Von Franck Sezelli

(Hinweis: Alle historisch überlieferten Personennamen sind bei ihrem ersten Vorkommen im Text kursiv aufgeführt.)

 

»Montier, sehe er her, dieses blonde Haar fand ich in der Sauce! Lass er doch endlich seine Mamsells in der Küche Kopftücher tragen!« Etwas ungehalten sah der König seinen Leibkoch an und setzte fort: »Ich will nicht sagen, dass es mir nicht geschmeckt hat, aber da hat er nun sogar Medizin und Chemie studiert, um seine Kochkunst zu vervollkommnen, aber ganz so gut wie die Bratensoße der Marschallin hat seine noch nie geschmeckt.«

Wenn es nicht aus deiner Perücke ist, dachte sich der königliche Leibkoch. Er grämte sich sehr, denn normalerweise war seine Majestät mit ihm zufrieden und zeigte dies auch gern, aber immer häufiger lobte er die Küche der Marschallin.

König Louis XV., so sehr er große Gesellschaften auch hasste und sich lieber in kleinem Kreise in seinen privaten Appartements aufhielt, konnte sich nicht allem entziehen. So folgte er auf Drängen seiner Mätresse Pompadour auch des Öfteren den Einladungen der Mar­schal­lin zu deren Dîners. Die Witwe des Duc de Mirepoix und Maréchal de France, liebte es, große Gesellschaften zu geben. Wegen der herausragenden Stellung ihres Gatten konnte sie auch nach dessen Tod den sehr gehobenen Lebensstil am königlichen Hofe fortführen. Schließlich stammte er aus dem Hause Lévis und gehörte damit zu einer der mächtigsten Familien des damaligen Languedoc. Seit dem 13. Jahrhundert waren sie die Herren über Mirepoix, eines der im Albigenserkreuzzug zerschlagenen Zentren der Katharer und späteren Bischofssitz. Ludwig XV. selbst hatte seinen Freund wegen dessen militärischer Talente und diplomatischen Fähigkeiten 1751 zum Herzog von Mirepoix und später zum Marschall Frankreichs ernannt.

Die adligen Damen und Herren am Hofe bewunderten die Marschallin, wie die Mirepoix der Einfachheit halber kurz genannt wurde. Schließlich war sie geistreich und von großer Gefälligkeit. Besonders geschätzt war sie wegen ihrer exzellenten Küche, auf die sie persönlichen Einfluss nahm. Ludwig, der selbst viel Wert auf eine gute Gastronomie legte, auch gern selbst kochte, schmeckte es an der Tafel der Witwe seines verstorbenen Freundes ausgezeichnet. Vor allem hatte es ihm die sämige Sauce, die zum Braten gereicht wurde, angetan.    

Als in einer der privaten kleinen Runden des Königs im Kreis seiner engsten Vertrauten das Gespräch auf gutes Essen kam – kein Wunder, auch heute noch sprechen die Franzosen bei Tisch am liebsten über das Essen – erzählte einer der Herren von einem Gespräch, das er auf der Treppe aufgeschnappt hatte. Darin wurde die Bratensoße der Marschallin ebenfalls auf das höchste gelobt. Der König befragte seine Gäste nach dem Geheimnis des Rezeptes, aber niemand wusste Bescheid. Selbst die Pompadour, ebenfalls eine gute Köchin und zudem eine enge Freundin der Mirepoix, konnte ihrem königlichen Freund nicht helfen. Mit ihr teilte er zwar schon lange nicht mehr das Bett, sie war aber immer noch die offizielle königliche Mätresse und seine geschätzte Freundin und Beraterin in vielen Fragen.

