Von Sabine Rickert

Ein anstrengender Arbeitstag in der Apotheke neigte sich dem Ende. Zwei späte Kunden hielten meine Kolleginnen und mich vom Feierabend ab. Ich stellte die elektronisch gesteuerte Tür schon einmal auf Ausgang. Heute quälte der Vollmond, der sich unangenehm auf die Gemüter legte. Jeder Patient hatte ein beratungsintensives Problem, dazu die üblichen Lieferengpässe von Medikamenten. Die Krankenkassen, die Pharmafirmen vorschreiben auf Grund von Rabattverträgen, was wiederum schwer verhandelbar ist. Dann Ärzte, die die Praxis wegen Urlaub schließen, ohne dem Patienten persönlich Bescheid zu sagen. Ja die Welt ist schon ungerecht, und mich rief jetzt meine Couch.

Zu Hause angekommen stellte ich nicht zum ersten Mal fest, das mir doppelt so viele Knochen schmerzten, wie vor 10 Jahren. Die Rente rückte immer näher.

Ich brauchte jetzt eine Belohnung in Form eines leckeren Abendessens und dann Entspannung vor dem Fernseher. Es kam meine Lieblingsserie, Bones-Die Knochenjägerin. Die Serie lief auf SIXX, dem Frauensender. Die Reklame trieb mich regelmäßig in den Wahnsinn. Ich versuchte, so oft wie möglich auf ein anderes Programm umzuschalten. Auf Dauer war mir das zu anstrengend und ich traf nicht immer den richtigen Zeitpunkt zum Wiedereinstieg.

Zuerst die Reklame für die Always Ultra mit verbesserter Saugkraft. Früher wurde sie mit blauer Flüssigkeit demonstriert, heute in Periodenrot. Obwohl ich Bones regelmäßig konsumierte, war ich nicht abgehärtet und fand die detailreiche Werbung zu realistisch. Weiter lief es mit dem Beitrag für die Tena diskret gegen Blasenschwäche, gefolgt von Vagisan FeuchtCreme zur Verbesserung des trockenen Intimbereichs. Daraufhin das o.b.Tampon. Dessen Saugkraft bewunderte ich, derweil die Probandin eine Wand hochkletterte. Der krönende Abschluss waren die Sex Toys von Amorelie. Ich war total müde und ließ die Reklame kraftlos über mich ergehen.

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Mein Mann weckte mich sanft mit den Worten: „Schatz, wach auf es wird Zeit, du musst bald zur Arbeit.“

Wie, die Nacht ist schon zu Ende? Ich war perplex, bin ich so schnell vor dem Fernseher eingeschlafen? Ich hatte doch eben erst darüber nachgedacht, was Amorelie wohl für Sexspielzeug in den jährlichen Adventskalender steckt. Somit hatte ich nicht einmal die komplette Reklame im Wachzustand überstanden.

In der Apotheke angekommen überkam mich ein merkwürdiges Gefühl. Es sah aus wie gestern Abend, ich hatte ein Deja Vu. Die zwei letzten Kunden standen dort und sprachen mit den Kolleginnen. Wieso sind dieselben wieder hier. Ich schloss die Tür jetzt auf und nicht zu. Ich wunderte mich kurz und schon lief der Betrieb an und ich wurde abgelenkt.

Mein erster Kunde kam mir unheimlich bekannt vor. Er stellte sich mit Angelo vor und hatte einen italienischen Akzent. Sein Problem waren Magenschmerzen. Ich fragte ihn, ob er unter Sodbrennen oder einem Magen-Darm Infekt litt. Er berichtete, dass er große Mengen von Nescafé getrunken hatt, den er überhaupt nicht mehr verträgt. Ich riet ihm, erst einmal auf Kaffee zu verzichten, und empfahl ihm Magentropfen. Dazu der Hinweis, dass auf Grund des Alkoholgehalts in den Tropfen Vorsicht geboten ist, vor allem bei dem Bedienen von Maschinen und beim Fahren von Autos. Daraufhin erwiderte er: „ Ich (h)abe gar kein Auto.“

Der nächste Kunde, ich fasste es kaum, der Mann aus der Trivago Werbung. Der französische Schauspieler Mehdi Nebbou hier in unserer Apotheke. Nachdem meine Sternchen aus den Augen gefallen waren und ich wieder klar sehen konnte, fragte ich ihn mit säuselnder Stimme nach seinem Wunsch. Er benötigte Beratung zu seiner Reiseapotheke. Ich stelle sie ihm gerne zusammen. So ein netter Mann, und dieser Akzent, wau. Leider ein kurzes Vergnügen, er hatte es eilig.

