ihr um.

„Haben sie auch einen Geist hier wohnen?“

„Gott bewahre“, dabei hob sie die Hände in die Höhe. „Für sowas bin ich zu alt, ich brauche meine Ruhe.“  Dann schloss sich die Tür. Nachdenklich stieg ich die Treppe hinauf. Als ich meine Wohnung betrat, schien sie mir heller als früher. Ich ging auf das Wohnzimmer zu. Das Sonnenlicht strahlte heute besonders kräftig durch das Fenster und verlieh dem Raum eine heitere, besondere Stimmung. Ich setzte mich in meinen Sessel und fühlte mich seit langem wieder entspannt und geborgen. Auf einmal erschien es sinnvoll, mir einen zweiten Sessel und endlich einen passenden Teppich zuzulegen.

 

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