 

***

 

Jean-Louis und Philippe schlichen sich leise von hinten an die kleine Sophie heran, die mit den anderen Mägden am Brunnen schwatzte. Ihre blonden Zöpfe reizten die Küchenjungen immer wieder, daran zu ziehen. Heute kamen sie nicht dazu, denn Suzanne, die schwarzhaarige und sehr aufgeweckte Küchenmagd der Marschallin, hatte die Lausbuben bemerkt und rief: »Attention, Sophie, derrière toi!« Daraufhin drehte sich Sophie schnell herum und die Jungen flohen unverrichteter Dinge unter dem Gelächter der Mädchen.

Kaum saßen die beiden Knaben wieder auf den Stufen am Eingang zu den Wirtschaftsräumen des Hofes, erscholl die laute Stimme von Antoine, dem Sous-chef de la cuisine royale, dem stellvertretenden Chefkoch der königlichen Küche: »Genug gefaulenzt! An die Arbeit!«

Philipp sprang auf und eilte in die Küchenräume. Einen Rüffel von Antoine wollte er keinesfalls riskieren. Jean-Louis, nun allein gelassen, schlenderte auch an seinen Arbeitsplatz zurück.

Der kleine Philipp war erst erschrocken und dann erstaunt, als ihm Monsieur Montier, der Meister persönlich, auf die Schulter klopfte. Der Leibkoch des Königs hatte sonst keinen Blick für den Küchenjungen übrig. Heute aber sprach er ihn an: »Sag‘ mal, du bist doch oft mit dem Küchenjungen der Marschallin zusammen? Hast du da nicht einmal Lust, mit ihm zusammenzuarbeiten?«

Philipp brachte kein Wort heraus, sondern konnte nur nicken.

»Es soll dein Schaden nicht sein. Du bekommst einen ganzen Tag frei, wenn du die Augen aufhältst und mir persönlich berichtest.« Dann nahm er den Jungen in eine Ecke beiseite und erklärte ihm genau, was er wissen wollte. »Schaffst du das?«

Wieder nickte der Kleine eifrig, der Hals aber war wie zugeschnürt.

»Und zu keinem anderen ein Wort, auch nicht zu deinem Freund! Versprichst du mir das?«

Philipp nickt heftig.

»Ich will das hören. Schließlich sollst du mir danach doch auch etwas erzählen. Also sprich!«

»Oui!«, krächzte der Eingeschüchterte mit piepsiger Stimme.

 

An einem der nächsten Vormittage ließ sich Philipp dazu herab, zu den Mädchen zu gehen, die wieder am Brunnen schwatzten, um sie zu fragen: »Wisst ihr, wo Jean-Louis ist?«

Suzanne wunderte sich, dass der eingebildete und freche Philipp sie ansprach, antwortete ihm jedoch trotz seiner häufigen derben Scherze: »Den habe ich noch nicht gesehen. Ich glaube, in seiner Küche haben sie heute viel zu tun.«

Missgelaunt setzte sich der Küchenjunge auf die Stufen und starrte in die Luft. Da hielt ihm plötzlich jemand von hinten die Augen zu. Es war Jean-Louis, der endlich eine kleine Pause machen konnte.

»Stimmt es, dass ihr heute besonders viel Arbeit habt?«, fragte ihn der Freund. »Kommst du deshalb so spät?«

»Ja, Madame gibt heute wieder ein großes Dîner.«

»Soll ich dir helfen?«

»Wie willst du das denn anstellen? Musst du nicht am Platz in deiner Küche sein?«

»Es wird schon mal gehen, bei uns geht es heute ruhig zu«, murmelte Philipp vor sich hin, »ich folge dir dann einfach.«

Jean-Louis war es recht, man würde nicht ihm die Ohren lang ziehen.

Am Platz von Jean-Louis angekommen, wurde dessen Begleitung sogleich bemerkt. Der Saucier der Küchenmannschaft der Marschallin fuhr Philipp an: »Was willst du denn hier? Bei uns wird nicht gespielt! Wenn du hier bist, musst du auch mitmachen! Maulaffen feilhalten ist nicht!«

»Ich möchte meinem Freund helfen, was soll ich tun?«

»Jean-Louis wird es dir zeigen, aber mach ja keinen Blödsinn!«

Der kleine Freund verwies auf das Gemüse auf dem Tisch: Möhren, Sellerie, Petersilienwurzeln und Zwiebeln. »Das müssen wir zu kleinen, gleichmäßigen Würfeln schneiden.«

»Und was wird daraus?«, fragte neugierig Philipp.