Dann wurde es absolut skurril. Ein Cowboy kam in voller Montur, mit Hut, Lederhose, Stiefel, Sporen und Lasso in die Apotheke und behauptete, er sei der Marlboro Man. Er jammerte, seine Muskeln schmerzen ihm, da er zu lange geritten ist. Er benötigte unbedingt Pferdebalsam zum Einreiben. Ich führte ihn nach vorne zu unserem Regal mit der großen Auswahl an Pferdebalsam von verschiedenen Firmen. Ohne Vorwarnung zischte ein kleines Männchen durch die Eingangstür, schnell wie ein Torpedo, und schnatterte aufgeregt. Ich verstand nicht alles, nur das er etwas zur Beruhigung und Nikotinpflaster brauchte, um sich das Rauchen abzugewöhnen. Der Marlboro Man nahm sein Lasso und fing dieses Männlein ein. Es sah aus wie das HB-Männchen, eine Comic-Figur. Aber Lasso und Apothekenregale vertrugen sich nicht. Er räumte mit einem Wirbel das ganze Regal mit dem Pferdebalsam ab. Die grüne glibberige Masse lief aus den geplatzten Dosen und lag im Raum verteilt auf dem Boden. Es roch intensiv nach Campher und Rosmarin. Die Tür öffnete sich und Meister Proper kam herein. Er schimpfte direkt, dass er die Sauerei nicht wegwischen würde, denn er war nur hier, um eine Pflege für seine rauen Hände zu kaufen. Außerdem hatte er Rückenschmerzen von der Putzerei, dafür hätte er gerne ein Wärmepflaster. Sofort unterbrach eine hereinkommende Frau sein Gezeter, sie stellte sich mit dem Namen Tilli vor und empfahl ihm Palmolive für seine Hände, mit natürlichen Proteinen. Damit hätte sie die besten Erfolge, das Zeug aus der Apotheke wäre ja nur teuer und würde nichts bringen, höchstens dem Apotheker. Das hatte ich gerne, Kunden die meine Beratungstätigkeit übernehmen.

Das war mir zu viel, ich brachte erst einmal alle Trolle aus dem Gefahrenbereich, bevor jemand auf dem Pferdebalsam ausrutschte.

Nachdem die Bande auf unserer Sitzbank gesichert war, ließ der Marlboro Man vom HB-Männchen ab, und dieser beruhigte sich langsam. Er bekam von mir ein homöopathisches Beruhigungsmittel, das wird ihn nicht umbringen. Nikotinpflaster für so einen Winzling hielt ich nicht für passend. Eigentlich ist Bruno ja schon länger arbeitslos, genauso wie der Marlboro Man. Es gab ja kaum Zigarettenwerbung. Aber ich war diskret und sprach es nicht an.

Ich entschied, erst einmal alles zu säubern, und verwies die skurrile Bande an meine Kolleginnen. Am Eingang angekommen sah ich das nächste Drama. Einige Durazellhäschen waren unbemerkt hereingehüpft und hatten den ganzen Balsam durchgemixt und im Raum großzügig verteilt. Sie waren merklich mit frischen Batterien ausgestattet, und voller Power. So langsam stieg Wut in mir hoch, ich fing sie ein und schaltete sie aus. Das dauerte eine ganze Weile, ich war bemüht nicht auszurutschen. Es waren dreißig Häschen. Weiterhin versuchte ich, die glibberige Masse in den Griff zu bekommen. Ein Herr im Anzug kam herein, und stellte sich mit Herrn Kaiser von der Hamburg Mannheimer vor. Er fragte, ob ich jüngere Kolleginnen hätte. Angenervt fragte ich ihn sarkastisch, welches Alter er denn bevorzuge. Er erklärte mir, dass er einen Termin bei dem Chef habe. Es gehe um die Beratung der Angestellten zwecks Altersversorgung in Form einer Lebensversicherung. Bei mir würde das  nicht mehr greifen. Das war deutlich, ich verzog zornig das Gesicht.

Am liebsten hätte ich Marlboro Man mit seinem Lasso auf ihn gehetzt, oder dem HB-Männchen etwas ins Ohr geflüstert, dass ihn wieder zum Choleriker werden lässt. Aber da klopfte ihm ein bärtiger Herr von hinten auf die Schulter und begrüßte ihn. Er hätte selber gerne eine Lebensversicherung, da er in der Fischbranche tätig ist, und zusätzlich etwas für die private Rentenvorsorge unternehmen möchte. Dann verlor er die Fassung und übergab sich auf Herrn Kaisers Schuhe.

„Oh, ich bin untröstlich. Mein Name ist Käpt´n Iglo, mir ist heute äußerst kodderig. Die letzten Fischstäbchen waren nicht mehr frisch. Aber die Dame hier macht das gerne wieder sauber“, behauptete er in seiner Überheblichkeit.

„Verdorbener Fisch, ich brauche dringend etwas gegen die Übelkeit“.

Nein die Dame war stink sauer und schmiss jetzt mit Pferdebalsam-Dosen nach jedem, der vorne in ihrer Nähe stand. Nachdem ich ordentlich in Schwung kam, hielt mir jemand die Hände fest. Ich schaute erschrocken in das Gesicht meines Mannes. Er befreite mich aus dem Traum.

Er lachte und fragte, ob ich auf dem Handballfeld gestanden hätte.

Wenn der wüsste, gegen wen ich da kämpfte. Der Vollmond hatte mich völlig im Griff.

 

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