Von Sarina Stützer

„Ich kann Ihnen keine Dauerwelle machen!“ Maître Jacques sah seine Kundin zunehmend genervt an.

Diese erwiderte stur den Blick. „Aber ich will eine!“

Maître Jacques warf verzweifelt die Hände in die Luft. „Sie haben keine Haare! Sie sind eine Parkuhr!“, brüllte er.

„Das ist Parkuhrdiskriminierung!“, brüllte die Parkuhr zurück. „Lassen Sie sich gefälligst was einfallen! Sie sind schließlich der Friseur!“

Wutschnaubend stapfte der Maître in den Hinterraum. Es klang, als flögen dort Stühle und Kartons durch die Gegend. Als Maître Jacques wieder herauskam, war er deutlich ruhiger, sein Gesicht hatte wieder die für einen vornehm bleichen Mitteleuropäer typische Farbe. In der Hand hielt er ein haariges Etwas, das er der Parkuhr aufsetzte. Dann drehte er sie zum Spiegel. „Echthaar“.

Die Parkuhr nickte wohlwollend. „Geht doch“, sagte sie, nun ebenfalls deutlich ruhiger.

Maître Jacques zupfte einige Locken zurecht, bis die Perücke perfekt saß. „Wofür brauchen Sie diese Dauerwelle denn so unbedingt?“

Die Parkuhr, deren Name übrigens, wie es der Zufall wollte, Jaqueline war, streckte sich in die Höhe. „Ich will zum Ballett.“ Sie drehte sich hin und her begutachtete sich zufrieden im Spiegel.

„Aber …“ Maître Jacques beschloss, lieber doch nicht zu sagen, was ihm auf der Zunge lag.

„Was?“

Die Parkuhr wandte sich ihm zu, und Maître Jacques hätte schwören können, dass sie eine Augenbraue hochgezogen hatte. Mit gesenktem Kopf sortierte er Bürsten und Kämme auf dem Friseurwagen. „Ach, nichts.“

„Was?“, wiederholte Jaqueline in schneidendem Ton.

Jacques richtete sich auf und sah sie an. „Wie soll das denn gehen?“

„Das wird hervorragend gehen. Schauen Sie nur meine gerade Haltung. Diese Linien. Vielleicht kann ich später Spitze tanzen. Ich habe auch schon eingekauft.“ Jaqueline präsentierte Jacques eine große Tasche. „Body, Tutu, Strumpfhose, Schläppchen …“

„Die Strumpfhose. Hat. Zwei Beine. Sie haben. Nur eins.“

Jaqueline seufzte ergeben. „Haben Sie etwa noch nie davon gehört, dass es Änderungsschneidereien gibt? Ich lasse sie natürlich entsprechend anpassen.“ Sie schloss die Tüte und stellte sie auf den Boden. „Und bevor Sie fragen: Es gibt kein Gesetz, das verlangt, beide Schläppchen zu benutzen.“

„Und wie wollen Sie beispielsweise eine Arabesque tanzen? Ein Entrechat?“

Die Parkuhr sah geradeaus und schwieg. Dann begann ihre Unterlippe zu beben. „Aber … ich …“ Sie wandte sich Jacques wieder zu. „Der Herr Wächter hat mir versichert, ich kann alles werden, was ich will. Immer wieder hat er es mir gesagt. Er spricht nämlich mit mir, wenn er sein Auto bei mir parkt, wissen Sie. Er mag mich. Er hat meine Haltung gelobt. Er findet mich schön.“

„Thomas Wächter?“ Jacques schnaubte verächtlich. „Der will Sie nur verarschen.“

„Das will er nicht. Er ist immer sehr nett zu mir.“

Maître Jacques sah Jaqueline mitleidig an. „Das ist doch der, der immer ein Streichholz in Ihre Mechanik klemmt, um unbegrenzt parken zu können, und dann in die Stadt geht? Während Sie daran gehindert werden, Ihren Job ordentlich zu machen und noch dazu an diesem Streichholz herumwürgen?“

„Ich könnte dieses Streichholz jederzeit loswerden, wenn ich wollte“, erwiderte sie. „Das ist unser Spiel, dass ich so tue, als bräuchte es das Streichholz. Ich würde ihn auch so umsonst parken lassen.“

„Thomas Wächter verschwendet keinen einzigen Gedanken an Sie, wenn er shoppen geht oder sich in den Bars herumtreibt. Er schleppt reihenweise Frauen ab. Und dann erzählt er überall herum, dass ‚seine‘ Parkuhr ihm hörig und zu Willen ist, das habe ich selbst gehört.“ Letzteres war gelogen, aber Maître Jacques war sicher, dass es sich so verhielt.