Der pfiffige Küchenjunge wusste Bescheid. Jean-Louis interessierte sich für alles, was in der Küche vorging. Schließlich träumte er davon, einmal der berühmte Koch eines großen Herrn zu werden. »Das gewürfelte Wurzelgemüse wird angebraten und karamelisiert. Durch das Rösten entstehen feine Aromen, die dann noch mit verschiedenen Gewürzen ergänzt werden.«

»Was für Gewürze?«

»Ich habe beobachtet, wie der Saucier Pfeffer, Thymian, Rosmarin, Petersilie und Knoblauch hinzugab. Oft auch noch Wacholderbeeren, Gewürzkörner, Majoran, Lorbeerblätter und Nelken. Manchmal wurden auch schon Speck oder Schinken zu den Gemüsewürfeln gegeben.«

»Und wozu dient das Ganze? Kann man das so essen?«

»Weiß nicht, aber das soll man auch nicht. Es wird den Fonds von Fleischsaucen hinzugefügt und macht diese sehr aromatisch und auch schön sämig.«

»Ach so, deswegen hört man so viele Herrschaften von diesen Soßen schwärmen.«

»Das kann schon sein. Aber träum jetzt nicht, es gibt noch einiges zu tun, sonst bekomme ich Ärger.« Den wollte er auf keinen Fall riskieren, wie sollte er sonst ein guter und begehrter Koch werden?

 

***

 

Monsieur Montier war glücklich, von Philipp dieses Geheimnis übermittelt zu bekommen. Der Küchenjunge bekam seinen freien Tag, an dem er gar nicht so recht wusste, was er anfangen sollte. Denn seine Freunde und die Mädchen, die er gern ärgerte, waren alle beschäftigt. Und seine Familie wohnte weit weg, sie war froh, ihren Jüngsten am königlichen Hof untergebracht zu haben.

Der königliche Leibkoch probierte das Rezept umgehend persönlich aus und nach einigen Versuchen beherrschte er es perfekt. So servierte er die Soße sehr bald seiner Majestät während einer derer kleinen geselligen Runden. Nach dem Mahl ließ Louis den Koch rufen und rüffelte ihn: »Montier, schon wieder war ein Haar in der Sauce! Denke er doch endlich an die Kopftücher für seine Mamsells!« Ganz versöhnlich sprach er dann weiter: »Allerdings muss ich zu seiner Entlastung sagen, dass dies dem Geschmack keinerlei Abbruch getan hat. Die Sauce war heute besonders köstlich, er hat sich damit ein königliches Lob verdient!«

Meine Mädchen haben ihre Haare in der Küche schon lange unter Tüchern versteckt, es ist eindeutig ein Perückenhaar, dachte Montier, war aber glücklich über das Lob und sagte: »Majestät, ich gestehe, dass ich dem Koch der Marschallin beim Zubereiten der Bratensoße heimlich sozusagen über die Schulter geschaut habe.«

Der König erwiderte hocherfreut und ein wenig stolz auf seinen Leibkoch: »Très bien, so haben wir also endlich das Geheimnis geknackt. Auch WIR können nun die Sauce der Mirepoix zubereiten!«

Damit hatte er dieser Soße und deren Zubereitung ihren Namen gegeben.

Vom Hofe Ludwig XV. aus verbreitete sich der Begriff und das Rezept über ganz Europa. Auch heute noch nennt man diese Röstgemüsemischung in aller Welt Mirepoix. So wurde durch die Marschallin der Name dieses malerischen okzitanischen Städtchens zugleich zu einem weltbekannten gastronomischen Fachbegriff.

 

 

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