„Sie sind ja nur eifersüchtig“, sagte Jaqueline mit einem Hochmut, der ihre Unsicherheit verbergen sollte. „Herr Wächter hat mein wahres Wesen erkannt und behandelt mich mit Respekt.“

„Hat er Ihnen erzählt, dass Sie als Ballerina eine Dauerwelle brauchen? Hat er?“

Jaqueline nickte. Maître Jacques zückte sein Smartphone und wischte darauf herum.

„Schauen Sie hier, die Bilder der Ballerinen. Keine einzige hat eine Dauerwelle.“ Er wischte ein Bild nach dem anderen vor Jaquelines Augen durch. „Im Gegenteil, sie ziehen ihre Haare sogar noch extra glatt und straff und stecken sie in einen Knoten. Sehen Sie? Hier. Und hier. Und hier.“ Ein Foto nach dem anderen erschien unter des Maître Wischfinger.

Jaqueline schwieg.

„Glauben Sie mir“, sprach Jacques weiter. „Nichts wäre mir lieber, als wenn Sie Primaballerina würden und meine Kunden auf dem Parkplatz vor meinem Laden kostenlos parken könnten.“ Wenn dieser Arsch von Wächter sein fettes SUV nicht dort parkt, um seelenruhig in die Stadt zu gehen und sein Erbe zu verprassen, dachte er. Laut sagte er: „Aber Thomas Wächter meint es nicht ehrlich mit Ihnen. Er macht sich über Sie lustig.“

Die Parkuhr schluchzte auf. Maître Jacques hätte sie gern getröstet, aber er hatte keine Ahnung, wie man eine Parkuhr tröstete. Hilflos stand er vor ihr und strich über seine Tolle, die sich selbstverständlich keinen Millimeter aus ihrer fixierten Position bewegte.

„Wirklich?“, fragte Jaqueline leise.

„Wirklich. Es tut mir leid.“

Wortlos drehte Jaqueline sich um und verließ den Laden. Die Tasche mit den Ballettsachen ließ sie zurück.

 

Als Thomas Wächter am nächsten Tag sein Auto parkte und Jaqueline wieder an ihrem alten Platz stehen sah, lachte er dröhnend. Er stieg aus und stellte sich vor sie. „Na, altes Mädchen, ist nichts aus der Balletteusenkarriere geworden? Dabei hätte ich dich doch zu gern mal in diesem … Dings …“ Er hielt kurz inne. „Na, in dem, das so heißt wie das Schiff da … weißt schon.“ Er tätschelte ihren Kopf, was sie gar nicht leiden konnte. Grimmig sah sie ihn an. Er kramte in seiner Tasche nach einem abgebrochenen Streichholz und klemmte es in die Mechanik. Sobald er sich umgedreht und pfeifend einige Schritte entfernt hatte, flog das Streichholz in hohem Bogen auf den Bürgersteig, und mit einem lauten „Pling“ erschien die rote Plastiklasche mit dem Aufdruck „Parkzeit abgelaufen“. Als Thomas Wächter zurückkam und das Knöllchen unter dem Scheibenwischer hervorzog, sah er erstaunt zur Parkuhr. Dann blickte er sich suchend nach dem Streichholz um. Schließlich zuckte er die Schultern und fuhr fort.

Ab diesem Tag zeigte die Parkuhr jedes Mal „Parkzeit abgelaufen“ an, wenn er aus der Stadt zurückkam. Manchmal spuckte Jaqueline ihm das Streichholz schon hinterher, wenn sie ihn noch sehen konnte, an anderen Tagen wartete sie so lange, bis jemand vom Ordnungsamt in der Nähe war, bevor sie mit einem lauten und deutlichen Pling die rote Lasche nach oben schnellen ließ. Thomas Wächter konnte sich absolut nicht erklären, wieso er plötzlich von einer Knöllchenflut heimgesucht wurde. Er kam nie dahinter, dass die rote Lasche Jaquelines Art war, ihm die Zunge herauszustrecken.

 

Version 2